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Putin wird gewinnen

Am 9. Mai  2016  haben die sog. Separatisten in Donezk den zweiten Jahrestag des Bestehens ihrer „Volksrepublik“ gefeiert – mit einem Umzug von ca. 10.000 Menschen, die die Fahnen von „Neurussland“ mitgeführt haben. Das Datum fiel zusammen mit dem 71. Jahrestag des  Sieges der Roten Armee über den Faschismus, was dem Jubiläum noch die Weihe historischer Größe verlieh. Einige Tage später fand in Berlin das „Normandie-Treffen“ statt, das Treffen der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine, zu dem Außenminister Steinmeier eingeladen hatte. Wie zu erwarten war, gab es bei den Verhandlungen keinerlei Fortschritte. Steinmeier verkaufte deshalb die erneute Versicherung der beiden Streitpartner Russland und Ukraine, künftig die Waffenruhe besser einhalten zu wollen, als Erfolg. Außer Spesen nichts gewesen.

Streitpunkt der Verhandlungen sind die im Minsker Abkommen vorgesehenen Wahlen in den Gebietskörperschaften  Donezk und Luhansk. Sie sollen nach ukrainischem Recht und unter der Kontrolle der OECD stattfinden. Ukrainisches Recht würde bedeuten, dass neben der Partei der Separatisten alle ukrainischen Parteien antreten dürften. Es würde zugleich bedeuten, dass  alle Parteien  den gleichen Zugang zu den Massenmedien – sprich  Fernsehen und Rundfunk  – erhalten müssten. Nur Illusionisten können daran glauben, dass sich Russland und seine Hilfstruppen in den beiden besetzten Regionen darauf einlassen werden. Sie wollen und werden das Gebiet, das sie erobert haben, nicht mehr herausgeben. Deshalb werden sie  nur Wahlen zulassen, die sie so manipulieren können, wie es in Russland üblich ist –  oder es wird keine Wahlen geben. In einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1. 6. 2016) definiert der Unterhändler der „Volksrepublik Luhansk“ Wladislaw Deinego, was er unter „freien“ Wahlen versteht. Seine „Regierung“ behält sich vor, welchen Medien die Berichterstattung erlaubt wird und welchen nicht. Auch für das Wahlvolk gibt es unterschiedliches Recht: Russlandtreue Wähler dürfen ohne Probleme abstimmen, auch wenn sie sich noch in Russland aufhalten. In die Rest-Ukraine geflohene Bürger müssen in die „Volksrepubliken“ zurückkehren und ihre „Zugehörigkeit durch eine Tätigkeit für das Territorium“ unter Beweis stellen.

Russland ist auf die im Minsker Abkommen festgelegten Wahlen gar nicht erpicht. Es hat erreicht, was es erreichen wollte. Die Gebiete wurden dauerhaft besetzt. Wirtschaftlich und finanziell (Renten und Löhne für die Staatsdiener werden aus Russland überwiesen) werden sie immer enger mit dem Mutterland Russland verflochten. Der Rubel hat die Griwna   als  Zahlungsmittel verdrängt.  In allen „Amtsstuben“ hängt ein Bild Putins.  In den besetzten Gebietskörperschaften sind  ideologisch reine Gebiete entstanden, weil alle Menschen, die nicht unter  der Knute Putins und seiner Warlords leben wollen, längst in den westlichen Teil der Ukraine oder nach Polen  geflohen sind. Man schätzt ihre Zahl auf 1,4 Millionen.  Die Menschen, die während der Kriegshandlungen nach Russland geflohen waren, kehren allmählich in ihre Heimat zurück. Sie gehören ohnehin zu den treuesten Russlandfreunden. Obwohl die Aussichten, dass die Separatisten unter diesen Umständen  freie Wahlen tatsächlich gewinnen könnten, gar nicht schlecht stehen, werden sie  sich auf das Risiko, das wirklich freie Wahlen immer bedeuten, unter keinen Umständen einlassen.

