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Immer im dritten Wahlgang: Neun Jahre für den Ministerpräsidenten, neun Stunden für den Bundespräsidenten

21h40: Am Ende dieses spannenden Tages sind wir zurück am Anfang meines ursprünglichen Kommentars (s.u.): Gauck hatte keine Chance. Natürlich wäre er ein guter Bundespräsident geworden. Aber seine Kandidatur war von Anfang an eine, die Schwarz-Gelb spalten sollte. Das ist gelungen. Angela Merkel ist beschädigt durch diese Wahl. Drei Anläufe brauchte sie, um Christian Wulff durchzubringen. Sehr hoch die Zahl der Abweichler, bröckelnd ihre Autorität.Auch wenn Wulff zum Schluss doch die absolute Mehrheit der Stimmen schaffte.

Nun ist die große Frage, ob sich CDU, CSU und FDP doch noch irgendwie zusammenraufen oder weiter streiten. Ein großes gemeinsames Thema ist derzeit nicht abzusehen. Doch ohne das wird es nicht gehen.

Update 17h14 – Wie spannend Politik doch sein kann: Nun liegt es an der Linken! Wird  sie Angela Merkel eine vernichtende Niederlage beibringen und dabei zulassen, dass der Mann, den die Linken-Basis zu hassen scheint, Präsident wird? Oder lässt sie die Chance des Jahrzehnts liegen, weil der Ärger mit der Basis zu groß werden würde, wenn die Linke für Gauck stimmt? Oder noch einfacher: Rettet ausgerechnet die Linkspartei Angela Merkel und ihren Kandidaten?

Was heute im Bundestag abgelaufen ist, war eine wunderbare Demonstration von Demokratie versus Parteitaktik. Wie unten zu lesen ist, habe ich das nicht erwartet. Dass es doch so gekommen ist, kann auch als positives Zeichen gewertet werden, dass die Abgeordneten eben doch nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind. Oder natürlich auch als negatives in der Lesart, dass die Regierungskoalition unrettbar zerstritten und ihre Chefs Merkel, Westerwelle und Seehofer nicht mehr ausreichend Autorität haben. Abgerechnet wird wie immer zum Schluss – und so warten wir nun also auf den dritten Wahlgang.

Mein Kommentar von heute nacht, Stand 0h50:

Natürlich wird Christian Wulff heute zum Bundespräsidenten gewählt. Im ersten Wahlgang, mit einer deutlichen Mehrheit. Und er wird sehr viele überraschen, denn der 51-jährige wird ein interessanter, unkonventioneller Präsident werden.

Was wir die vergangenen drei Wochen erlebt haben, war ein Medienhype, wie er unlauterer kaum hätte sein können. Natürlich ist auch Joachim Gauck ein außerordentlich verdienstvoller Kandidat, der Schloss Bellevue durchaus gut getan hätte. Doch seine Nominierung war von Anfang an eben nicht dazu gedacht, Bürger und Politik zu versöhnen, sondern Angela Merkel zu schaden und Schwarz-Gelb zu spalten.

Niemals hätte Rot-Grün Gauck nominiert, wenn er auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte. Und niemals hätte Merkel ihn akzeptieren können, so sehr sie ihn auch politisch schätzen mag. Niemals hätte sie in der Union einen Nicht-Partei-Mann durchsetzen können. Ebenso wenig wie Rot-Grün einen Nicht-Partei-Mann hätte nomieren können, wenn eine Siegchance da gewesen wäre.

So sehr man diese politischen Mechanismen bedauern mag: Es war im höchsten Grad unredlich, den Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes etwas anderes vorzugaukeln.

Die Medien müssen sich fragen lassen, inwieweit den sie in Leitartikeln immer tränenreich beschworenen Frust der Bürger über die Politik selbst befördert haben. Wider besseres Wissen machten sie der Öffentlichkeit vor, Gauck habe eine reelle Siegchance.

Er hatte nie eine – und er selber wusste das auch sehr gut. „Ich kann rechnen“, sagte er bereits bei seinem ersten Auftritt nach seiner Nominierung. Und natürlich können auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Vordenker Jürgen Trittin rechnen. Gerade deshalb haben sie ja Gauck und nicht Peer Steinbrück oder Joschka Fischer in dieses aussichtslose Rennen geschickt.

