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Arbeit plus Kinder – Warum der Babyboom ausbleibt

An die Meldung hat sich das Land inzwischen gewöhnt: die Geburten stagnieren oder gehen zurück. Je nach Berechnungsmethode wurde sogar ein Anstieg der Kinder verkündet und als Erfolg der neuen Familienpolitik interpretiert.

Nun ist es amtlich: so wenig Kinder wie im vergangenen Jahr wurden in der Bundesrepublik noch nie geboren. Trotz neuem Elterngeld, mehr Kindergeld und sonstiger materieller Anreize.

Auf mehr als 200 Milliarden Euro jährlich belaufen sich die familienpolitischen Leistungen. Freibeträge, Splitting und Kindergeld sind die größten Posten. Gemessen an der Geburtenrate sind diese Leistungen offenbar wenig wirkungsvoll.

Bei der finanziellen Förderung belegt das Land einen Spitzenplatz, bei der Anzahl der Kinder befindet es sich in der Schlusslichtgruppe. Die Politik ist mit ihrem Reproduktionslatein am Ende. Die jüngsten Zahlen des statistischen Bundesamts werden weder von der neuen Familienministerin noch von einem anderen Spitzenpolitiker kommentiert. Aus Angst, als reaktionär zu gelten.

Studien belegen seit langem, dass Länder mit einer höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen auch höhere Geburtenraten aufweisen. Allen voran die nordischen Länder, aber auch Staaten wie Frankreich, England und die USA, setzen auf eine Gleichheit der Geschlechter am Arbeitsmarkt und nicht auf einen finanziellen Lastenausgleich in der Familienpolitik.

Dabei gilt: Je höher die Sicherheit des Arbeitsplatzes, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass aus dem Kinderwunsch Realität wird. Die Anzahl der alleinerziehenden Mütter ist in Deutschland (West!) auch deshalb so hoch, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen mit Kindern unter drei Jahren dort nicht gewünscht war. Hinzu kommen finanzielle Fehlanreize. Für viele Mütter lohnt es sich nicht einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen. Kinder machen Arbeit. Aber macht Arbeit auch Kinder?

Eine Familienpolitik, die mehr Kinder zum Ziel hat, muss daher bei der Arbeit ansetzen und verhindern, dass junge Frauen zu lange dem Arbeitsmarkt fernbleiben. Und sie muss gerade jungen Frauen eine sichere Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bieten. Es geht dabei nicht um einen Ausbau des Mutter- oder Kündigungsschutzes, sondern um eine bessere Qualität der Arbeit und eine bessere Vereinbarkeit.

Viele Unternehmen, die es sich von der Größe her leisten könnten, bieten immer noch keine Kinderbetreuung an. Büros, der öffentliche Nahverkehr und Arbeitszeiten sind nicht familienkompatibel. Teilzeitarbeit wird von den Personalverantwortlichen als „geringfügige Beschäftigung“ faktisch diskriminiert.

Allein und ausschließlich mit Geld und finanziellen Anreizen werden wir nicht mehr Kinder in Deutschland bekommen. Frauen (und immer mehr Väter) wollen beides: eine gute Arbeit und eine bereichernde Familie. Solange das eine nur auf Kosten des anderen zu bekommen ist, leiden beide Welten – die Arbeits- und die Familienwelt.

Die alte und neue Familienministerin (Arbeitsministerin von der Leyen und Köhler) haben es in den nächsten Jahren in der Hand, gemeinsam für eine bessere Arbeitsmarkt- und Familienpolitik zu kämpfen. Noch sind beide Politikfelder zu sehr Klientelpolitik, die familienscheuen Männern und Vätern zugute kommt. Ein Land, das sich heute vor allem grüne Sorgen macht, tut gut daran, sich in gleichem Maße graue Sorgen zu machen. Das Postulat der „Nachhaltigkeit“ gilt auch für den Nachwuchs.

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9 Gedanken zu “Arbeit plus Kinder – Warum der Babyboom ausbleibt;”

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    Nachtrag: Ich habe wg. des Beitrags von Frau Schlegel gedacht, das wäre ein neuer Artikel. Ich glaube es wird Zeit, den Schreibtisch zu verlassen und sich angesichts des sonnigen Wetters dem Schwimmbad oder anderen spätrömischen Hedonismen zu widmen..