Der Westen hat offensichtlich immer noch nicht begriffen, wie die Landnahme funktioniert, die Putin seit 2008, als er seine Armee nach Georgien schickte, betrieben hat. Als Auslöser für eine Intervention braucht er die Unzufriedenheit des russischen Volksanteils in dem jeweiligen Land, meistens einem ehemaligen Sowjetstaat. In Georgien waren das die Menschen in Südossetien und  Abchasien. Ihr „Hilferuf“ lieferte den Vorwand, mit Truppen einzumarschieren, um die bedrohten Russen vor den „Faschisten“ – so die Standardbezeichnung für die Gegner –  zu schützen. Die Gebiete werden dann besetzt und wirtschaftlich mit Russland verflochten. Da die Satellitenschüsseln ohnehin alle gen Moskau gerichtet sind, braucht sich Putin um die ideologische Standfestigkeit der neu gewonnenen Landsleute  keine Sorgen zu machen. Putin sagte schon vor langer Zeit, dass dort Russland sei, wo Russen wohnen – auch in fremden Staaten. Daraus  leitet er bis heute das  Recht ab, militärisch zu intervenieren. In beiden besetzten Gebieten  in Georgien  gründeten Vasallen Moskaus  Mini-Republiken, die nur von wenigen Staaten anerkannt wurden (Russland, Nicaragua, Transnistrien und Nagorny-Karabach). Das stört den Kreml nicht, weil der De facto-Anschluss ihn vor dem Odium, fremdes Territorium erobert und sich einverleibt zu haben, schützt. Mit  den beiden  Gebietskörperschaften  Donezk und Luhansk verfährt der Kreml  ähnlich. Er wird sie nicht annektieren, sondern im bequemen Zustand von Vasallenstaaten belassen. Die Krim ist ein Sonderfall. Sie zählen  Putin und seine ideologischen Stichwortgeber zum russischen Kerngebiet. Der Begründer des russisch-orthodoxen Glaubens, Fürst Wladimir, ließ sich 988  in der Krim-Stadt Chersones christlich taufen. Deshalb hat die Krim, wie Putin nach der Annexion verkündete, „sakrale Bedeutung“.

Einige europäische Staaten (Ungarn, Bulgarien, Zypern, Malta und Italien) wollen die Sanktionen gegen Russland, die sie ohnehin nur halbherzig bewilligt hatten, nicht mehr verlängern, wenn sie am 31. Juli 2016 auslaufen. Ihre ökonomischen Eigeninteressen überwiegen die Solidarität mit dem geschundenen ukrainischen Volk.  Auch in Deutschland gibt es Politiker, die ein Ende der Sanktionen herbeisehnen. Es sind vor allem die beiden SPD-Politiker Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier. Bei Gabriel kann man annehmen, dass er ein spezielles Interesse daran hat, die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wieder in Gang zu bringen. Er hat ja auch die Gaspipeline North-Stream 2  gegen starken Widerstand aus dem Baltikum und aus Polen genehmigt. Im Aufsichtsrat des Konsortiums sitzt sein Parteifreund Gerhard Schröder, der Männerfreund von Wladimir Putin. Im Internet kann man  schon Spekulationen darüber lesen, ob  Gabriel auch  ins russische Gasgeschäft einsteigt, wenn er als Parteichef scheitern sollte. Etwas anders gelagert ist der Fall Steinmeier. Wirtschaftliche Interessen kann man ihm kaum unterstellen. Er ist  ein unverbesserlicher  Idealist und  ein  Pädagoge obendrein. Wie ein Lehrer immer an das Gute im Kind glauben sollte, unterstellt er Putin letztlich  doch den Willen zur „Umkehr“ und  die Fähigkeit, wieder in den Kreis der Guten zurückzukehren. Deshalb hat er beim letzten G 7 – Treffen der Außenminister  wehmütig geäußert, Russland brauche ja nicht für immer ausgeschlossen zu bleiben. Dass die Staaten von  G 7 nach dem Ausscheiden Russlands auch eine Wertegemeinschaft bilden, weil  in dem Gremium nur noch Demokratien versammelt sind, hält er nicht für wesentlich. Wichtiger ist der  pädagogische Impetus: Wir wollen es noch einmal mit dem Lümmel  von der letzten Bank (Obama über Putin) probieren.