Aufklärung und Information jedenfalls war da nicht viel in den vergangenen Wochen, Kampagne hingegen sehr. Christian Wulff hat es durchgestanden. Schon am Freitag wird er als amtierender Bundespräsident das Sommerfest im Schloss Bellevue feiern, am Samstag eventuell auf der Tribüne das WM-Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien verfolgen.

Wie bei jedem Bundespräsidenten vor ihm wird ihm die Gravitas des Amtes die Möglichkeit bieten, sein Image umzudefinieren. In welche Richtung er das tut, ist seine Entscheidung. Das, und nur das, wird dann ausmachen, ob Wulff ein großer Bundespräsident wird.

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22 Gedanken zu “Immer im dritten Wahlgang: Neun Jahre für den Ministerpräsidenten, neun Stunden für den Bundespräsidenten;”

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    @uniquolol

    Sicherlich richtig, dass es sich hier um Rot-Grünes Taktieren handelt. Diese Tatsache ändert jedoch nichts an der Richtigkeit eines überparteilichen Präsidentschaftskandidaten, EGAL von wem der Vorschlag kommt und aus welchen Gründen. Ich habe dies schon einige Male hier gepostet, doch auch für Sie noch einmal ein Link zu den verfassungsrechtlichen Befugnissen und Verpflichtungen eines Bundespräsidenten: http://www.bundespraesident.de.....dlag.htmEs

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    „…Aber seine Kandidatur war von Anfang an eine, die Schwarz-Gelb spalten sollte…“

    Richtig! Rot-Grün hat die Wahl zum Bundespräsidenten von Anfang an für ihre taktischen Spielchen missbraucht. Weshalb hätten die Linken sonst einen liberalen Konservativen aufstellen sollen? Der Kandidat ist weder Anti-Afghanistaneinsatz, noch Anti-Hartz IV, noch Anti-Kapitalismus, noch Anti-Eigenverantwortung des Bürgers… etc. Kurz: er ist weder rot noch grün! Seine Nominierung war eine planmäßige Falle von Gabriel/Trittin, die mit einer vergifteten SMS an Merkel begann. Dass man durch diesen Kandidaten „Die Linke“ mit ihrer SED-Gegenwart bloßstellen konnte, war eine angenehme Nebenerscheinung, welche die SPD-Garde sichtlich genoss.

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    Der Vollständigkeit halber:

    Die Frage lautet: Lässt die Regierungskoalition sich bzw. Ihren Kandidaten durch die Linke tolerieren?

    Im dritten Wahlgang haben Union und FDP Wulff schließlich doch noch aus eigener Kraft zum Präsidenten gekürt.

    Dadurch ist obige Frage jedoch nicht zu einer rein hypothetischen geworden. Sie stellt sich in abgewandeltet Form noch immer: Waren vor dem dritten Wahlgang aus Union und FDP irgendwelche Stimmen zu hören, dass Wulff die Wahl nicht annehmen werde, falls er nur unter stillschweigender Kooperation mit der Linken in’s Amt gelangen könnte?

    Im Augenblick ist das eine marginale Frage. Das wird sie aber nicht bleiben.

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    Der gestrige Tag hat einige Gewinner:

    Wulff
    Gewonnen ist gewonnen, in ein paar Wochen fragt keiner mehr nach dem wie.

    Gauck
    Seit Carlo Schmidt gab es keinen besseren und würdigeren Kandidaten.

    Rot-Grün
    Gabriel und Trittin ist mit der Aufstellung von Gauck ein Geniestreich gelungen. Sie haben das Regierungslager gespalten und die Linke als politikunfähig entlarvt. Dabei schafften sie es, ihre eigenen Reihen geschlossen hinter einem Kandidaten zu versammeln der ihnen inhaltlich ferner stand als der CDU-Kandidat.

    Angela Merkel
    Das wird einige verwundern, aber letztlich kam ihr Kandidat durch, und innerparteiliche Konkurrenten hat sie jetzt gar keine mehr.