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    Natürlich ist die Geburtenrate vielleicht der wichtigste Indikator für Vitalität, Zuversicht, „artgerechte Haltung“ in einer Gesellschaft und in Deutschland Hinweis darauf, daß etwas sehr Entscheidendes falsch läuft. Was das ist, zeigt der kurze Blick z.B. nach Israel überdeutlich: „Normale“ Familien haben drei, 4 oder 5 Kinder, Ultraorthodoxe mehr als 5. Katholische Länder, wie Italien, Spanien, lateinamerikanische heute nicht mehr. Wenn der dritte Flachbildschirm, das stets neue Auto, der Parkplatz neben dem Chef usw. als das Ziel alles Strebens angesehen wird und das Wertesystem dominiert, haben familienbezogene Werte keinen Platz mehr. Ich verstehe Sie, @EJ, so. Und wenn in den entwickelten Wirtschaften der materielle Hedonismus aus den Menschen herausgereizt wird um das letztmögliche Quentchen Wachstum zu generieren, erscheint die geringe Geburtenrate wie eine unbewusste Verweigerung angesichts dessen, was jeder ahnt, aber beim kollektiven Tanz um das Goldene Kalb bzw. beim Erscheinen des nackten Kaisers niemand sagen will. Nämlich, daß niemand den ganzen Scheiß wirklich braucht.
    Ich sage daher: Bevölkerungspolitik nein danke, denn sie bringt nur etwas, wenn der Kinderwunsch (auch bei uns Männern) sowieso schon da ist.

    Noch was vom Waldschrat: Heute kennt sich kein Mensch mehr im Wald aus, weil die Naturschützer jahrzehntelang propagiert haben, was man beim Betreten dieses Heiligtums alles falsch machen kann.
    Vielleicht haben wir ja auch keine Kinder mehr, weil uns jahrzehntelang erzählt wurde, was man bei der Erziehung falsch machen kann.

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    In Deutschland gibt es von der Gesellschaft ausgehend einen überaus schädlichen Müttermythos bzw. eine eiserne Fixierung auf die Mutter, den es in anderen Ländern z.B. Frankreich so nicht gibt. Frau UND Mutter zu sein schließt sich in Deutschland aus. Der Mutter wird von der Gesellschaft die alleinige Verantwortung / Arbeit für die Kinder aufgebürdet, weil sie ja „die MUTTER“ ist…. Sie allein ist für das Wohl und Wehe des Kindes verantwortlich. Wenn das Kind mißraten ist, ist es NATÜRLICH die Schuld der MUTTER. Die Väter sind dabei wenig bis gar nicht im Fokus. Auch nicht die Umgebung (Großeltern, Familie, Staat).

    Es ist nicht jeder-Fraus Sache (und für immer weniger Frauen erstrebenswert) nach dem ersten Kind auschließlich als Hausfrau und Mutter daheim zu sitzen. In Deutschland für viele Männer eine Selbstverständlichkeit, die sie von ihren Frauen einfordern.
    JEDOCH: Bevor Frauen zu Mütter werden haben sie oft eine exzellente Berufsausbildung hinter sich, sie haben einen guten Job gefunden, der honoriert wird mit Geld und Anerkennung, langjährige Berufserfahrung. Das alles kann man nicht einfach so aufgeben, wenn das erste Kind kommt! Als ob man seine gesamte Identität aufgeben kann und nur noch als MUTTER existieren könnte…Ich bezweifle, daß das viele Frauen glücklich macht.

    Wenn Frau dann TROTZDEM arbeiten gehen möchte, ist die Denke der Gesellschaft, daß das ausschließlich ihr persönliches Problem ist, das irgendwie hinzubekommen, denn sie wird ja nicht aus dieser allumfassenden Verantwortlichkeit für ihr Kind entlassen – OH NEIN – der ganze Streß (zur Kita bringen/abholen, Krankheit des Kindes, Schulzeit!! Oh Graus!) und oft auch der Haushalt – je nach männlichen Exemplar zuHause – lastet dann auf ihr. Burn-out läßt grüßen…

    Meiner Meinung nach ist es dieser schädliche Mythos und dieses Anspruchsdenken der Gesellschaft, was Mütter alles zu leisten haben, welches vielen Frauen das Gebären vermiest… Da überlegt frau es sich doch lieber 100 Mal bevor man ein neues Wesen, in die Welt setzt, für das man dann so auschließlich verantwortlich ist und mit dem man dann in Deutschland so furchtbar „alleingelassen“ wird. NEIN DANKE!!!

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    @ dummdreist in prekären, unsicheren Verhältnissen keine Kinder

    In anderen Weltgegenden und über die längst Zeit unserer Geschichte reproduzieren wir uns „in prekären, unsicheren Verhältnissen“. Und aus heiterem Himmel sind die „prekären, unsicheren Verhältnisse“ ein Hinderungsgrund?

    Das müssen sehr spezielle „prekäre, unsichere Verhältnisse“ sein. Oder?

    Die USA mit 14 Geburten pro 1000 gebärfähiger Frauen leben in weniger „prekären, unsicheren Verhältnissen“ als wir mit 8 Geburten?

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    Oje!
    Wurde erst jetzt von mir entdeckt, daß im vorletzten Satz das Wichtigste fehlt, nämlich „…….durchs LEBEN kommt…..“!
    Ich hoffe, daß der Sinn nicht darunter gelitten hat!
    Sorry! 😉

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    Rom ist auch an seinem Bevölkerungsrückgang gescheitert.
    Weil immer mehr Menschen in prekären, unsicheren Verhältnissen keine Kinder mehr aufziehen wollten.