Solche Anwandlungen sind nicht nur naiv, sie sind auch schädlich. Sie arbeiten der russischen Machtpolitik in die Hände, weil sie die Widerstandskraft der westlichen Welt lähmen. Wie weit die Selbstverleugnung in Deutschland geht, konnte man Anfang Mai in Berlin besichtigen. Die Putin-nahe Rockergruppe „Nachtwölfe“ durfte mit ihren röhrenden Maschinen unbehelligt durch die Hauptstadt fahren und an sowjetischen Ehrenmalen Kränze niederlegen. Die „Nachtwölfe“ sind eine faschistoide, extrem nationalistische Truppe, die in Russland ganz offen Jagd auf Homosexuelle macht. Schläger aus ihren Reihen sollen schwule Männer auf offener Straße  ermordet haben. Das Motto der „Nachwölfe“ lautet: „Wo wir sind, ist Russland“. Nach eigenem Bekunden waren sie an der Annektierung der Krim beteiligt. Sie errichteten Checkpoints, sicherten die von den russischen Spezialkräften („Speznas“) eroberten ukrainischen Kasernen und verteilten russisches Propagandamaterial. Sie geben offen zu, dass ihre Fahrten nach Deutschland auch dazu dienen, die russischsprachige Bevölkerung – bei uns leben vier Millionen Russlanddeutsche – ideologisch zu mobilisieren. Verschiedene Male   haben sie versucht, in Deutschland Ableger ihres Clubs („Chapter“) zu gründen.  Es ist eines der Rätsel deutscher Politik, warum unsere Sicherheitsbehörden solche Einflussagenten Putins in unserem Land gewähren lassen, als wären  die Putin-Rocker  harmlose Freizeit-Biker. Polen ist in dieser Hinsicht wachsamer und konsequenter. Es  hat den „Nachtwölfen“ schon  zum zweiten Mal  die Durchreise verweigert.

Wie groß die Mobilisierungsfähigkeit des russischen Geheimdienstes in Deutschland ist, konnte man im „Fall Lisa“ beobachten. Nur wenige Stunden, nachdem die Falschmeldung über die Vergewaltigung des russischen Mädchens Lisa durch muslimische Flüchtlinge in der Welt war, gab es in verschiedenen deutschen Städten Protestkundgebungen von Russlanddeutschen, die mit einheitlich gestalteten Protestplakaten ausgestattet waren. Die Frucht der russischen Propaganda konnte bei den letzten drei Landtagswahlen die AfD ernten. In den Städten, wo der Anteil russischsprachiger Bürger besonders hoch ist, hatte die AfD überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse. AfD-Funktionäre schwärmen offen von der „Führungsstärke“  Putins. Fleißig kolportieren sie die Lüge,  NATO und EU hätten gegen vorherige Absprachen ihren Einflussbereich an die Grenzen Russlands ausgedehnt. Dass es der freie Willen der ehemaligen Sowjetvölker war, zum freien Westen zu gehören statt zum eurasischen Reich des Kreml, wird dabei absichtlich unterschlagen.

Zur hybriden Kriegsführung des Kreml gehören auch Cyber-Angriffe russischer Hacker auf Infrastruktureinrichtungen, Hochschulen, Telekommunikationsunternehmen und politische Einrichtungen in Deutschland. Der krasseste Angriff galt im Mai 2015 dem Deutschen Bundestag. Bis der Angriff abgewehrt werden konnte, sind 16 Gigabyte Daten von den Servern abgeflossen. Der jüngste russische Angriff galt der CDU-Zentrale in Berlin.  Verfassungsschutzpräsident Maaßen hält die Gefahr, dass deutsche Einrichtungen von russischen Cyber-Piraten angegriffen werden, die im Auftrag des Kreml agieren, für sehr groß.

