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Babyklappen sind ein Gebot der Menschenwürde

Man kann mit Leuten, die keine Kinder haben, nicht über Kinder reden. Und mit Moralisten nicht über Politik. So lebensfremd, wie es sich anhört, wenn zölibatäre Priester oder greise Professoren leibhaftigen Müttern raten, so verhängnisvoll ist es, wenn man Prinzipienreiterei über die Nächstenliebe stellt.

Eine christliche Kultur besteht im Verzeihen gegenüber dem reuigen Sünder, nicht in der rigorosen Sanktionierung falschen Lebens. Das Wort sie sollen lassen stahn, hat Luther gesagt. Nun also: Jesus hat angesichts der Steinigung einer Ehebrecherin danach gefragt, wer das Recht habe, den ersten Stein zu werfen. Hier kommt eine Antwort: Der Deutsche Ethikrat krempelt gerade seine Ärmel auf.

Von Gesetzes wegen darf sich diese Kohorte von pensionsreifen Wissenschaftlern  als Deutscher Ethikrat bezeichnen und sich nun, das Bürgerliche Gesetzbuch und einen Regierungsauftrag im Rücken, zu ethischen Fragen der sogenannten Lebenswissenschaften äußern.

Wer bisher nicht wusste, dass es das als akademische Disziplin gibt, die Lebenswissenschaft, dem ist nun geholfen: diese höchste Autorität in Sachen Moral ist für die Abschaffung von Babyklappen und gegen das Recht auf anonyme Geburten. Dies sind Einrichtungen für Mütter in höchster seelischer Not, für Frauen, die ihr Neugeborenes nicht betreuen zu können glauben – und es nicht töten wollen. Alle kommen wir aus den Schößen unserer Mütter, denen allein dafür unser lebenslanger Respekt zu gelten hat. Elternschaft steht unter dem besonderen Schutz des Staates, auch die verunglückende.

Achtzig Babyklappen gibt es in diesem Land und 130 Angebote zu einer anonymen Betreuung von Niederkommenden. Das verstoße aber gegen das Kindesrecht darauf, seine Herkunft zu kennen. Wohl wahr. Als Findelkind geboren zu werden, das ist nicht wünschenswert. Die rechtliche Situation des Babys ist freilich nicht auskömmlicher, wenn die verzweifelte Mutter es in die nächste Mülltonne wirft oder in Blumentöpfen oder Tiefkühltruhen versteckt. Die Zeitungen sind voll von solchen Fällen.

Der Fall Babyklappenverbot ist von größerer Bedeutung: Er zeigt, warum Moral in der Politik nichts zu suchen hat. Der Säkularstaat hat den Ethik-Terror zurecht verbannt. Weil die Kaste der Moralwächter nicht demokratisch legitimiert ist. Weil hier Gesinnungsethik waltet, wo politische Verantwortung gefordert ist. Die verschlossenen Babyklappen wären ein Triumph solcher Moralapostel und eine Niederlage der Menschenwürde.

Was hier Ethik heißt, ist  Machtmissbrauch von Gesinnungswächtern, die selbstgerecht ein Prinzip über das Leben stellen. Am Ende dieser Straße der ethischen Lebenswissenschaften steht die Diktatur des Guten, die das Leben vor sich selbst beschützen will.

Wir nähern uns einer Jahreszeit, in der die Geburtsumstände unseres Religionsstifters allgemein rituelle Würdigung erfahren. Man kann dabei offensichtlich als weihnachtsselige Nation vor der Krippe hinschmelzen und mit den barbarischsten Argumenten gegen Schwangere in Not hantieren. In jener Zeitung, hinter der früher immer ein kluger Kopf steckt, wird die Babyklappe ökonomisch erwogen. Sie erfülle das Saysche Gesetz der Ökonomie, nach der sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe. Mit der Babyklappe würden künstlich erst die Findelkinder produziert; sie setze falsche Anreize für die Mütter. Sie würden Verantwortung abgeben, sich aber den Vollkosten entziehen.

Die Klappen zu schließen, sei nicht nur moralisch und juristisch, sondern auch ökonomisch anzuraten. Na dann, wenn es sich auch noch volkswirtschaftlich rechnet. Vielleicht sollte man dann das Übel doch an der Wurzel packen und auch die Zeugungen dem ökonomischen Kalkül unterwerfen. Dem steht zur Zeit nur die religiöse Vorstellung entgegen, dass der Gebrauch von Präservativen des Teufels ist. Weil aber auch hier das Angebot die Nachfrage schafft, das Verhütungsmittel provoziert ja geradezu den Verkehr, sollte die Frankfurter Allgemeine jetzt auch ein Verbot von Kondomen fordern, oder?

Das alles ist nicht nur absurd, es ist würdelos. Und die Menschenwürde ist ein Verfassungsinstitut. Man kannte schon die Spekulation, dass die Suppenküchen der Heilsarmee die Ursache der Armut sind. Malthus hat recht, wenn sie verhungern, verschandeln sie nicht mehr das Straßenbild, die Pauperisten. Denn die Armut stammt ja, einer alten bürgerlichen Sottise zufolge, von der „pauverté“; und das Volk soll doch, wenn es kein Brot hat, Kuchen essen.

