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Auf dem Weg in den Sozialismus? Der deutsche Sozialstaat kann einen Neustart gebrauchen

Der Parteivorsitzende der FDP hat mit seinen Kommentaren zum jüngsten Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine wichtige Debatte angestoßen: „Welchen Sozialstaat wollen und können wir uns in Zukunft noch leisten?“ Eine „anstrengungslose, leistungsfeindliche Wohlstandsgesellschaft“ (Westerwelle) ist allenfalls die Vision einer sehr kleinen Minderheit in diesem Lande. Die große Mehrheit der Hartz IV-Bezieher will arbeiten. Was oft fehlt, ist eine unterstützende Infrastruktur des Förderns und Forderns.

Wer jetzt eine pauschale Erhöhung der Regelsätze („mehr Geld“) fordert, hat die Herausforderung, vor der wir stehen, verkannt. Hartz IV ist kein Bürgergeld oder Grundeinkommen, das eine lebenslange Rente garantiert. Die Leistung sichert das Existenzminimum in Not (etwa durch Arbeitslosigkeit) geratener Bürger. Das durch das Urteil erforderliche Nachbessern bei der Berechnung der Regelsätze wird die Politik rasch durch Härtefallklauseln und mehr Sachleistungen erfüllen. Um die Frage der künftigen Finanzierbarkeit des Sozialstaats macht die Politik jedoch einen großen Bogen. Schon bald wird die beschlossene „Schuldenbremse“ jedoch auch Eingriffe in bestehende soziale Leistungsgesetze notwendig machen. Es ist daher kein Zufall, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble dem Vizekanzler beigesprungen ist. Das Ziel muss sein, möglichst schnell unabhängig von staatlicher Alimentierung zu sein. Wer ein Volk zu Transferempfängern macht, muss sich nicht wundern, wenn diese nie genug haben. Solidarität ist ohne die Bereitschaft zur Gegenleistung nicht möglich. Statt Alimentierung ist Aktivierung gefragt.

Rotgrün und auch die Große Koalition sind hier stecken geblieben aus Angst vor den Verbänden, die von „Zwangsarbeit“ und „Wettbewerbsschutz“ reden, wenn der Staat ernst macht mit einer echten Beschäftigungspolitik. Viele Kommunen bemühen sich „arbeitslosigkeitslos“ zu werden. Modelle wie „Bürgerarbeit“ oder „soziale Aufgaben“ scheitern aber, wenn sie von den Bürgern nicht akzeptiert werden. Die betroffenen Hartz IV-Empfänger akzeptieren die Aufgabe, die ihnen zugeteilt wird, eher als Unternehmen und Arbeitnehmervertreter. Ihre Kritik, der Staat verdränge durch „Subventionierung“ bestehende Jobs, ist abwegig. Statt über Verdrängung und Missbrauch zu reden, geht es um eine Politik der sozialen Anerkennung und Aufgaben. Das wäre anstrengender als Betroffenen-Bashing, würde sich am Ende aber bezahlt machen, sehr wahrscheinlich auch für den Steuerzahler.

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7 Gedanken zu “Auf dem Weg in den Sozialismus? Der deutsche Sozialstaat kann einen Neustart gebrauchen;”

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    Was wird hier diskutiert: „Die Bezahlbarkeit von Sozialleistungen“. Das geht aber an dem Ziel vorbei, das Hr. Westerwelle verfolgt. In der SZ vom 20.2.2010 hat Hr. Prandl klar beschrieben, worin sich Deutschland bisher gegenüber Länder wie der USA unterschied. Die Sozialleistung soll die „Würde des Menschen“ erhalten. Da kann es nicht nach Kassenlage gehen, vor allem, wenn die Regierung ohne Not sich der Mittel beraubt, indem sie Andere bevorzugt durch Steuererleichterung.
    Habe Sie hier im Forum schon mal an einer Lebensmittelverteilung der Tafelen oder eines Mittagstisches eine sozialen Einrichtung teilgenommen? Da müssen Sie den Menschen in die Augen sehen, die hier Almosen annehmen, um Überleben zu können.
    Hat Einer in dem Forum schon mal einem Harz IV – Empfänger zu einer Arbeit verholfen, mit der Menschenwürdig gelebt werden kann?
    Hat sich Einer im Forum an dem Projekt der bayerischen evangelichen Kirche 1&1 Helfen durch Teilen teilgenommen? Da wir Geld gesammenlt um Menschen wieder in Arbeit zu bekommen und damit ihre Würde wieder herzustellen.

