avatar

Warum schweigt der PEN zur Griechenlandhetze? Ein offener Brief an den Präsidenten des deutschen PEN 

Von Willi Jasper
Lieber Josef Haslinger,
wo bleibt das politisch-moralisch-intellektuelle Engagement des deutschen PEN in der aktuellen Krisensituation Europas? Warum schweigt der PEN in einer Situation, in der sich deutsche Journalisten “reihenweise zu pöbelnden Parteigängern” (Georg Diez) gegen Griechenland aufschwingen. Die Bildzeitung (online)  bemühte ohne Kenntnis und Scham sogar Goethe, um den zurückgetretenen Finanzminister Varoufakis mit Mephisto zu vergleichen.

Solche verständnislosen Vergleiche haben Tradition in Deutschland. So hat schon Wilhelm Marr, der Erfinder des Begriffs “Antisemitismus” in der Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner Zeitschrift “Mephistopheles” vor der Bedrohung durch “überlegene Untermenschen” gewarnt. Goethes “Faust” ist immer noch das moralische Lehrstück der Deutschen schlechthin. Vor allem die brutale Beseitigung der “anachronistischen” Mythenfiguren Philemon und Baucis erscheint wie ein Menetekel für die aktuelle Forderung nach griechischen “Strukturreformen”. Im antiken Original lässt Ovid die Hütte der beiden Alten vergolden, während sie bei Goethe auf Anweisung von Faust verbrannt wird. Erstaunlicherweise werden in der aktuellen Rezeption die Schandtaten aber immer nur Mephisto angelastet, während man Faust für einen erfolgreichen, modernen “Global Player” hält.
Entgegen diesen Darstellungen ist nicht Faust der “moderne Intellektuelle”, sondern Mephisto. Goethes Teufel passt mehr zur französischen (und südeuropäischen) Tradition als zur deutschen. So ist es nicht verwunderlich, dass das romanische Programm eines “L`Empire Latin” (also ohne Deutschland) in Südeuropa auf immer mehr Zuspruch stößt. Diesem Credo entspricht die Erkenntnis, dass die gegenwärtige Finanzkrise Europas vor allem eine Kulturkrise ist und ökonomische (Fehl)entwicklungen mehr mit Moral als mit Mathematik zu tun haben. Zu demonstrativ geben deutsche Politiker zu erkennen, dass sie egoistische Fiskalmanipulationen für wichtiger halten als ökonomisch-ethische Morallehren.
Die neuen Gesellschaften Europas brauchen für ihre humanen Projekte und Entwürfe mehr denn je den freien und einklagenden Geist der kritischen Intellektuellen, der zu politischen Gesellschaft gehört, wie Mephisto zu Faust. In diesem solidarischen Sinn möchte ich an mehr mephistophelisches Engagement des PEN apellieren
und grüße herzlich
Willi Jasper
Willi Jasper ist Autor vieler Bücher zur deutschen Kulturgeschichte. 1998 erschien bei Rowohlt Berlin „Faust und die Deutschen“.
Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

5 Gedanken zu “Warum schweigt der PEN zur Griechenlandhetze? Ein offener Brief an den Präsidenten des deutschen PEN ;”

  1. avatar

    @Johanis
    BILD..das Fachblatt für angewandte Massen-Psychotherapie von deutschen Neurosen:
    Aktuelle Schlagzeile: „Merkel rettet Griechenland mit unserem Geld.“

  2. avatar

    Auch wenn es der BILD vielleicht kaum einer zutraut: handelt es sich um einen mephostophilischen doppelten Rittberger? Schließlich wechselte diese Redaktion schon manches mal zwischen Hetze und antirassistischer Erziehung.
    Und ein Herz für Kinder hat sie doch auch 😉

  3. avatar

    Hier wurde mir wieder unbarmherzig vor Augen geführt, daß ich kein Intellektueller bin:

    Ich hab kein Wort verstanden und weiß nicht was der Mann eigentlich will.

  4. avatar

    Was für ein Schmacht.
    Der freie und einklagende Geist des Intellektuellen ist ja bisher vor allem dann zur Stelle, wenn Fiskalmanipulationen zu eigenen Gunsten erfolgen sollen. Wenn nicht, steht selbstverständlich die Kulturkrise vor der Tür. Sich in den Streit um das Geld anderer Leute einzumischen ist daher banal und abzulehnen.

    Was die ökonomischen Krisen betrifft , haben diese nur mit Mathematik zu tun, das beweist täglich jeder levantinische Teppichhändler. Der Markt kennt bekanntlich keine Moral, nur Gewinne. Wer keine macht geht unter. Was wiederum dem subventionsgestählten Intellektuellen in dieser Brutalität ein Graus ist, denn er verachtet den nördlichen Menschen, der sein Brot im Schweiße des Angesichts verdient, wohingegen er dem Bewohner Arkadiens das lustvolle Verständnis des Kumpanen auf ein ökonomisch-ethisches Auskommen gewährt.

    Merke: Deutsche Finanzmanipulationen sind egoistisch, Lateinische hingegen moralisch hochstehend und daher zu begrüßen. Das walte Mephisto.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top