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Woher kommt der Hass in Freital? – Publizistische Scharfmacher und ihre bürgerlichen Feigenblätter

Freital, Meißen, Halle, seit Samstag nun auch Dresden. Die Liste der Städte, in denen rechte Hetzer Asylbewerber bzw. Migranten in Angst und Schrecken versetzen, wird immer länger. Und die Übergriffe nehmen zu. Im ersten Halbjahr 2015 hat sich die Anzahl der Gewaltdelikte gegen Flüchtlingsheime im Vergleich zu den ersten sechs Monaten des Jahres 2014 fast verdreifacht.

Beunruhigend an dieser Entwicklung ist nicht bloß der quantitative Zuwachs von Anschlägen, die in den meisten Fällen wohl dem rechtsextremen Umfeld zuzuschreiben sind. Sorge muss vor allem bereiten, dass sich der Hass auch außerhalb der zwar brandgefährlichen, aber doch personell immer noch einigermaßen überschaubaren Neonazi-Szene ausbreitet. Immer häufiger findet sich, vor allem in den neuen Bundesländern, ein hasserfüllter Mob vor Asylbewerberunterkünften ein, um dort zu pöbeln, menschenverachtende Sprüche zu skandieren und wutverzerrte Gesichter bar jeder Empathie und Humanität zur Schau zu tragen. Wie ist das zu erklären? Wer hat diese Leute so angestachelt, dass sie sich nicht einmal schämen, wenn sie von Reporterteams gefilmt werden? Woher kommt diese rechte Agitation, die zwar (manchmal nur knapp) unterhalb des Rechtsextremismus angesiedelt ist, aber zugleich deutlich über rechtspopulistische Stammtischparolen hinausgeht?

Anfang des Monats traf Doreen Reinhard in der ZEIT ins Schwarze und erkannte zutreffend, dass diese Entwicklung „mit der Pegida-Bewegung zu tun“ habe. Die Autorin wies darauf hin, dass die Zeit der großen Demonstrationen der selbsternannten „besorgten Bürger“ in Dresden zwar vorbei sei, sich diese dafür aber „großflächig zu einer Art Filialbetrieb“ transformiert haben: „In kleinen, radikalen Einheiten drangsalieren Pegida-Anhänger – die schon immer aus der Provinz zu den Demos nach Dresden angereist waren – die sächsischen Kleinstädte, in denen sie zu Hause sind. Sie starten vor Ort Demonstrationen gegen Asylbewerber, laden prominente Pegida-Redner auf ihre Bühnen ein.“

Eine Entwicklung, die kein Zufall ist. Im Gegenteil. In ihr manifestiert sich eine schon länger verfolgte Strategie der Pegida-Protagonisten und ihres publizistischen Umfelds. Von Anfang an stand die Bewegung der sogenannten Neuen Rechten nahe, weshalb es nicht lange dauerte, bis sowohl in Dresden als auch beim Leipziger Ableger („Legida“) Götz Kubitschek, die zentrale Figur dieser Denkrichtung, regelmäßig als einer der Hauptredner auftrat. Auch die Pegida-OB-Kandidatin Tatjana Festerling ist dieser Szene zuzurechnen.

Die „Neue Rechte“ versteht sich als intellektuelle Strömung, die sich dezidiert von der „Alten Rechten“, sprich von Neonazis abgrenzt und sich stattdessen in die Tradition der „Konservativen Revolution“ der 20er und 30er Jahre stellt. Zu deren Protagonisten zählten vor allem Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck (Hauptwerk: „Das dritte Reich“) und Edgar Julius Jung (Hauptwerk: „Die Herrschaft der Minderwertigen“). Ungeachtet dieser Abgrenzung aber „marschieren neue und alte Rechte in ihrem Ekel Hand in Hand“, wenn es „um Egalität oder die multikulturelle Gesellschaft geht“, resümierte Marc Felix Serrao.

Fixpunkt der Neuen Rechten, aus dem heraus sich praktisch alle ihre Positionen ableiten lassen, ist der sogenannte „Ethnopluralismus“, mit dem nicht etwa eine innergesellschaftliche Vielfalt im Sinne von Multikulturalität gemeint ist, sondern eine möglichst große Homogenität verschiedener Rassen bzw. Kulturen. Aus diesem Grund kreist das Milieu unaufhörlich um die Bewahrung der „Identität“ bzw. um die „Verteidigung des Eigenen“ gegen „das Fremde“. Und pflegt dementsprechend große Aversionen gegen Zuwanderer und Asylbewerber. In der AfD hat diese Strömung durch ihre Vertreter Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider und André Poggenburg stark an Boden gewonnen und setzt inzwischen sogar die rechtspopulistische Frauke Petry unter Druck.