    Wo es Gewinner gibt gibt es auch einen klaren Verlierer:

    Die Linke
    Die Partei hat Gauck verhindert und die Wahl von Wulff erst ermöglicht. Schon bei der absehbaren Neuwahl in NRW wird sie den Preis dafür zu zahlen haben.

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    Am Rande: Meine stille Hoffnung, dass – unbeschadet des Obigen – die Linke sich mit ihrem Abstimmungshalten als der politikunfähige chaotische Sauladen erweisen würde, für den ich sie gehalten habe, ist enttäuscht worden. Sie hat tatsächlich mehr oder weniger geschlossen abgestimmt. Die Chaoten sind anderswo angesiedelt.

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    Und ergänzend:

    Wird Gauck mit den Stimmen der Linken gewählt, verhält sich die Sache ähnlich. Allerdings würden Union und FDP noch so lange maulen, bis sie kapieren – beide, Union und FDP, haben es ja nicht so mit dem schnellen Denken – dass sie selbst ebenfalls auf die Linke spekuliert und sie damit hoffähig gemacht haben.

    So gesehen: Wie das Ergebnis auch immer ausfällt -Gewinner ist in jedem Falle auch die Linkspartei.

    Frau Merkel – die Frau ohne Idee und Vision, ist sie wenigstens noch immer gewiefte Macht-Frau? – Sie beherrscht ihren Laden nicht! Kennt ihn nicht! Ist ahnungslos. Zockt nur noch. Und verzockt sich. Sie sollte – so lange noch Zeit dazu ist – den halbwegs ehrenhaften Abgang suchen.

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    Margaret Heckel: Rettet ausgerechnet die Linkspartei Angela Merkel und ihren Kandidaten?

    Das geht am Kern der Sache vorbei. Die Frage lautet: Lässt die Regierungskoalition sich bzw. Ihren Kandidaten durch die Linke tolerieren? Die Linke würde dadurch auf Bundesebene salongfähig. Damit wäre (formal) eine regierungsfähige linke Mehrheit auf Bundesebene gegeben. Das Linke-Tabu (in mehrfachem Wortsinn!) wäre damit gefallen – und auf Bundesebene eine fundamental veränderte politische Landschaft gegeben.

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    „…wird ein interessanter, unkonventioneller Präsident werden.“ Daran haben wohl CDU und FDP selber nicht geglaubt wenn man sich das bisherige Wahlergebnis ansieht.

    „..war eine wunderbare Demonstration von Demokratie versus Parteitaktik“

    Da gebe ich Ihnen uneingeschränkt Recht. Was ich letzte Nacht bemängelt habe stellt sich nun als falsch heraus. Die Abgeordneten wagen, der Demokratie vor Parteitaktik den Vorzug zu geben.
    Wunderbare Demokratie!

  9. avatar

    Gratuliere noch mal Frau Heckel, jetzt endlich haben Sie die für mich entscheidende Frage gestellt: Ob die Linken nun lieber gegen die SPD und für Wullf stimmen, weil sie den Stasi-Aufklärer Gauck nicht ausstehen können.

  10. avatar

    … und auch der zweite Wahlgang war noch nicht überzeugend. So kann man sich irren, wenn man noch an das Gute in CDU/FDP glaubt.

    Aber irgendwann kriegt jeder mit, dass unsere momentane Regierung eigentlich alles falsch macht, was sie nur falsch machen kann – aber das hätte spätestens beim Lesen des Wahlprogrammes auffallen können.

  11. avatar

    Nun ja, nur wer sich spalten läßt, wird gespalten.
    Auch ich spare gelegentlich nicht an Kritik an der Presse, halte mich aber größtenteils an Tucholsky, der nicht umsonst fragte, ob das sehr verehrte Publikum wirklich so dumm sei.
    „…………

    Sag mal, verehrtes Publikum:
    bist du wirklich so dumm?