Der asymmetrische Krieg, den Putin zur Flankierung seiner offenen Aggressionspolitik führt, sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wir, die wir in der Demokratie groß geworden sind, neigen dazu, darauf zu vertrauen, dass sich Lügen und Verschwörungstheorien, die die Kreml-Trolle lancieren,  von selbst entlarven, weil sich in einer freien Gesellschaft die Wahrheit immer durchsetze. Wie die Wahlerfolge der AfD  zeigen, kann ein finsteres Gebräu aus Islamphobie, Antiamerikanismus und sozialer Demagogie bei einem Teil der Bevölkerung durchaus verfangen. Schon aus Eigeninteresse sollten wir der Einflussnahme Russlands auf unsere freiheitliche Gesellschaft  Grenzen setzen.

Vor und nach dem EM-Spiel England gegen Russland gab es heftige Schlägereien zwischen russischen und englischen Hooligans. Im Fernsehen war ein Video zu sehen, das einen russischen Schläger zeigt, wie er mit dem Fuß gegen  den Kopf eines verletzt am Boden liegenden Engländers tritt. Das Bild sorgte weltweit für Entsetzen und Empörung. Nicht so in Russland. Der russische Parlaments-Vizepräsident Igor Lebedew hat die Fanausschreitungen von Marseille verteidigt: „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht Jungs. Weiter so!“ Lebedew ist auch Vorstandsmitglied des russischen Fußball-Verbandes. Wie man dieser  Äußerung  sehen kann, hat die Verrohung der russischen Gesellschaft im Gefolge der aggressiven Außenpolitik Putins auch auf den Friedensbringer Sport übergegriffen.

 

 

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22 Gedanken zu “Putin wird gewinnen;”

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    @ Orleander

    Nein, ich spreche nicht von Terrorismus. Wer Liebe gibt, muss auch bereit sein, Liebe zu empfangen und ich weiß nicht, in welcher Welt das Stellen von Minderheitenfragen ohne Gegenfrage bleibt. Die Russlanddeutschen mobil zu machen, war dreckig. Das gleiche gilt für die Deutschtürken und Erdogan. Manche Fässer sollte man zu lassen, aber wenn sie offen sind, wird man so viel schlucken müssen, wie man eingeschenkt hat.

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    @ Stevanovic

    „die Georgier massiv aufzurüsten und letztlich die Tschetschen die Rückkehr aus Syrien zu ermöglichen“

    Meinen Sie die Tschteschenen?
    Denken Sie an Terrorismus?
    Du lieber Himmel.

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    Nun, der Westen wird sich wohl damit abfinden müssen, dass nicht nur die Krim, sondern auch Teile der Ostukraine nicht mehr zur Ukraine zurückkehren werden. Man wird wohl schon daran basteln, wie man eine Lösung finden kann, dass möglichst alle Beteiligten ihr Gesicht wahren können.

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    „Alexander Schprygin ist nach Berichten des britischen Guardian als offizielles Mitglied der russischen Delegation zur Fußball-EM nach Frankreich gereist.[…]er sagte, er wolle „nur slawische Gesichter in der russischen Nationalmannschaft sehen“.“

    http://www.zeit.de/sport/2016-.....xtremismus

    Damit würde er, wenn man ihm folgen würde, die russische Nationalmannschaft zur Ineffektivität verurteilen. Ähnliches gilt auch für das Land und andere Länder.

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    Die russische Politiklandschaft ist weit unduchsichtiger als unsere. Auch wenn man sich daran gewöhnt hat, dasselbe über europäische „Eliten“ zu hören, so ist es doch in Russland viel schlimmer als hier. Auch der Meuinugnsfreiheit geht es viel schlechter. Den Frauenrechten, den Minderheiten, den Systemkritikern, den Künstlern… Das nationale Streben nach Stärke deckt alles zu. Es verhärtet und verroht die Leute und mit ihnen das System. Es bringt die Leute zum Schweigen und macht sie damit auch unproduktiv.

    Ein modernes System muss flexibel sein, unterschiedliche Eigenschaften („Kulturen“) integrieren und das Beste aus den verschiedenen Talenten und Veranlagungen machen. Ein statisch-nationales System, das auf seinen traditionellen Charakter beharrt und so bleiben will, funktioniert schlechter. Die Leute werden ärmer (die Renten auf der Krim können nicht bezahlt werden; die Rentner sind enttäuscht; man muss ihre Artikulation weiter unterdrücken; dadurch werden sie mutloser und noch ärmer, ein Kreislauf beginnt…). Deshalb ist – trotz Brexit, AfD, Eurokrise usw. – die Zeit auf der Seite der EU.

