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Merkels Politikstil hat mehr mit Macht als mit Naturwissenschaft zu tun

Wenn ich noch einmal irgendwo lese, dass Angela Merkels Politikstil darauf zurückzuführen sei, dass sie Naturwissenschaftlerin ist, schreie ich. Ich meine, Klischees sind ja ganz hilfreich bei der Sortierung der Wirklichkeit, und zuweilen stimmen sie auch, aber was haben wir für eine Vorstellung von Naturwissenschaftlern?  Galileo Galilei, Charles Darwin, Albert Einstein, Stephen Hawking – Angela Merkel? Hallo?

Wie die Beispiele zeigen, und sie ließen sich erweitern, ist die Vorstellung von der nüchtern kalkulierenden Naturwissenschaftlerin (im Gegensatz zum intuitiv handelnden Politiker) Blödsinn. Klar, die meisten  PhysikerInnen, ChemikerInnen, BiologInnen usw. sind Erbsenzähler. Aber das Geheimnis naturwissenschaftlicher Revolutionen ist das Denken außerhalb der gewohnten Parameter. Ein Denken, das auf der größten Tugend der Naturwissenschaften beruht: der bedingungslosen Neugierde.

Nun will ich Angela Merkel weder die Neugierde absprechen noch leugnen, dass sie die CDU revolutioniert hat. Aber ihr ging und geht es weder darum, Neues zu entdecken, noch die Gesetzmäßigkeiten des Neuen zu erforschen und auszunutzen. Merkel hat im Gegenteil das Alte entdeckt und seine Gesetzmäßigkeiten angewendet.

Ihre Vorbilder sind Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Adenauer propagierte die Losung „Keine Experimente!“ und revolutionierte Westdeutschland durch die Westbindung, ohne dass es den Menschen auffiel. Kohl propagierte eine „geistig-moralische Wende“, und unter seiner Ägide wurde Deutschland so rot-grün, dass der darauf folgenden Regierung Schröder-Fischer nichts anderes übrig blieb, als ihrerseits eine geistig-moralische Wende im Kohl’schen Sinne einzuleiten, die Agenda 2010.

Merkel weiß, dass die Globalisierung und die Europäisierung, die Alterung der Gesellschaft und die Zuwanderung, die explodierende Staatsverschuldung und der industrielle Niedergang – um nur die wichtigsten Faktoren zu nennen – Deutschland ändern werden. Wie genau, das kann sie ebenso wenig sagen wie irgendeiner der selbsternannten „Zukunftsforscher“ oder „Wirtschaftsweisen“ (die allesamt etwa die Finanzkrise in ihren Szenarien nicht vorhersahen und daher allesamt in die Scharlatan-Ecke gestellt gehören). Schon gar nicht kann sie das Kommende, wie eine Naturwissenschaftlerin, im Experiment oder in der Computersimulation vorwegnehmen.

Sie meint einfach, sie sei die Beste, um das Land durch diese unsichere Zeit zu lenken. Was man angesichts der Alternativen nicht wirklich bestreiten kann. Leider, den so dolle werden wir auch nicht regiert. Wer Merkels Macht gefährlich werden könnte, wird kaltgestellt. Wie bei Adenauer. Wie bei Kohl. Und so kann ein Herr Pofalla Kabinettsminister werden. Was am Ende das Fazit der Ära Merkel sein wird, das weiß sie ebenso wenig wie wir es wissen. Sie will nur – mit dem heißen Machtinstinkt der Politikerin, nicht mit den kühlen Berechnungen der Naturwissenschaftlerin – dafür sorgen, dass es eine Ära wird und keine Episode.

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8 Gedanken zu “Merkels Politikstil hat mehr mit Macht als mit Naturwissenschaft zu tun;”

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    @Silvia Berger: Mit der breiten Öffentlichkeit haben sie natürlich irgendwie Recht. Es stand zwar öffentlich zugänglich in Medien, aber in den wichtigen Fernsehsendungen wurde die breite Masse der Bürger nicht gewarnt. Dagegen wird wegen jedem Kiks wie Vogelgrippe vor ein paar Jahren oder wegen ein paar Fotos von unseren Soldaten mit Totenschädeln gleich Großalarm ausgelöst.

