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Die Vereinten Staaten von Europa

Wohngemeinschaften funktionieren nicht, insbesondere wenn drei der fünfzehn oder zwanzig Genossen einkaufen und den Müll rausbringen, während andere drei auf Kosten der Gemeinschaftskasse auf der faulen Haut liegen. Es gibt Ärger, wenn die Partyfraktion noch beim Bier sitzt, während die Streber frühstücken wollen, weil sie zur Arbeit müssen. Irgendwann besteht der restliche Wohlstand der Kommune nur noch im Leergut.

Zu Gemeineigentum darf man gemein sein, nur Privateigentum zwingt in die Verantwortung; das ist die ganze bittere Erfahrung der Kommunenkultur. Man muss zugeben, dass das schade ist, aber der Kommunismus hat neben allen schönen Visionen einen entscheidenden Nachteil: Er funktioniert nicht.

So krass sind die Dinge in Europa nicht. Die Mitgliedsstaaten werden von einer Schuldenkrise in die Knie gezwungen, nicht von faulen Griechen, die man gegen die fleißigen Deutschen ausspielen könnte. Wir sanieren eine geplatzte Bankenblase auf Kosten der Steuerzahler. Und wie bei allen kapitalistischen Kapriolen ist das Geld nicht vernichtet; es gehört nur jemand anderem.

Wir lernen, dass man dazu eine Liechtensteiner Stiftung in eine in Hong Kong wandelt, die man dann nach Singapur verfrachtet. Wie auch immer. Das ist eine andere Geschichte. Es geht um die europäische Idee. Und damit das Ende der Nationalstaaten.

Was soll Europa uns sein? Wir scheuen seit den Gründungstagen vor einer Konsequenz zurück: einer europäischen Zentralregierung, die die Souveränität der Mitgliedsstaaten aufhebt, jedenfalls einschränkt. Das ist die Lebenslüge des europäischen Traums. Eine Europäische Gemeinschaft kann nur als einheitlicher Rechts- und Wirtschaftsraum funktionieren, wenn sie Staatsgewalt gegen ihre Regionen, früher Nationalstaaten, gewinnt.

Ja, dann würden wir aus Brüssel regiert. Von einem paneuropäischen Regierungsmoloch. Ob der dann von einem europäischen Parlamentsmoloch so kontrolliert werden kann, das man von Demokratie reden kann, das ist die Kardinalfrage.

Wie nimmt eine solche Mega-Vereinigung die Menschen mit? Schon die Nationalstaaten scheinen zu groß. Belgien zerfällt ins Flämische und Valonische.  Italien hat einen zerreißenden Nord- Süd- Gegensatz. Wir haben mittel- und osteuropäische Mitgliedsstaaten, zu denen wir nicht mal die Grenzen öffnen wollen. Den Euro wollen Engländer und Norweger schon heute nicht. Ist Norwegen überhaupt in der EU?

Das Problem  erklärt die Kybernetik. Ab einergewissen Größe sind die Dinge gar nicht steuerbar, selbst wenn man den Steuerungsaufwand dramatisch erhöht. Wenn die Regelstrecke  zu komplex wird,  ist sie auch durch eine Überregelung der Regler  nicht mehr steuerbar. Zu komplexe Systeme enden im Chaos. Da hilft nicht mal mehr eine Diktatur.

Was wird die Kunst Europas sein? Subsidarität. Möglichst viel möglichst weit unten regeln. Leviathan. Möglichst große Gewalt bei wenigen Kompetenzen an der Spitze. Das wäre zum Beispiel der Verschuldungsspielraum in einer Währungsgemeinschaft. Schon da haben alle versagt.

Wer mehr Macht für Brüssel will, wird Brüssel Macht nehmen müssen. Es ist unerträglich, dass dort entschieden wird, welche Glühbirne ich benutzen darf und welche Form die Gurken haben dürfen, während man die Staatsverschuldungen durchwinkt.

Die Vereinten Staaten von Europa haben nur dann eine Chance, wenn aus dem breiten Moloch ein schlanker Leviathan wird.

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20 Gedanken zu “Die Vereinten Staaten von Europa;”

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    Die Leute in der DDR kannten ihre Obrigkeit im Politbüro wenigstens noch mit Namen. Wer kennt schon die Tyrannen in Brüssel?

    Seien wir doch ein klein wenig ehrlicher, vergewaltigen wir nicht gar zu sehr das, mittlerweile, Unwort Demokratie und nennen das Ganze die Diktatur einer anonymen Clique.

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    … auf achgut gefunden:

    Merkel als Totengräberin unserer Demokratie:

    ‚Das System M etabliert eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung, die Deutschland so noch nicht kannte. Die Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts boten andere Erfahrungen, was den politischen Stil angeht – obwohl die Anklänge nicht zu leugnen sind: die Marginalisierung der Parteien, der Themenmix aus enteigneten Kernbotschaften anderer Lager in der Hand der Regentin; ihre Nonchalance im Umgang mit dem Parlament, mit Verfassungsgarantien, Rechtsnormen und ethischen Standards.‘

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    @ Jan Z.Volens
    Danke. Meinte aber auch Indien. Die schlimmsten Bilder kommen aus Indien. Indien ist normalerweise Selbstversorger und muss möglicherweise importieren.
    Außer den Getreidepreisen, auf die – Zynismus maximus – spekuliert wird, ist auch vorhersehbar, dass die Rindfleischpreise steigen. Die mangelnde Moral auf diesem Sektor ist nicht zu überbieten. Zum Glück sind wenig Leute bereit, Getreide in den Tank zu schütten.