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    Die Armee hat im Grunde Polizeiaufgaben innerhalb des Territoriums, für das sie zuständig ist. Aber nicht mehr. Sie ist nicht weltweit zuständig für die Verfolgung von Unrecht – DAS ist Gutmenschentum. Um außerhalb des eigenen Territoriums eingesetzt zu werden, braucht man einen Auftrag der UN und ein Mandat von innen. Wenn man das nicht hat, lässt man die Flugzeuge schön zuhause und widmet sich stattdessen der Wirtschaft.

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    Unser westlich-demokratisches System besteht aus bestimmten Standards und Regeln. Wenn wir die außer Kraft setzen, indem wir die Musikelspiele der „Machos“ übernehmen und z.B. ein eindringendes Flugzeug abschießen, so wie das die Türkei getan hat, machen wir unser System kaputt. So wie das die Türkei mit ihrem System tut – das ist nämlich schon kaputt und schlingert in Richtung Diktatur. Wir sollten überlegen: Welche Maßnahmen sind sinnvoll im Sinne unseres Systems. Unser System ist kapitalistisch-demokratisch; wir sollten kapitalistisch-demokratische Maßnahmen ergreifen, wenn andere Systeme Probleme bereiten. Ein Markt kann frei sein, aber auch beschränkt werden, ganz nach den Bedingungen, die man vorfindet; ganz automatisch im Grunde. Dies sind Methoden, die zu uns passen. Wenn der Marktzugang automatisiert, d.h. der Willkür entzogen wäre, würde niemand auf den Gedanken kommen, groß mit den Muskeln zu spielen, sondern sich überlegen, wie der Mechanismus funktioniert, um teilzunehmen, und am Ende irgendwann mitspielen.

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    Herrr Ziegler! Die Polemik muss ich zurückgeben: Ludmila, wir haben keinen Jogurt im Kühlschrank. Ei, Dimitri, dann gib halt die Krim zurück! – Ich kann mir kein Szenario, außer dem 3. Weltkrieg mit thermonuklearem Holocaust, vorstellen, in dem der Kreml die Krim zurückgibt. Das wird nicht passieren. Über die Ostukraine wird man verhandeln können, im Sinne einer ukrainischen Verfassung, die dem Kreml Eingriffsmöglichkeiten gibt. Aber dort ist auch nicht Russland, auf der Krim schon. Die Zeit ist auf unserer Seite? Naja. Ich glaube, wir unterschätzen die Leidensfähigkeit der Russen und die Skrupellosigkeit des Kremls gewaltig. Die Krim ist nicht Teil des Great Game, sie ist „God`s own country“ oder heiliger russischer Boden. Oder anders: Das war es. Wenn es auf der Krim „wir“ gegen „die“ war, dann haben „wir“ verloren. Und wegen einer überrannten Stellung bin ich nicht bereit, 140 Millionen Menschen in eine wirtschaftliche Sahara Region zu verwandeln. Sie sagen „Die Sanktionen sind unser Mittel, wir wenden sie an; ob sie etwas bewirken, ist unerheblich.“ Natürlich werden sie etwas bewirken. Sie erinnern sich an Odessa-Inkasso, Russen-Mafia und die Invasion der osteuropäischen Bordsteinschwalben in den 90ern? War eine tolle Zeit, als Nutten im TV wie meine Cousinen hießen. Die Russen waren vor ein paar Jahren deutlich ärmer und genau das war der Grundstein für den Aufstieg Putins und die Wiederherstellung des Autoritarismus, nach dem sich nach 25Jahren Armut halb EU-Osteuropa zurücksehnt. Also, was macht uns heute glauben, dass Armut im Gegensatz zu den 90ern eine Katharsis zum Guten bewirken würde?
    Macht es nicht mehr Sinn, einen provozierenden Flieger über der Ostsee abzuschießen, die Cybertruppen aufzurüsten, Panzerbrigaden im Baltikum zu stationieren, die Georgier massiv aufzurüsten und letztlich die Tschetschen die Rückkehr aus Syrien zu ermöglichen, d.h. Gewalt als Option russischer Politik beenden, und aber gleichzeitig valide wirtschaftliche Kooperation anzubieten und die Russen mit Europa so viel zu verflechten wie möglich?
    Mit Sanktionen wird Russland ein Nationalpark, in dem sich russische Problembären ausleben und vermehren können. „Wenn das für die Sanktionierten egal ist, dann ist es uns auch egal.“ Ist es nicht. Die Sanktionen bewirken etwas, aber nicht das was wir wollen. Weil Westeuropa rumeiert, gründen Polen Paramilitärs, die bestimmt nicht Beethovens 9 singen. Osteuropa kippt gerade, weil wir uns scheuen, die Hände schmutzig zu machen, oder besser gesagt, einen Verbündeten zu verteidigen.
    Keinen Joghurt verkaufen ist nicht humaner, es ist nur im Moment bequemer.