Hier greift ein Abgrund an Zynismus platzt, der im moralischen Fundamentalismus von irgendwelchen Ratssitzungen keinen Schaden anrichtet, der aber niemals Leitlinie politischen Handelns sein darf. Das Abstruse hebt argumentativ sein Haupt: Weil es Babyklappen gibt, werden junge und/oder arme Frauen ungewollt schwanger, deshalb verlassen verantwortungslose Männer sie, dies lässt sie Schwangerschaftsdepressionen ausleben und zur Kindsmörderin werden. Man kennt das Lied und die Herren Verfasser, das sind nicht nur die Zynisten der Zölibatären, sondern auch rigorose Protestanten.

Sekundiert wird dem moralischen Rigorismus von der Sozialpsychologie, eine der windigsten Wissenschaften, die wir unter all den Dampfplauderern und Menschheitsrettern kennen. Denn dort stellt man fest, dass die Findelkindeinlieferinnen gar nicht die potenziellen Kindsmörderinnen seien, statistisch gesehen sozusagen im arithmetischen Mittel. Der Sozialstaat gewährt hier aber Aufsicht und adoptiert vorausgreifend die Ungeborenen, als deren Mündel er nun die Mütter im Unglück vergehen lässt. Solchen Zynismus haben wir als Studenten immer „SA/SP“ gescholten, Sozialarbeit und Sozialpädagogik, der bevormundende Berufsethos der Caritas-Despoten des Fürsorgestaates.

Zitieren wir den jüdischen Wanderprediger, dessen wenig auskömmlichen Geburtsumstände gerade allseits betören: „Lasset die Kindlein zu mir kommen!“ Babyklappen auf! Zur Not adoptiere ich, obwohl laut Sozialamt zu alt, auch noch eins!

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13 Gedanken zu “Babyklappen sind ein Gebot der Menschenwürde;”

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    Schuldigung, aber mit christlichem Menschenbild zu argumentieren, ist ja hier mal wieder Fehl am Platze. Solange ein Kind nicht geboren wurde, ist es heilig. In der Babyklappe auch.

    Aber denkt jetzt jemand auch wieder mal an die Mütter? Die geben Kinder sicher nicht leichtfertig ab oder treiben leichtfertig ab.

    Man sollte halt aber keine 5-jährigen in einer Babyklappe finden. Die Geister werden sich ewig daran scheiden, ob man mit einer Babyklappe erst eine Missbrauchsmöglichkeit schafft (auch für Spaßvögel, die sie dauernd auf- und zu machen), oder womöglich ein Leben rettet.

  2. avatar

    Mal abgesehen davon, dass man durch den übermäßigen Gebrauch gehobener Wörter und gewählter Ausdrucksweise nicht gerade glaubwürdiger, sondern eher theoretischer ohne Praxisbezug wirkt…

    Ach, wär das schön, wenn es so was wie Babyklappen doch überall geben würde. Stellt euch mal vor, es gäbe eine Alkoholpille – bei einer Polizeikontrolle einfach schnell eine schlucken und das Gerät zeigt 0 an. Oder gar eine Zeitmaschine, mit der man ungünstige Sachen rückgängig machen kann… wir müssten uns nie wieder Gedanken machen. Wenn was schief läuft, korrigieren wir den Fehler einfach. Kein seelischer Druck mehr, es gibt ja den Weg zurück!

  3. avatar

    Olaf ich schrei sonst

    Für die neoliberal-reliöse Gegenaufklärung (Vernunft? Entscheidungsfreiheit? Verantwortlichkeit? – Keine falschen Anreize! Alternativlose Angebotsreinheit machts!) wäre der argumentationslose Schrei, was das Selbstmordattentat für die Taliban ist: die ultimative Reinigungsaktion. Oder? 😉

  4. avatar

    Schlechter Kommentar, billige Polemik, miese Recherche.

    „Man kann mit Leuten, die keine Kinder haben, nicht über Kinder reden. […] wenn zölibatäre Priester oder greise Professoren leibhaftigen Müttern raten, […]“
    Es hätte zwei Minuten und nur wenig Mühe gekostet, die Zusammensetzung des Ethikrats zu ermitteln, sowie die sechs Unterzeichner des Sondervotums (darunter Losinger und Schockenhoff, die beiden katholischen Priester im Rat) zu finden.

  5. avatar

    Thomas Malthus war kein Elitarist, der den Tod von irgendjemandem gutgeheißen hätte, sondern er war mit der erste, der sich über die Probleme von Bevölkerungswachstum und dessen Grenzen Gedanken gemacht hat, aus Sorge um die Wohlfahrt aller. Seine Arbeit ist letztenendes Grundlage vieler Bereiche der UN, daher bitte ich darum, den Namen dieses wissenschaftlich überaus wichtigen Menschen nicht leichtfertig in irgendwelche Zusammenhänge zu schmeißen. In seinen Texten hat er um verschiedene Aspekte zu beleuchten manchmal mit Übertreibungen und pointierten Formulierungen gearbeitet, die häufig aus dem Kontext gerissen werden.

