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Wie gerecht ist gerecht?

In Sachen soziale Gerechtigkeit ist Deutschland Mittelmaß. Das attestiert die Bertelsmann-Stiftung der Erfindernation der sozialen Marktwirtschaft. In einer großen Studie unter den 31 Ländern der OECD, das sind die Industrie- und Schwellenländer, ist Deutschland auf Platz 15. Nicht gut und nicht schlecht also – ist das schlimm?

Nein, ist es nicht. Das Ergebnis der Studie spiegelt im Wesentlichen den Weg wider, für den sich Deutschland selbstbewusst und vernünftig entschieden hat: zwischen den Umverteilungsstaaten Skandinaviens, in denen Einkommen und Vermögen hoch besteuert werden, einerseits  – und dem angelsächsischen Modell, in dem Ungleichheit kaum mehr als Ansporn sein soll, selbst mehr zu leisten. Deutschland hat sich für den Mittelweg entschieden, für die soziale Marktwirtschaft. In diesem Modell ist es zwar auch nicht angenehm für die Betroffenen, wenn die soziale Ungleichheit zunimmt. Aber es ist kein Sündenfall. Schlimm ist es, wenn der Einzelne keinen Einfluss mehr darauf hat, ob er etwas leisten darf oder nicht.

Hier liegt der wirkliche Skandal: Deutschland investiert zwar eine Menge Geld in Bildung, doch ist das Land immer noch nicht gut darin, Kinder aus armen und ungebildeten Familien für die Schule fit zu machen. Deutschland bezahlt jede Menge Geld für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen – und doch sind die Aussichten, wieder einen Job zu finden, denkbar schlecht, wenn man länger als ein Jahr ohne Job war.

Das sind die wahren Gründe für den Mangel an Gerechtigkeit: Es ist nicht verheerend, eine Weile lang arm zu sein. Hier ist die Allgemeinheit auch nicht in der Pflicht, über das Existenzminimum hinaus für Betroffene zu sorgen. Schlimm ist es, arm bleiben zu müssen. In Deutschland bekommen vor allem arme Menschen Kinder. Diese Kinder haben wenig Aussichten, später einmal gebildet und reich zu werden – selbst wenn sie intelligent sind.

Das ist die echte Ungerechtigkeit –  die alle anderen Ungerechtigkeiten in den Schatten stellt. Sie kann den erfolgreichen Mittelweg in eine abschüssige Bahn verwandeln.

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4 Gedanken zu “Wie gerecht ist gerecht?;”

  1. avatar

    Lieber Christian Edom, das mit der „materiellen Versorgung“ ist doch schon vorbei. Das war vielleicht, wenn man großzügig ist, bis 1997 so… Spätestens seit 2002 (Rot-Grün) ist das doch Geschichte. Zumal die Erhöhungen im Sozialbereich was Lebensmittel angeht, seit dem immer niedriger sind als die Inflationsrate. – Das ist auch geschickt eingefädelt. – Arme kaufen nicht den Durchschnitt des „Warenkorbs“.

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    Den Artikel braucht man schon nach dem zweiten Absatz nicht mehr weiterzulesen: denn dort taucht das magische Stichwort „Bertelsmann-Stiftung“ auf. Es wäre sinnvoller, über deren Machenschaften und Verwicklungen zu berichten statt ein Wort über deren „Studien“ zu verlieren.

  3. avatar

    Also der Satz „In Deutschland bekommen vor allem arme Menschen Kinder“ ist mit „vor allem“ problematisch. Wer über 50 ist oder von Altersarmut betroffen ist, bekommt keine Kinder mehr. Treffender als Armut ist oft das Wort „Elend“. „Vor allem“ ist so ein verbreitetes Gefühl. Wer nichtmal eine Ausbildung hat, bekommt Kinder eben früher. Und wer (als Frau) keine stabile Parterschaft – auch aus Mangel an kulturellen Praktiken – aufbauen, bekommt halt öfter ein Kind. Das Gift der Hoffnungslosigkeit und Verwahrlosung, der Lieblosigkeit, auch einer Armutspolitik, die nur auf materielle Versorgung und nicht Seelsorge setzt, ist das wahre Elend. Die Allgemeinheit ist sehr wohl in der Pflicht, über das Existenzminimum das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern.

    Wenn sich die Mittelschicht mit aller Kraft gegen Aufsteiger von Unten wehrt, alles an Distinktion mobilisiert was geht, wie soll der Staat das mit Leichtigkeit korregieren?

    Im deutschen Bildungssystem geht es eben nicht nur um Grundfähigkeiten bei 15jährigen, wie sie PISA testet, sondern um Bildung. Und Bildung formt die Seele, gibt dem Habitus Stärke. Den Mangel an bestimmten Erfahrungen kann das brave Lernen und Reproduzieren von Informationen. Pädagogik müsste auch solche Differenzen zwischen sozialen Gruppen etwas veringern. Also auch bei Sport oder in musischem und künstlerischen Bereich.

    Es ist unrealistisch, Deutschland an den kleinen skandinavischen Staaten zu messen. Deutschland muss seinen eigenen Weg und eigenes Optimum suchen, entscheiden und verantworten. Schlecht wäre aber, wenn Deutschland in einer Pfadabhängigkeit stecken würde, die soziale Pfade nicht wieder aufbrechen kann, die nur Hoffnungslosigkeit und Lethargie, aber keinen Ehrgeiz und Hoffnung am Horizonz nach Aufstieg und Verbesserung freisetzt.

    Richtig ist: Wenn die Kinder von Personen, die aus Armut und Elend früh Mutter oder Vater geworden sind, später Chancen auf 12 Jahre Schule und/oder Studium haben, wird sich der Pfad der unterschiedlich verteilten Geburtenfreudigkeit korregieren.

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