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    …wie bei der EM: wenn die russischen Hooligans nochmal angreifen, wird die russische Mannschaft rausgeworfen. Ob das die Hooligans therapiert? Völlig egal!

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    Und was passiert, wenn wir ein U-Boot versenken? Sie glauben, dass die russischen Machos einknicken. Dass die sagen: „OK, nehmt hier bitte mit Grüßen zurück: die Krim! Verschont uns, ihr habt gewonnen.“ – Wie wahrscheinlich ist das? 50 Mann sind tot. (Keine Ahnung wieviel auf so einem U-Bott Dienst haben.) Vielleicht versenken die auch eins von uns? Man stirbt ja sowieso und nur einmal; den Luxus kann man sich gönnen. Dann sind 100 tot. Was machen wir? Versenken wir dann zwei? Wer ist hier der Obermacho? Und wer knickt ein, weil er nur normaler Macho ist? – Soll es darum gehen, wem sein Leben am liebsten ist?

    Wir müssen unsere Standards halten. Wer nicht mitmacht, ist draußen, spielt nur noch eingeschränkt mit. Ob das „da draußen“ was verändert, spielt keine Rolle. Wer mitspielen will, muss sich anpassen.

  11. avatar

    Stevanovic, wir müssen uns in erster Linie um uns selber kümmern. Wir sind weder Helden noch Mörder. Die Sanktionen sind unser Mittel, wir wenden sie an; ob sie etwas bewirken, ist unerheblich. Sie werden zumindest stören, das reicht schon. Irgendwann bewirkt die Störung etwas, da braucht man Geduld. Es geht nicht um die direkte Veränderung zum Guten. Soo gutmenschlich sollten wir nun auch nicht werden. Wir sollten nicht zu erzieherischen Zwecken Gewalt ausüben und zu Mördern werden, indem wir z.B. ein U-Boot versenken, auf dem 50 unschuldige Mann Dienst schieben. Ob die Sanktionen in Russland etwas bewirken oder nicht: Wir halten sie aufrecht, weil wir nur unter Bedingungen freien Handel treiben. Das tun wir um unserer selbst willen. Wenn das für die Sanktionierten egal ist, dann ist es uns auch egal. Wir sind keine Helden und keine Mörder, und die Zeit ist auf unserer Seite.