Während die AfD der Neuen Rechten als parteipolitisches Vehikel dienen soll, ist die Pegida-Bewegung für sie ein ideales Mittel, um ihr Gedankengut im vorpolitischen Raum zu verbreiten, was sie als „Metapolitik“ bezeichnet. Ziel ist es, „kulturelle Hegemonie“ zu erlangen, also die Gesellschaft gen rechts zu verschieben. Publizistisch besonders befeuert wird dieser Prozess von zwei zentralen Scharfmachern: Götz Kubitschek mit seiner „Sezession“ und André Lichtschlag mit seinem rechtslibertären Blatt „eigentümlich frei“.

Nischenblätter, könnte man meinen. Neben der „Jungen Freiheit“ aber leider Nischenblätter, die auch in bürgerlichen Kreisen gelesen werden. Und denen, sei es vielleicht aus gedanklicher Nähe oder vielleicht aus dem Wunsch heraus, auch am rechten Rand nach Lesern zu fischen oder vielleicht auch nur aus Naivität manche konservative christliche Autoren zu Salonfähigkeit und größerer Reichweite verhelfen: und zwar durch Interviews, eigene Texte, gemeinsame Auftritte oder Laudationes.

Kubitschek jedenfalls lässt keinen Zweifel daran, was er sich von Pegida erhofft: „Aus dieser riesigen Menge, die da seit fünf Monaten zusammengeströmt ist, müssen viele hundert kleinerer und größerer Initiativen gegründet werden“, darunter „Bürgerbündnisse gegen die Einríchtung von Asylheimen im Dorf“. Dabei sei der folgende „Impuls dahinter zum Thema“ zu machen: „Die Lage der Nation ist so bedrohlich, dass in jede Richtung nach Rettungsmöglichkeiten gesucht werden darf und muss.“

Als besonders bedrohlich sehen Kubitschek und sein Gefolge den von ihnen so bezeichneten „Großen Austausch“ an, also das angebliche Aussterben des „deutschen Volkes“ durch die Kombination von niedrigen Geburtenraten „autochthoner“ Deutscher und steigender Zuwanderer- bzw. Asylbewerberzahlen. Auf diese grotesken, Oswald Spengler in nichts nachstehenden Untergangsszenarien fallen immer mehr Leute herein, fühlen sich von einer imaginierten „Überfremdung“ bedroht und leben ihren so geschürten Hass zunehmend hemmungsloser vor Flüchtlingsunterkünften aus.

André Lichtschlag und sein „eigentümlich frei“ stehen Kubitschek in puncto Aufwiegelei in Nichts nach, auch wenn Lichtschlag sich selbst nicht näher mit der Flüchtlingsdebatte, dafür aber umso mehr mit seinen Aversionen gegen „das System“ und „die Herrscherkaste“ beschäftigt. Kein Wunder, dass beide sich jüngst zum gemeinsamen Gespräch zusammenfanden, das wiederum in der „Sezession“ publiziert wurde. Ein Déjá-Vu, denn bereits 2003 tauschten sich die zwei öffentlich aus und entwarfen die Skizze einer für ihre Ziele idealen Partei, die der heutigen Alternative für Deutschland (AfD) verblüffend ähnlich ist.

Anlass für das aktuelle Zusammenkommen der beiden Scharfmacher ist der Rechtsrutsch in der renommierten Hayek-Gesellschaft, den die ehemalige Vorsitzende Karen Horn publik gemacht hat. In diesem Zusammenhang fand sie mit Recht deutliche kritische Worte zu rechten bzw. rechtslibertären und reaktionären Medien wie eben auch „eigentümlich frei“. Lichtschlag ist deshalb nun pikiert und sieht alles ganz anders, was, wäre die Materie nicht so ernst, putzig wirken könnte, weil er im Gespräch mit Kubitschek genau die Agitation an den Tag legt, die Horn so irritiert. Was Leute wie ihn so gefährlich macht, zeigen die folgenden Ausschnitte in aller Deutlichkeit: „Das Establishment und seine Hilfstruppen grenzen sich ab von denen, die grundsätzliche Systemänderungen wollen und die Mächtigen also in ihrer Position ernsthaft herausfordern“.

Eine fundamentale Änderung der gesellschaftlichen und politischen Koordinaten wünscht Lichtschlag sich also. Da ist es kein Wunder, dass er sich – szenetypisch – für Pegida begeistert, weil die Dresdner Teilnehmer „die Maulwerker in der Politik“, „deren Freunde von der ‚Lügenpresse‘“ und „das System herausforderten.“ Dem eigenen Milieu rät er gar, ebenso wie die Pegida-Demonstranten „jedes Gespräch mit der Herrscherkaste“ abzulehnen, in der sich „längst Angst und Panik breit[mache]“. Ohne Zweifel: Hier ist jemand klar auf Konfrontationskurs zu unserer politischen und gesellschaftlichen Grundordnung. Hier will jemand etwas fundamental Anderes. Hier stellt jemand die Systemfrage. Wie gefährlich und destabilisierend eine solche Verächtlichmachung ihrer politischen Repräsentanten für eine Demokratie sein kann, hat Alan Posener an dieser Stelle unter Berufung auf Hannah Arendt eingehend dargelegt.