    So dumm, dass in Zeitungen, früh und spät,
    immer weniger zu lesen steht?
    Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
    aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
    aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
    könnten mit Abbestellung drohn?
    Aus Bangigkeit, es käme am Ende
    einer der zahllosen Reichsverbände
    und protestierte und denunzierte
    und demonstrierte und prozessierte …
    Sag mal, verehrtes Publikum:
    bist du wirklich so dumm?

    Ja, dann …
    Es lastet auf dieser Zeit
    der Fluch der Mittelmäßigkeit.
    Hast du so einen schwachen Magen?
    Kannst du keine Wahrheit vertragen?
    Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
    Ja, dann …
    Ja, dann verdienst dus nicht besser.“
    Quelle: Die Weltbühne, Theobald Tiger, 1931

    Die Presse bedient letztendlich nur, wie es der Konsument will. Er sollte sich also nicht immer nur beschwerden.

  12. avatar

    Liebe Frau Heckel,

    Sie haben sicherlich Recht:
    „Die Medien müssen sich fragen lassen, inwieweit den sie in Leitartikeln immer tränenreich beschworenen Frust der Bürger über die Politik selbst befördert haben.“
    Ich frage mich auch warum die Medien (mit einer seltenen und überraschenden Ausnahme – siehe http://www.spiegel.de/politik/.....76,00.html) dies getan haben. Die Antwort ist die gleiche: „Angela Merkel zu schaden und Schwarz-Gelb zu spalten“ – nach dem Motto: was tun wenn jemand am Rande des Abgrundes steht? – natürlich schubsen!
    Das gleiche gilt auch für Joachim Gauck. Er ist für mich kein hervorragender Kandidat, sondern ein unanständiger Mensch – darüber habe ich schon Alan Posener geschrieben. Und noch ein Zitat aus dem „Spiegel“ – Artikel: „Die Marionette bleibt eine Marionette, das Trojanische Pferd bleibt ein Trojanisches Pferd und der Wurm am Haken ein Köder“

  13. avatar

    „…wird ein interessanter, unkonventioneller Präsident werden.“

    Er ist es jetzt nicht, war es während seiner Zeit hier in Niedersachsen nicht, und wird wohl allein durch Amtsübernahme keine neue Persönlichkeit verliehen bekommen.

    „Niemals hätte Rot-Grün Gauck nominiert, wenn er auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte“

    Richtig. Und dennoch wäre die Einführung eines grundsätzlich überparteilichen Präsidenten wünschenswert. Das macht den Vorschlag per se nicht falsch. Und das Argument „Wir haben es immer so gemacht, also machen wir so weiter“ ist keins.

    „Es war im höchsten Grad unredlich, den Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes etwas anderes vorzugaukeln.“
    Unredlich ist hier nicht nur das Vorgehen der Presse, von der man schon nicht mehr, erwartet als das verzweifelte kreieren eines Hypes nach dem anderen.
    Unredlich ist das Vorgehen diverser FDP und CDU Abgeordneter, die entgegen ihrer tatsächlichen Überzeugungen Wulff wählen werden um einem weiteren Machtverlust entgegenzuwirken. Und weil ihnen nur allzu bewusst ist, dass die Presse sie in Grund und Boden schreibt sollten sie vom Kurs der Partei abweichen.
    Diese Wahl ist geheim und grunddemokratisches Gut. Und dennoch hat keiner der Wählenden tatsächlich die Wahl. Dies erinnert mehr an Kommunismus als an Demokratie.
    Das Wohl der Partei vor das Wohl des Volkes zu stellen ist das einzig Unlautere an diesem Desaster.

    „ Aufklärung und Information jedenfalls war da nicht viel in den vergangenen Wochen, Kampagne hingegen sehr“

    Ich habe einen großen Teil der Berichterstattung aufmerksam verfolgt und Christian Wulff hat sicherlich keine Gelegenheit ausgelassen, nichtssagendes Interview um nichtssagendes Interview zu geben. Er wirkte durchweg uninspiriert. Spätestens nach seiner Nominierung hätte er doch die von Ihnen beschworene interessante und unkonventionelle Persönlichkeit zeigen dürfen, meinen sie nicht?
    Ein Politiker sollte sein Amt formen, nicht ein Amt den Politiker.

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