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    „Studien belegen seit langem, dass Länder mit einer höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen auch höhere Geburtenraten aufweisen“ – So einfach ist es ja nicht. Die Theorie ist vielmehr die, dass eine Zunahme der Erwerbstätigkeit der Frauen zunächst zu einem Geburtenrückgang führt. Erst wenn die Gesellschaft den Gleichheits- bzw. Gendergedanken voll und ganz verinnerlicht habe, würde sich die Geburtenrate wieder erholen.

    Ich halte allerdings andere Gründe für wichtiger:
    1. Das Sicherheitsdenken der Deutschen ist sehr ausgeprägt, auch in seinen Unterformen Materialismus und Egoismus. Kinder zu haben bedeutet aber Ungewissheit in zigfacher Hinsicht.
    2. Wir analysieren und studieren unsere Gesellschaft bis ins letzte. Dann aber stehen wir wie Kinder vor ihrem in Einzelteile zerlegten Spielzeug und können es nicht mehr zusammensetzen. „Einfach leben“ wird schwierig, wenn man statt eines „intelligenten Herzens“ (Alain Finkielkraut) einen rudimentär emotionalisierten Computer im Brustkasten hat.

    Im übrigen meine ich zu beobachten, dass der Feminismus latent kinderfeindlich ist. Warum nur, ist in seinen Augen die kinderreiche Großfamilie der Super-Gau für Frau und Gesellschaft? Die Frau hätte eine höchst verantwortungsvolle, abwechslungsreiche, anspruchsvolle Arbeit (frühkindliche Bildung, Sozialisierung, medizinische und psychologische Betreuung, Kreativitätsmanagement …) – und die Kinder haben ihre optimale Kita (altersgemischte Kleingruppe mit fester Bezugsperson und voller Flexibilität).
    Nur eines fehlt den Großfamilien-Frauen: gesellschaftliche Anerkennung.

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    Unzureichende Familien- und Arbeitsmarktpolitik dürften nur am Rande der Grund für niedrige Geburtenraten sein. Frau Berger deutet in der selbstverständlichen Befürchtung einen Trennung vom Kindesvater an: Ein Fundamentaler Mangel an Mit-Menschlichkeit ist es.

    Wer heute in Deutschland zwei oder drei Kinder hat, muss sich über zwanzig und mehr Jahre tagtäglich auf ein Leben einlassen wollen – und können, das in seiner Wertorientierung dem Leben völlig entgegensteht, das seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Deutschland propagiert wird. Lebensgenuss, gern auch Lebensgier, Herr Posener – selbstverständlich: Leben will leben – spielen sich in Sujets ab, von denen die leptosome „neoliberale“ Armeseligkeit keinen Schimmer hat.

    Kinder groß zu ziehen, dass sie am Tisch – früher über Broders, heute eher nur noch über Poseners Texte – Tränen lachen oder eine Viertelstunde die hitzigste Diskussion führen, ohne sich die Köpfe einzuschlagen, setzt eine inzwischen nur noch subkulturell mögliche Lebensperspektive voraus. Mich hat immer gewundert, dass unsere Ideologen des Neoliberalismus nie bemerkt haben, dass ihrer Single-Freiheit der fundamentale Fehler anhaftet, dass sie nur die „letzte“ Freiheit, nur die Freiheit des „letzten“ Menschen ist. (Gier propagieren – und sich wundern, dass Afghanistan in Deutschland keinen politische Größe ist!)

    Die Pseudo-Amerikanisierer haben nicht begriffen, dass – jenseits aller deutschen/ europäischen Familien- und Arbeitsmarktpolitik – Freiheit genau das in Amerika gerade nicht ist. Unsere (neue) deutsche/ europäische Freiheit ist aufgesetzt. Sie ist keine Freiheit, die die deutsche/ europäische Ausgangslage verarbeitet hat. Unsere deutsche/ europäische Freiheit ist – und das ist wörtlich zu nehmen – keine lebensfähige Eigenentwicklung.

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    Na ja, ob die Geburtenrate nur von genug Arbeitsplätzen für Mütter abhängt, wage ich mal zu bezweifeln.
    Wer möchte sich da noch Kinder anschaffen, wenn er weiß, daß er sie so rasch wie möglich in fremde Pflege sprich Kita, Ganztagsschule u.ä. abgeben muß und als Frau dann womöglich auch noch unvorhergesehen als Alleinerzieherin mit Doppelbelastung (die ja trotzdem bleibt = Arbeit + Kindererziehung) dastehen könnte, da ja keinerlei Schutz mehr für Ehe und Familie existiert und die Großfamilie zwecks Erleichterung der Aufgaben ebenfalls wegfällt.
    Warum soll sich „Frau“ das antun? Wo sie doch alleine, ohne eine solche Belastung bzw. Verantwortung mit halbwegs gutem Einkommen und wesentlich besseren Karrierechancen viel bequemer durchs kommt, oder?
    Da liegt der Fehler viel tiefer, nämlich im System sprich in unserer heutigen Gesellschaftsordnung.

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