Jeder bürgerliche Autor, der sich mit neurechten bzw. rechtslibertären Scharfmachern wie Lichtschlag und Kubitschek publizistisch einlässt und diese damit aufwertet, muss sich mithin bewusst sein, das er damit zumindest indirekt zur Ausbreitung ihres Gedankenguts beiträgt. Dies gilt in besonderem Maße für Hans-Olaf Henkel. Wenn er seine zuletzt scharfe Abgrenzung von den „Rechtsideologen“, wie er sie nennt, wirklich ernst meint, sollte er seine Autorenschaft bei „eigentümlich frei“ überdenken. Andernfalls würde diese Abgrenzung bei ihm, dem Sarrazin-Unterstützer der ersten Stunde, künftig ziemlich wohlfeil wirken.

Ansonsten gilt es auch weiterhin genau hinzusehen und den Hass in Freital und andernorts nicht nur als Phänomen wahrzunehmen, sondern offenzulegen, wer ihn mit welchem Ziel befeuert. Nur so kann man verhindern, dass sich das neurechte und rechtslibertäre Gedankengut immer weiter in die bürgerliche Mitte hineinfräst.

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107 Gedanken zu “Woher kommt der Hass in Freital? – Publizistische Scharfmacher und ihre bürgerlichen Feigenblätter;”

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    FAZ liest ‚derblondehans‘ by ’starke-meinungen‘ und ergänzt:

    Die Flüchtlingsindustrie

    ‚Deutschland ist für Flüchtlinge das Land der Träume. Und für viele Deutsche sind Flüchtlinge eine traumhaftes Einnahmequelle. Einblicke in ein Milliardengeschäft.

    Es geht um Milliarden, und von diesem Kuchen wollen nicht nur Hoteliers etwas abhaben: Baufirmen, Heimbetreiber, Planungsbüros, Sicherheitsfirmen, Wohlfahrtsverbände – die Liste der Profiteure ließe sich fortsetzen.‘

    … no comment

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    @Gesunder Menschenverstand
    Ihre Fragen sind wohlfeil: Wir wissen es nicht, was passiert wäre, wenn ‚die Koalition der Willigen‘ nicht in Libyen, Irak eingegriffen hätte. Afghanistan ist dem Ost-West-Konflikt zum Opfer gefallen, aber Syrien hat 220000 Tote im ‚Bürgerkrieg‘ zu beklagen – durch Nichteingreifen. Deutsche Brunnen beeindrucken da wenig. Dem ‚Westen‘ und ‚Amerika‘ wahres Gutmenschentum zu unterstellen halte ich für hochgradig naiv (natürlich geht’s ganz machiavellistisch um eigene Interessen), aber den einschlägigen Diktatoren Gefahrlosigkeit zu attestieren genauso. Die westliche Realpolitik wartet da – aus eigenem Interesse – schon recht lange (zu lange?) mit dem Eingreifen.
    Nun ja, und:
    „In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der Iran, in dem es dem Westen nicht gelang, einen Bürgerkrieg oder Putsche anzustiften, als einer der wenigen Staaten im Nahen Osten kein failed state ist.“
    Wirklich nicht?? Und ich kenne seit Khomeneis Zeiten Exil-Perser und die erzählen mir aber was ganz anderes..

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    Drei Fragen an Sie, Frau Bednarz:

    Sind Sie für oder gegen die weitere Beibehaltung des Euros?

    Sind Sie für oder gegen die Homo-Ehe?

    Sind Sie dafür oder dagegen, daß Wirtschaftsflüchtlinge abgeschoben werden?

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    … liiiebe Fr. L.B., nun auch Springer, BILD und Buschkowsky gaaaanz weit räääächts?

    Fernöstliche Triaden, albanische Gangs, die sogenannte Russen-Mafia, alle haben Platz genommen. An der Spitze der Berliner Unterwelt stehen aber unangefochten die arabischen Großclans.
    Sie bestimmen die Regeln und setzen sie brutalst und wenn es sein muss auch mit Waffengewalt durch. Die Geschäftsfelder sind penibel aufgeteilt. Drogen- und Menschenhandel, Schmuggel, Auto-‚Export‘, Prostitution, Einbruch, Raub, Diebstahl, Geldwäsche, Betrug. Das volle Programm. Scheinbar ungestört und unbehelligt ziehen sie ihre Kreise.

    DAHER: ‚Two thousand years ago the proudest boast was ‚Civis Romanus sum‘. Today, in the world of freedom, the proudest boast is ‚Ich bin ein Freitaler‘.

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