    Näheres zu Malthus in jeder brauchbaren Bibliothek, z.B. aktuell in folgendem Buch von Yves Charbit: „Economic, social and demographic thought in the XIXth century : the population debate from Malthus to Marx“.

    Kleine Ergänzung noch: Man braucht auch nicht zwangsweise eine Religion zu bemühen um für Menschenrechte zu argumentieren. Humanismus tut’s da genauso, zumal unsere Verfassung und die Menschenwürde auch ein Produkt der Aufklärung sind.

  6. avatar

    Um die Diskussion mal von Ethik-Schwafelei zur echten Welt zu bringen:
    Neugeborene werden seit Urzeiten ausgesetzt oder schlicht umgebracht. Das ist erstmal Fakt und nicht wegzulabern.
    Babyklappen sind ein Instrument, um DIESEN Kindern eine Chance zu geben.
    Die Mütter erhalten sogar noch für eine Zeit die Möglichkeit, ihre Entscheidung zu revidieren.
    Mir persönlich ist noch keine bessere Möglichkeit eingefallen, dass Leben und Wohl solcher Kinder zu schützen, es sei denn wir ziehen in eine perfekte Traumwelt um.

    Das Anstiftungsargument halte ich persönlich für selten dämlich, aber da begeben wir uns ohne gesicherte Daten wieder in den Raum der Meinungen.

  7. avatar

    Eine von Grund auf katastrophale Argumentation, die dennoch zum richtigen Schluss kommt. Aber völlig außer Acht lässt, auf welcher Basis dieser Schluss fußt.
    Der Ethikrat ist doch von der Politik geschaffen worden, um den Politikern ein sauberes Deckmäntelchen zu verschaffen. Die Moral (die übrigens die Grundlage einer jeder Gesetzgebung ist, und daher ist sie für die Politik geradezu essenziell) kann dadurch aus der Politik verbannt werden. Wenn der Ethikrat Synchron mit der Bevölkerung aufschreit, kann man bequem, ohne sein Gesicht zu verlieren, nochmals zurückrudern. Äußert sich der Rat so, wie es der Mehrheit im Land nicht passt, wird er, wie auch hier im Artikel getan, als Kohorte pensionsreifer Wissenschaftler diffamiert.
    Wenn hier der Autor zum Schluss kommt, dass die Babyklappen ein Gebot der Menschenwürde sind, ist dies der westlichen Moralvorstellung geschuldet, die auf der Ethik von Juden- und Christentum mit Einflüssen der alten Griechen und Römer basiert.
    Und hoffentlich gibt es auch in Zukunft einflussreiche Institutionen, die ihre etisch-moralischn laut Meinungen kundtun, auch wenn ihre Vertreter nicht demokratisch legitimiert sind: Sie sind wichtig, wenn eine große Bevölkerungsgruppe in eine falsche Richtung zu driften droht. Die Weimarer Republik lässt grüßen!

  8. avatar

    Einzelfälle schrecklicher Kindstötungen als Argument heranzuziehen halte ich für äußerst fragwürdig, zumal besagte Fälle geschahen, während es Babyklappen gab, nicht ohne.

    In der Zielrichtung stimme ich aber mit Ihnen überein.

  9. avatar

    „Is‘ nu‘ mal so“ oder auch „Isso“ (ich schrei sonst sonst) ist natürlich ein gewichtiges Argument. Danke für diesen erhellenden Beitrag.

    Danke für diesen Artikel. Der beschriebene Zynismus ist an dieser Stelle aber wohl auch nur noch eine nebensächliche Raststätte auf dem Weg zur Abschaffung der Menschwürde im postumen Sozialstaat. Oder so.

  10. avatar

    „Wir nähern uns einer Jahreszeit, in der die Geburtsumstände unseres Religionsstifters allgemein rituelle Würdigung erfahren.“

    „unseres“?

  11. avatar

    Zitat:
    „Man kann mit Leuten, die keine Kinder haben, nicht über Kinder reden.“
    Ich frage mich, wie unsere neue Familienministerin, ledig, keine Kinder, ihre Aufgabe bewältigen will………

  12. avatar

    Klaus Kocks: Mit der Babyklappe würden künstlich erst die Findelkinder produziert; sie setze falsche Anreize für die Mütter.

    Tja, Herr Kock, is‘ nu‘ mal so. Sie sind da nicht ganz auf der Höhe, scheint’s.

    Keine Falsche Anreize setzen! Das ist das alte und wieder neue universale Gesetz. Darin kommen Tradition und Moderne, Orient und Okzident, Moral und Ökonomie überein. Lasst die Mullahs, die Päpste und die Ökonomen regiern! Kopftücher und Burkas! Falsche Anreize sind zu verschleiern, zu verhüllen, auszumerzen! Es lebe der Neoliberalismus! Es leben die Taliban!

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