    Zutreffend finde ich auch, daß eine solche eindringliche Warnung der Öffentlichkeit über das Platzen der jetztigen, neuen Blase nicht stattfindet.

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    @Dr. Oliver Strebel

    Danke für den Link und ich kenne natürlich zum Teil die Vorwarnungen, aber trotzdem bleibe ich dabei, daß diese eine breiten Masse nicht zugängig waren und sind.

    Schon wird in so manchen Fachkommentaren für „Interessierte“ vorausgesagt, daß sich 2012 die nächste Finanzkatastrophe anbahnt, die dann natürlich nicht mehr von der Allgemeinheit geschultert werden kann, weil nichts mehr dafür vorhanden ist und welche Medien, die sonst mit jeder entbehrlichen Schlagzeile zur Stelle sind, informieren darüber die Bürger auf breiter Basis?

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    @Silvia Berger: „Ich bin mir nicht so sicher, ob die Zukunftsforscher und Wirtschaftsweisen mit ein bißchen Insiderwissen die Finanzkrise nicht vorausahnten.
    Aber deren Auftraggeber waren sicher nicht an einer Verlautbarung interessiert, denn PANIK im Finanz- und Wirtschaftsgefüge galt es zu verhindern und die wäre eventuell ausgebrochen, wenn sie vor der vollen Tragweite gewarnt hätten.“

    Der IWF warnt seit 2004 öffentlich und penetrant wiederholt vor der Überschildungskrise, insbesondere vor den leichtfertig vergebenen. Googeln sie mal nach IMF und housing bubble ;).

    Der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman hat schon 2002 gesagt, daß Greenspan eine „housing bubble“ benötigt, um die Folgen der geplatzten Immobilienblase zu bereinigen. Hier am Ende des 8. Absatze nachzulesen.

    http://www.nytimes.com/2002/08.....e-dip.html

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    Ich bin mir nicht so sicher, ob die Zukunftsforscher und Wirtschaftsweisen mit ein bißchen Insiderwissen die Finanzkrise nicht vorausahnten.
    Aber deren Auftraggeber waren sicher nicht an einer Verlautbarung interessiert, denn PANIK im Finanz- und Wirtschaftsgefüge galt es zu verhindern und die wäre eventuell ausgebrochen, wenn sie vor der vollen Tragweite gewarnt hätten.
    So bastelte man im Stillen an der einzig gangbaren Lösung – wie schon in einem vorigen Kommentar bemerkt- es muß sowieso die Allgemeinheit dafür aufkommen, wozu dann ein Riesenkrach im Vorfeld?
    Cui bono?

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    Bis zum zweiten Absatz bin ich gekommen. Und dort tauchen sie unvermittelt auf: die Binnenversalien der Gender-Ideologen. Ich könnte schreien …

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    Wenn sich die Gender Identity schon so selbstverständlich auflöst, dass der künftige Cicero-Chefredakteur seine Kommentare auf High-Heels und im roten Chiffon tippt – Ellena Posener: Wenn ich noch einmal irgendwo lese, dass […], schreie ich. – was ist da von einer modernen CDU-Kanzlerin, bitte, modernen CDU-Kanzlerin, anderes als Bliebigkeit an Stil und Kontur zu erwarten?

  7. avatar

    Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Bis auf den zweiten Satz im letzten Teil:

    „Sie meint einfach, sie sei die Beste, um das Land durch diese unsichere Zeit zu lenken. Was man angesichts der Alternativen nicht wirklich bestreiten kann.“

    Wir haben leider keine zweite Erde, womit ich Ihnen das Gegenteil beweisen könnte, das ist ihr einziger Trumpf in dieser Aussage.

  8. avatar

    Sie schreiben: „Wie die Beispiele zeigen, und sie ließen sich erweitern, ist die Vorstellung von der nüchtern kalkulierenden Naturwissenschaftlerin (im Gegensatz zum intuitiv handelnden Politiker) Blödsinn. Klar, die meisten PhysikerInnen, ChemikerInnen, BiologInnen usw. sind Erbsenzähler.“

    *lach* Wieso ist die Vorstellung vom nüchtern kalkulierenden Naturwissenschaftler Blödsinn, die Vorstellung vom Erbsenzähler aber klar. Ist Erbesenzählerei nicht ein pejoratives Synonym für übertrieben nüchterne Kalkulation.

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