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    @Parisien: Berichtigung – die Rekordernte bezieht sich auf 2012 (nicht 2011) und auf Brasilien (nicht auch Argentinien). Soja-Ernte 2012-13 fuer Brasilien: 86.5 Millionen Tonnen, fuer USA: 75.0 Millionen Tonnen. Im „Westen“ Brasilien – unendlich flach – entstehen neue Staedte als Agrarzentren. Das sind meist Familienunternehmen welche schon seit Generationen Erfahrung hatten im „alten“ Brasilien – dem „Sueden“. Sieh CONHECA VELHENA und SAO LUCAS DO RIO VERDE.

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    &Parsisien: Brasilien (und Argentinien ) wieder neue Rekordernte 2011 – fuer Soy, Mais usw. Das erscheint auch nicht in der deutschen Presse: Brasilien spendet jedes Jahr ZEHNTAUSENDE TONNEN Lebensmittel an Laender in Afrika, Mittelamerika und Karibik. Venezuela liefert Oel an Mittelamerika und die Karibik zu Preisen weit unter dem Markt – oder tauscht fuer Agrarprodukte. Und Venezuela – durch seine CITGO Oilrefinerien in Texas – spendet jeden Winter kostenloses Heizungsoel an 200,000 arme Haushalte in USA, an Sozialeinrichtungen in USA, und Indianerreservationen in USA.(Verteilt von „Citizens Energy Corporation“ gegruendet und geleitet von JFKs Neffe Joseph Kennedy). Kuba sandte 750 Aerzte nach Haiti, und bietet kostenlose Ausbildung als Aerzte an tausende arme Studenten von Afrika, Latein Amerika, sogar von USA. Die Aerzte fuer Ost-Timor und die Saharaui Republik – werden heute kostenlos in Kuba ausgebildet. Kurz: Auserhalb „Germany“ dreht sich nicht alles um und von der USA.

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    @Moritz Berger
    „Nur wo bleibt z.B. Ihre Kritik an den Mega-Unternehmen?
    Gelten da die Gesetze von Norbert Wiener nicht?“

    Die Betrachtung der (kybernetischen) Steuerbarkeit und Effizienz von Strukturen erfolgt auch hier leider nur im altbekannten rechts-links-Pingpong-Schema, insbesondere auch bei Achgut. Sie scheinen da eine Ausnahme zu sein, auch wenn ich Ihnen wahrscheinlich nicht immer zustimmen würde. Tatsächlich scheinen mir Großunternehmen genau die gleichen Fehler zu machen, wie die Staatswirtschaft. Das (so sehe ich es) allgegenwärtige Prinzip des Kapitalismus (die Endung -„ismus“ stimmt hier nicht) auf wenige große „Player“ reduziert.

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    @ derblondehans

    „“Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß, Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.” – Johann Wolfgang von Goethe“

    Soll heißen: Wer nie etwas Schweres, scheinbar Unlösbares, erlebt hat, eine Situation, in der er anfing, Gott anzurufen, kennt sie nicht, die himmlischen Mächte. Kein Firlefanz.

    Gestern las ich viel Geschwafel über die Dürre in den USA und in Indien. Die Bilder von der Dürre müssen einem die Tränen in die Augen treiben, und das Brot sollte einem im Hals stecken bleiben. Tanken Sie keinen Biosprit, falls Benziner.

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    Hm … ist schon ’ne Weile her, dass ich Alan Posener vorgeworfen habe, er kockse. Nun scheint Klaus Kocks zu posenern. (Was in gewisser Weise gar nicht schlecht ist, da Posener sich, im Gegensatz zu Kocks, neuerdings doch etwas euro-skeptisch erweist. )

    Jedenfalls würde ich Klaus Kocks, „gestandener Publizist“ : „Diese schwätzende Soziokultur der Bloggerei (“chatting classes relaoded”) finde ich zum Kotzen“ … jedenfalls würde ich Klaus Kocks, wenn er hier bloggen und (sich) auf dem Blog vor dem Mini-Publikum des Blogs nicht nur publizieren würde, gern fragen, was das Veröffentlicht in Alan Posener, Klaus Kocks unter seinem Beitrag auf der Frontseite zu bedeuten hat. Kann dazu jemand (an Kocksens Stelle) (s)eine Idee bloggen bzw. („reloaded“) chatten?

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    @Backhaus

    nur zur Ergänzung:

    wenn Sie schon Herrn Kocks hier kritisieren,

    dann dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass seit 1992 der EWR existiert, der zwar u.a. Norwegen als Mitglied hat, aber nicht die Schweiz.

