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Die Christenheit oder Europa – das Projekt Multi-Kulti

Von Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur „The European“:

Die Renaissance erblickte in der Antike ihr Urbild. Die Zeit zwischen den beiden Epochen wurde folgerichtig Mittelalter genannt. Die Reformatoren blickten auf die frühe Kirche. Die Zeit des römischen Papsttums war eine Zeit des Niedergangs. Die Romantiker blickten wiederum voller Sehnsucht auf das Mittelalter und sehen in der Reformation und der Französischen Revolution einen kulturellen Bruch. Die Nazis drehten das Rad ganz groß: zurück in die germanische Vorzeit. Die gesamte europäische Geschichte war für sie eine Verdunkelung: Die Christianisierung hat den Menschen verweichlicht. Nietzsche grüßt freundlich herüber.

Die zyklische Wiederkehr der Verklärung des Vergangenen und seine Projektion auf die Zukunft gehören zu den Topoi der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. Zwischen den beiden idealisierten Zeitabschnitten gibt es in der Regel eine degenerierte Zeit, in der die Menschen vom rechten Weg abkommen.

Diese Denkfigur kehrt im Moment wieder. Überall in Europa kommen rechte Parteien an die Regierung oder stützen eine. Ihnen allen gemeinsam ist die Betonung des christlichen Erbes des Kontinents. Ihr Feindbild ist der Islam. Die Zeit des Multikulturalismus ist ihre Epoche des Niedergangs.

Wie ist das mit den Projektionen in die Vergangenheit und in die Zukunft? Der Blick zurück ist einer, der Identität stiften soll. So wie die Früheren, so wollen auch wir heute leben, das ist der Anspruch. Die biblische Forschung hat in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts immer wieder nach dem “historischen Jesus” gefragt. Er ist nicht auffindbar. Denn der Jesus, der den Wissenschaftlern in der biblischen Geschichte entgegentritt, ist immer schon der Christus: eine Glaubensgestalt, deren Leben von Ende her rückwärts erzählt und gedeutet wird. Dasselbe gilt für unser Mittelalterbild. Was wir heute davon allgemein zu wissen glauben, geht im Wesentlichen auf die Vorstellungen der Romantiker zurück. Wie die Menschen im Mittelalter wirklich dachten? Wir wissen es nicht.

Das Produkt von Idealisierungen sind Mythen. Auch Mythen können Identität stiften. Eine aktuelle Idealisierung ist die des christlichen Erbes. Was genau damit gemeint ist, bleibt unklar, wenn politische Parteien das rechte Spektrum mit dieser Vokabel sondieren und konservative Parteien mit diesem Begriff Wählerschichten zu stimulieren suchen. Zu Zeiten der Glaubenskriege waren alle Bewohner des Kontinents Christen, zur Zeit der Französischen Revolution auch. Nahezu alle Bewohner Deutschlands waren Christen, als Hitler die Macht ergriff. Es waren genauso viele, als das Tausendjährige Reich unterging. Was sagt das über das Christentum – nein: über die Christenheit – aus?

Die rechten Parteien der Gegenwart können aus dem Nationalismus keinen Honig mehr saugen. Das Europa der Reisefreiheit ist zu verlockend, es ist viel zu wirklich. Mag man der EU und ihren Institutionen vereinzelt sogar feindlich gegenüberstehen: Weder die dänische noch die italienische, die französische oder niederländische Rechte möchte gegeneinander in den Krieg ziehen oder sich gegenseitig das Menschsein absprechen. Auch das hat nichts mit dem christlichen Erbe zu tun, sondern damit, dass der Nationalismus als Projekt tot ist und 60 Jahre europäische Einigung dann doch zu etwas geführt haben. Sicher: Die Mehrheit der Einwohner Europas sind Christen. Rund 580 Millionen, über 80 Prozent, so wie in den vergangenen 15 Jahrhunderten. Genauso gut kann man das Wetter zum christlichen Erbe Europas zählen, denn das ist entscheidend für die Verwitterung des Steines christlicher Baudenkmäler.