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    Kooperation statt Containment, das ist genau der Punkt. So wie der Vatikan in Jahrhunderten denkt und es ihm egal sein kann, ob in heutigem Deutschland etwas nach 2000 Jahren nicht mehr zeitgemäß sein soll, handelt der Kreml in ganz anderen Abständen als wir. Ob die Bevölkerung mal ein Jahrzehnt mehr oder weniger Gras essen muss, ist in diesem Zeitraum eine Fußnote. Erinnern sie sich an die Terrorwelle der Tschetschenen? Durch Geiselbefreiungen sind mehr Menschen umgekommen als durch Terroristen und bestimmt nicht, weil Russland nicht in der Lage ist, eine Operation zu koordinieren. Und da wollen wir Fleischtöpfe austrocknen? Das hat in Jugoslawien schon nicht funktioniert, hat aber einige meiner Verwandten in die Kriminalität gebracht. Macho-Kultur ist eine Art der Kommunikation und der Kreml, sowie auch die Erdogan-Türkei, kommunizieren auf diese Weise. Es geht also nicht darum, Containment zu betreiben, es geht darum, in eine Kommunikation zu treten. Im Gegensatz zu Herr Werner war für mich der Missglückte Feldzug der Georgier 2008 das Menetekel der Russlandpolitik. Im Gegensatz zu Jugoslawien, war Georgien ein direkter Angriff auf russische Truppen mit westlichen Waffen und Ausbildern und, egal wer schuld an irgendwas ist, war es eine Schmach, die für Russland nur mit viel Glück nicht zu einer Katastrophe wurde. Ich glaube, diese Ebene der Kommunikation haben wir nicht beachtet. Die sogenannte Einkreisung durch die NATO ist Kreml-Propaganda, der Georgienkrieg war echt. Das war ein Schock und hat Konsequenzen, nun zu besichtigen in der Ukraine. Bevor wir also kooperieren können, müssen wir kommunizieren und seit Georgien ist Gewalt ein Kommunikationsmittel, nur haben wir das noch nicht begriffen. Deswegen werden die Russen cool bleiben, wenn wir ein Flugzeug abschießen, sie wissen, wir wissen, dass keiner einen Krieg will. Um der Gewalt ein Ende zu setzen, müssen wir zur Gewalt bereit sein. Ich hoffe, sie verstehen mich nicht falsch, es geht nicht darum jemanden seinen Platz zu zeigen, dafür gibt es Verhandlungen. Es geht darum, sich Respekt als Gesprächspartner zu verschaffen.
    Die Sanktionen sind sinnlos und treiben die Bevölkerung in den Nationalismus. Das wirkt in Deutschland, wo ja alles mit (oh Gott!) Arbeitsplätzen verbunden ist, aber nicht im Osten. Der Kreml tötet russische Geiseln, um den Tschetschenen zu zeigen, dass er nicht erpressbar ist und die Russen finden das gut. Den Stuss können wir lassen, wir leiden mehr unter dem Gejammer deutscher Milchbauern, als der Kreml unter unseren Sanktionen.

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    @Stevanovic

    Kooperation statt Containment, das sollte „dem Westen“ doch nicht so schwerfallen, hat man sich in der Historie doch schon mit ganz anderen Kalibern arrangiert. „Demokratie, Freiheit, Menschenechte“ wurden/werden da ganz flexibel gehandhabt. Zumal er bei Russland eh an seine Grenzen stößt, hoffend, dass nach Putin ein weniger renitenter Kremlchef folgt. Die Aussicht auf die Fleischtöpfe in Russland wird „den Westen“ über kurz oder lang zur Besinnung bringen und einen Modus Vivendi mit Russland suchen lassen. Ukraine hin oder her. Ob das dann ein „Sieg Putins“ ist, darf aber stark bezweifelt werden.

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    Stevanovic: ‚… indem wir keinen Joghurt liefern, sondern indem wir zB ein U-Boot im Ärmelkanal versenken. Der Macho-Kult lebt von Stärke und deswegen ist er empfindlich für Schwäche.‘

    … *rofl*, werter Gen. Stevanovic, Sie ‚halbstarker Süßwassermatrose‘, bleibt zu erklären warum Sie ein Schiff, egal welches, das weder aufgespürt und abgefangen wurde, wie ‚halbstark‘ behauptet, sich also nicht versteckt, sondern sich ganz normal, im Rahmen internationaler Seerechtsübereinkommen, im Ärmelkanal bewegt, versenken wollen!?

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    Die seltsame Grenzziehung in Osteuropa darf man aber schon mal hinterfragen. Die größten Mächte, Deutschland und Russland, haben die größten Gebietsverluste erlitten. Da ist doch wohl was schiefgelaufen. Und nur weil der besoffene Jelzin alles unterschrieben hat, für ne Buddel Wodka, sollen die Russen jetzt ewig unter den ungerechten Grenzen leiden?
    Der Osten der Ukraine und der Norden Kasachstans sollte wieder zu Russland gehören, das können die beiden Staaten verschmerzen.