  10. avatar

    @Kocks

    Analog Orwell heißt es bei Ihnen:

    Privateigentum gut
    Gemeinschaftseigentum schlecht

    Ganz nebenbei:

    Seit über 150 Jahren gibt es Genossenschaften in Deutschland.

    Diesen Satz von Ihnen:

    „Ab einergewissen Größe sind die Dinge gar nicht steuerbar, selbst wenn man den Steuerungsaufwand dramatisch erhöht. Wenn die Regelstrecke zu komplex wird, ist sie auch durch eine Überregelung der Regler nicht mehr steuerbar. “

    kann ich auch unterschreiben.

    Nur wo bleibt z.B. Ihre Kritik an den Mega-Unternehmen?
    Gelten da die Gesetze von Norbert Wiener nicht?

  11. avatar

    Solange nicht bedeutende Politiker in Brüssel das sagen haben, sonder z.B. nur abgehalfterte Deutsche Bundespolitiker mit hohem Salär nach Brüssel entsorgt werden, wird das vereinigte Europa bei mir keine Akzeptanz finden.

    Das Personalproblem gehört nämlich in diesem Europa-Theater an die erste Stelle!

  12. avatar

    j.z.v.: “Wer nie sein Brot ohne Traenen ass, der kennt euch nicht ihre himmlischen Maechte!”

    „Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß, Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.“ – Johann Wolfgang von Goethe,

    „Wer nie sein Brot mit Tränen aß – kennt euch nicht
    „Wer nie sein Brot ohne Tränen aß – kennt euch (auch) nicht

    … nie mit Tränen, nie ohne Tränen … ??? – Firlefanz von Goethe. Oder?

  13. avatar

    Es hat viele Epochen in der Geschichte Mitteleuropas gegeben in welchen die Menschen stoehnten: „Wer nie sein Brot ohne Traenen ass, der kennt euch nicht ihre himmlischen Maechte!“ — und diese Menschen haetten wehmuetig gelaechelt, wenn ein Witzbold gesagt haette: „Kinder – eines Tages werden sich alte Herren darueber graemen dass sich Politiker in einen ueberernaehrten Europa um die Form der Gurken kuemmern!“ (Um die Vergangenheitsform des Wortes „essen“ = „ass“ (Indicative past) zu schreiben, musste ich mich aufraffen und „WEBSTER’S NEW WORLD 575+ German Verbs“ suchen…).

  14. avatar

    Norwegen ist mit der Schweiz in der EFTA (das könnte man aber wissen, als Wirtschaftsingenieur).
    Die Vereinigten Staaten von Europa sind für die meisten ClubMed-Staaten und die Grande Nation überhaupt kein Thema, wieso wird dies immer aufs Tablett gebracht?
    Zitat:“Zu komplexe Systeme enden im Chaos.“
    …und zu Ostern kommt der Osterhase?
    Glauben ist ja schön, aber Unsinn wird nicht dadurch genießbarer, indem man ihn beliebig nacherzählt? Ein bisschen Abstand könnte man schon auch zur „Wissenschaft“ wahren, vor allem, wenn sie eine sozialwissenschaftliche ist?

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    @Klaus Kocks „Es ist unerträglich, dass dort entschieden wird, welche Glühbirne ich benutzen darf und welche Form die Gurken haben dürfen, während man die Staatsverschuldungen durchwinkt.“
    Ja sicher. Schuld daran sind aber die Nationalregierungen, die keinen anderen Konsens für Brüsseler Aufgaben finden. Und was macht eine Bürokratie, die keine wesentlichen Aufgaben hat? Sie sucht sich welche zwecks Existenznachweis.
    Ansonsten regieren IWF und Bankenrettungs-Logik in Europa, wovon Deutschland derzeit noch profitiert. Bis die China-Blase platzt.

  16. avatar

    Das wird schon! Aber es wird noch einige Jahrzehnte benoetigen – wahrscheinlich in kommenden Generationen wird ein verlinktes Europa bestehen. Aber in der Zwischenzeit – wird sich die nationale Einheit in einigen Nationen veringern – Schottland, Katalonien, Euzkadi (die Region der Basken) – werden sich sicherlich weiter unabhaengiger entwickeln. In Italien, Belgien, Britanien wird mehr Regionalismus entstehen. Auch das ewige Bayern wird sich gegen die „Saupreissen“ erzuernen! Aber kommende Generationen werden sich fuer ein „einiges“ Europa entscheiden – wahrscheinlich vor dem Ende dieses Jahrhunderts. In der Zwischenzeit ist die uneinige und kritische Situation in Europa ein grosses Glueck fuer Lateinamerika, Asien und Russland: Die Europaer haben weniger Drang ihre neokolonialistischen Nasen in die Angelegenheiten dieser Nationen zu stecken. Wie Brasiliens vorheriger Praesident Lula da Silva das am Belo Monte Hydroelektrikstaudamm gesagt hat: „KEIN GRINGO SOLL SEINE NASE HINEINSTECKEN WO ER NICHT GERUFEN WURDE!“ Also einigt euch erst einmal auf eueren Heimatkontinent – anstatt „Schutzmaenner“ zu spielen am Kunduz oder am Amazonas!

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