Was wir im Moment am rechten Rand erleben, ist ein Ausdruck von Nativismus. Der Nativismus beschreibt das Streben einer Mehrheit gegenüber einer Minderheit, “ausgewählte Aspekte ihrer Kultur wieder zu beleben oder fortzuführen”. (Wikipedia) Das Christentum ist ein solcher Aspekt, die markanteste Chiffre der Unterscheidung zwischen der westlichen und der östlichen Welt. Im Begriff des christlichen Erbes verdichtet sich all das, was wir zu unserer nationalen und europäischen Identität sagen können. Es ist keine inhaltliche Aussage über uns, sondern eine Abgrenzung gegenüber anderen.

Schließlich ist auch all das, was wir über den Islam sagen, ein Mythos. So wie die Romantiker ihr Mittelalterbild erstehen ließen, so lassen wir unser Islambild aus der Geschichte wieder auferstehen. Das nutzen die Rechten. Sie spielen Mythos gegen Mythos aus. Wer gegen die Vereinnahmung des Christentums durch die Rechten jetzt als Erstes aufstehen muss, ist die Christenheit.

zuerst erschienen auf www.theeuropean.de

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9 Gedanken zu “Die Christenheit oder Europa – das Projekt Multi-Kulti;”

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    @ Dr. Oliver Strebel sagt:

    „… Wer gehört zu “wir”? Dazu gehören, glaube ich, nur ganz wenige, denn es gibt sehr viele realitätsorientierte Aussagen zum Islam, die man nicht pauschal als Mythos qualifizieren sollte. …“

    Nein, gibt es nicht und gab es wahrscheinlich auch nie. „Der Islam“ ist – übrigens durchaus analog zum Judentum – im europäischen Bewusstsein nie etwas anderes gewesen, als eine nach den Bedürfnissen des jeweiligen Zeitgeistes geformte Abstraktion, häufig gar eine Projektionsfläche für dasjenige, das man aus dem eigenen Selbstbild zu entäußern suchte. Das schließt zwar eine partielle und temporäre Ähnlichkeit zwischen Abstraktion und „Realität“ nicht per se aus, derartige Kongruenzen sind dann aber zufälliger Natur.

    Wer ein tieferes Verständnis für die Bedeutung und Funktion dieser Abstraktion – gerade auch für das aktuelle Europa – erlangen möchte, dem sei übrigens unbedingt Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ ans Herz gelegt.

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    Ich kann nicht erkennen, dass die „Rechten“(ein pauschalisierender Begriff)unbedingt das christliche Erbe hochhalten wollen. Allein H.C. Strache läuft in Wien mit einem Holzkreuz rum, der hat aber ohnehin wenig mit anderen „Rechtspopulisten“ zu tun und mit den christlichen Kirchen schon gar nichts.

    Die neue europäische Rechte ist sicherlich nicht prochristlich, aber antiislamisch, so wie einst Voltaire.

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    Sie haben vergessen zu sagen,
    was wir uns erschaffen haben an menschlichen Werten ,stammt aus der christlichen Religion.
    Ganz Europa lebt bewußt oder unbewußt die chritlichen Werte.
    Überall wo der Islam gelebt wird,
    lebt man die moslimischen Werte.
    Wer diese Länder anschaut ,
    möchte bestimmt nicht dort leben.
    Wir leben in Länder der Freiheit.
    In islamischen Länder gibt es kaum eine Freiheit.
    Diese Länder werden vom Islam dazu benutzt,
    die Diktaur durch zusetzen.
    In der Religion gilt das oberste Gesetz der Gehorsam zur Scharia und ihren Traditionen.
    Die christlichen Werte seit Jesus Geburt,
    ist die Lehre der Liebe.
    Liebe ist Freiheit und Vergebung.
    Liebe ist Güte und Barmherzigkeit.
    U.s.w.
    Wo finden sie das im Islam?
    Fangen nicht da alle Probleme der Integration an?
    Wie soll ein Moslem diese Werte schultern?
    Er steht immer zwischen zwei Stühlen.