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    Wieder keine Zeit, nur paar Thesen
    Überrannte Stellungen verteidigen macht keinen Sinn…in der Ukraine ist die Lage, wie sie ist, ohne Krieg (den wir nicht führen wollen) nicht zu ändern…damit sollten wir leben lernen.
    Sanktionen machen keinen Sinn, weil sie dem Kreml egal sind – arme Russen sind keine Partner, sie sind eine Gefahr.
    Das einzige, das die Russen beeindruckt hat, war der Abschuss durch die Türkei und wenn wir jemanden in Russland zum Nachdenken bringen wollen, dann werden wir das nicht schaffen, indem wir keinen Joghurt liefern, sondern indem wir zB ein U-Boot im Ärmelkanal versenken. Der Macho-Kult lebt von Stärke und deswegen ist er empfindlich für Schwäche.

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    …was ich vergessen hatte zu sagen: Man sollte trotz aller Kritik nicht komplett auf Konfrontationskurs zu Russland schwenken, sondern den dortigen Instanzen immer einen Weg der Kooperation offenhalten. So wie es die deutsche Regierung auch tut. Putin ist außerdem kein Alleinherrscher, sondern Opportunist; sein innenpolitischer Entscheidungsspielraum scheint angesichts solcher Figuren wie Lebedew (und es gibt anscheinende viele andere dieser Sorte…) viel begrenzter zu sein als Sie es z.B. in der Überschrift suggerieren.

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    Wenn die Wahlen den demokratischen Mindeststandards (z.B. freie Berichterstattung im Wahlgebiet für russlandfreundliche wie auch für ukrainische Medien) nicht genügen, sollte und wird man sie auf westlicher Seite nicht anerkennen. Damit verbunden sind Einschränkungen des Handels, die Russland schaden. Derzeit verhalten sich die russischen Politiker noch wie angetrunkene Halbstarke, schlagen alle Konsequenzen in den Wind und machen so weiter. Irgendwann – wohl erst in einer späteren Politikergeneration – werden sie rationaler handeln. Vielleicht gibt es ja auch mal eine Frau in den russischen Politikerreihen.

    Aber: Dass die „Maschinen“ der „Nachtwölfe“ lauter „röhren“ und dementsprechend gefährlicher sind als z.B. die der „Hells Angels“, „Bandidos“ oder wie sie alle heißen, halte ich für unwahrscheinlich, zumal die Motorräder gar keine russischen Fabrikate sind.

    Die Äußerungen von Lebedew sind allerdings bezeichnend. Er bewundert „Muskeln“. Er hat bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit, russischer Männlichkeit, die anscheinend aus Muskeln, Tätowierungen, freien Oberkörpern und einem eklatanten Mangel an Hirn besteht. Mit solchen Vorstellungen wird Politik gemacht. Die gibt es hier aber auch. Auch deutsche Hooligans haben Muskeln, Tätowierungen, freie Oberkörper und wenig Hirn in der Birne.

    Darauf müssen wir achten, dass das nicht in unsere politische Kultur einsickert (egal ob in Bewunderung oder in Abscheu zu Russland). Da ist mir jedes komplizierte demokratische EU-Elitenprojekt lieber als eine primitive Volksherrschaft.

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    Ja, die Verrohung hat statt gefunden, und es ist sehr schwer für westliche Politik. Obama’s Bemerkungen und seine Ironie (Russland ist eben eine Regionalmacht) war zweifellos unklug (die USA haben das Gefühl für Europa leider schon lange verloren, die Republikaner sind sogar maximal schädlich in ihrem Glauben an etliche Macht).
    Leider kann kurzfristig nichts gelingen. Langfristig schadet sich Russland allerdings unglaublich, und Putin ist auch nicht unsterblich.
    Die kleinen Leute müssen diese unglaublich dumme Brutalität ausbaden, und die Menschen der Ukraine. Aber auch dort dominieren korrupte Politiker.
    Ich bin mir sicher, dass sich die westlichen Politiker und auch die Kanzlerin keine Illusionen machen. Wir sind schlicht machtlos gegen solche selbstschädigenden Marginalisierung.

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