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    @ Rita E. Groda
    Sie arbeiten sich an Argumenten ab, die ich nicht ins Feld geführt habe. Ich denke, dass ich das PRINZIP „Subventionierung von Arbeitsplätzen statt Alimentierung von Personen“ habe deutlich machen können. Um mehr als eine prinzipielle Darstellung kann es in diesen Kommentarzeilen nicht gehen. Und selbstverständlich kann jedem PRINZIP nur solange gefolgt werden, wie es bezahlbar ist. Das gilt auch für die Hartz-Alimentierungen oder für das Bürgergeld oder für das bedingungslose Grundeinkommen.

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    @Bredenberg:
    Ich habe genau verstanden, was Sie meinen. Bei der ganzen Problematik werden aber einige wichtige Fakten übersehen, und nachdem diese Fakten zumindest in der freien Wirtschaft schon lange bekannt sind, muß ich davon ausgehen, daß sie wissentlich verschwiegen werden, von Staat und Regierung. Eine Vollbeschäftigung, wie wir sie lange kannten, wird es so möglicherweise nicht mehr geben. Aber die geburtenschwachen Jahrgänge werden in den nächsten 10 Jahren auf den Arbeitsmarkt kommen. Das ist allen bekannt, und die Großunternehmen haben bereits fertige Konzepte in den Schubladen liegen, wie sie zu Fachkräften kommen wollen, wie sie sie europaweit rekrutieren wollen, mit welchen Kopfprämien und wie sie sie langfristig an die Unternehmen binden wollen. Alles was gerade gebastelt wird, sind Interimslösungen für eine mittelfristige Übergangszeit.
    Ich verstehe schon, welches Modell sie da favorisieren, das wird nur auf Dauer nicht bezahlbar sein.

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    @Rita E. Groda:
    Subventionierung von Regelarbeitsplätzen ist nicht gemeint. Es geht mir hier nicht um Details, die geregelt werden können, sondern um das Prinzip: Vollbeschäftigung (soweit wie möglich) statt Alimentierung von Menschen. Da Vollbeschäftigung auf lange Sicht nicht oder niemals durch die Regelwirtschaft möglich ist, sollte zusätzlich ein Wirtschaftsbereich geschaffen werden, der sicherlich nicht produktiv sein kann und daher subventioniert werden muss. Produktiver als Geld oder Gutscheine verteilen ist er allemal und bewirkt die Aktivierung der Beschäftigten (vom alimentierenden zum aktivierenden Sozialstaat). Mit einer vernünftigen Regelung lassen sich Ihre Befürchtungen minimieren. Die Möglichkeit von Missbrauch ist bei jedem Sozialstaatsmodell gegeben.

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    @Bredenberg:
    Die Subventionierung von Arbeitsplätzen ist de facto eine Alimentierung von Unternehmen. Dumpinglöhne werden hier staatlich auch noch gefördert!
    Einsatz in sozialen Bereichen von Beschäftigungslosen ist mehr als sinnvoll für alle Beteiligten. Dagegen steht nur die mangelnde positive Akzeptanz in der Öffentlichkeit für das soziale Engagement, ganz anders als in anderen Ländern.
    Und, so sagt meine Erfahrung, gibt man einer staatlichen Institution den kleinen Finger, sprich Personal ehrenamtlich, oder als Beschäftigungsmodell, wird sofort das Regelpersonal reduziert, und neue Arbeitslosigkeit wird produziert. Das ist, nachgewiesenermaßen, Deutsche staatliche Praxis. So können wir uns also weiter im Kreis drehen.

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    Uneingeschränkte Zustimmung. Regelwirtschaft plus kommunale Beschäftigungsstellen können nahezu Vollbeschäftigung bewirken. Die Subventionierung von Atbeitsplätzen ist allemal besser als die Alimentierung von Personen. Beschäftigungsstellen bewirken zusätzliche Produkte und Dienstleistungen, bewirken Verantwortung und Aktivität bei den Beschäftigten. Eine solidarische Demokratie ist ohne Hartz-Alimentierung, ohne Bügergeld und ohne Jobcenter möglich. Leistung verlangen kann man nur, wenn man Gelegenheit zur Leistung gibt.

  7. avatar

    Man fragt sich nur wie Deutschland das alles loesen wird. Die moderne Sozialfuersorge war doch eine weitgehend deutsche Entwicklung – welche noch heute von internationalen Sozialhistorikern gelobt wird. Mit der ueberschnellten EU Erweiterung hat „man“ Germany einen Muehlstein an den Hals gehaengt, der hinunter zieht. Gleichzeitig koennen Laender wie die USA, China, Indian, Brasilien ihre „Unterschichten“ im sozialen „Zucht&Mass“ halten – weil diese Laender politisch weniger entwickelt sind als Deutschland, welches ein gesundes Ideologie-Partei-Spektrum bietet. Deutschland, ein mittleres Land, ohne Rohstoffe und mit aelterer Bevoelkerung sollte sich mehr auf sich (und Kerneuropa) konzentrieren anstatt als „strong coalition partner“ und Bewerber fuer den UN Sicherheitsrat…

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