  4. avatar

    „Ubi bene ibi patria“ = „Wo ich gut lebe ist meine Heimat“: Europa ist nur ein Teil der Welt und die Euros sollen sich nicht mehr fuer so wichtig halten mit ihren tiefsinnigen Gedanken ueber die Religion: Ein Zapotec-Indianer in Mexiko hatte das klar erkannt: „Dem Menschen sollte man zwei Dinge wegnehmen: Die Religion und den Alkohol!“ – als er das sagte, hatte er aber schon die Landesprache, das Spanisch erlernt, Jura studiert und als Praesident den Krieg gewonnen gegen den oestreichischen Erzherzog Maximillian und die franzoesische Fremdenlegion (1862-68). (In seinen Buch von 1925, schrieb der andere Oestreicher: „Haetten die Franzosen den Erzherzog Maximillian nicht ohne die Truppen gelassen, dann waere Oestreich vielleicht 1870 an der Seite Frankreichs gegen Preussen gestanden…)

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    @Alexander Görlach

    „Eine aktuelle Idealisierung ist die des christlichen Erbes.“
    „Die rechten Parteien der Gegenwart können aus dem Nationalismus keinen Honig mehr saugen.“
    Das haben Sie gut gesagt!

    „Es ist keine inhaltliche Aussage über uns, sondern eine Abgrenzung gegenüber anderen.“
    ERSTERE ist zu formulieren. Das wäre Christenpflicht. Unter Berücksichtigung der Realität. So wie im Urchristentum. Diese jüdische „Häresie“ hatte ja auch auf den damaligen „Zeitgeist“ im Sinne der Erhaltung und Fortführung der Menschheit reagiert.

  6. avatar

    „…Schließlich ist auch all das, was wir über den Islam sagen, ein Mythos. So wie die Romantiker ihr Mittelalterbild erstehen ließen, so lassen wir unser Islambild aus der Geschichte wieder auferstehen…“

    Sie vielleicht! Das Islambild der Gegenwart könnten Sie in den Problembezirken der Großstädte hautnah und konkret erleben, aber Sie ahnen sicher, dass dies Ihrem Weltbild schaden könnte…

  7. avatar

    Karl Jaspers sagte: „Nietzsche ist Gegner des Christentums aus christlichen Gründen.“

    Nietzsche selbst erklärte seine Kriegserklärung an das Christentum so:“Wenn ich dem Christentum den Krieg mache, so steht mir dies einzig deshalb zu, weil ich nie von dieser Seite aus Trübes oder Trauriges erlebt habe – umgekehrt die schätzenswertesten Menschen, die ich kenne, sind Christen ohne Falsch gewesen.
    Ich trage es den einzelnen am letzten nach, was das Verhängnis von Jahrtausenden ist. Meine Vorfahren selbst waren protestantische Geistliche: hätte ich nicht einen hohen und reinlichen Sinn von ihnen her mitbekommen, so wüsste ich nicht, woher mein Recht zum Kriege mit dem Christentum stammte. Meine Formel dafür: der Antichrist ist selbst die notwendige Logik in der Entwicklung eines echten Christen, in mir überwindet sich das Christentum selbst.“ (Der Antichrist, Fluch auf das Christentum)

    Nietzsches Religionskritik richtet sich weniger gegen das Christentum selbst, sondern eher gegen die Folgen, die das Christentum provoziert, also den totalitären Anspruch auf den Besitz der absoluten Wahrheit hic et nunc… Das Gleiche galt für Voltaire, der kein Atheist war, aber ein richtiger Kirchen-Hasser.

  8. avatar

    Alexander Görlach schrieb: Schließlich ist auch all das, was „wir“ über den Islam sagen, ein Mythos.

    Wer gehört zu „wir“? Dazu gehören, glaube ich, nur ganz wenige, denn es gibt sehr viele realitätsorientierte Aussagen zum Islam, die man nicht pauschal als Mythos qualifizieren sollte.

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