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Die postnationale Nation

Im Anfang waren weder Revolution oder Krieg noch nationale oder gar völkische Aufwallung. Der British North America Act vom 1. Juli 1867 war das Resultat pragmatischer Überlegungen, langwieriger Verhandlungen und spätimperialer Regierungsklugheit. Statt auf pathostriefende Beschwörungen von hohen und höchsten Werten und Bezugnahmen auf vorgeschichtlichen Mythen setzten die Fathers of Confederation auf das konkret Machbare: Peace, Order and Good Government. Das klingt für manche Ohren unheroisch, gar langweilig. Doch boring is better, wie das kanadische Nachrichtenmagazin Maclean’s vor einigen Jahren titelte. Mit der Gründung des Dominion of Canada vor 150 Jahren begann die letzte Etappe des Rückzugs Großbritanniens vom nordamerikanischen Kontinent, der sich formal bis 1982 hinzog. Und es begann die erstaunliche Geschichte eines Staates, der im Unterschied zu den europäischen Nachfolgestaaten der großen Reiche dem Prokrustesbett eines verengten nationalistischen Selbstverständnisses unaufhaltsam zu entfliehen scheint. Weiterlesen

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Importierter Antisemitismus, historisch

Wenig nur ist erbaulicher als eine schöne historische Quelle. Von Zeit zu Zeit werde ich Fundstücke aus Archiven und Bibliotheken posten. Einfach so, ohne großen Kommentar, nur mit einer kurzen Erläuterung des Kontextes. Und zur freien Verwendung. Das ist keine Meinung, vielleicht aber meinungsbildend.

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Von den falschen Freunden Israels. Oder: eine antisemitische Fratze hinter der proisraelischen Maske?

Europaweit geben sich die Neuen Rechten große Mühe, die zum Teil antisemitischen Tendenzen innerhalb ihrer Anhängerschaft und in ihrem politischen Denken zu camouflieren. Weil mit dem politischen Antisemitismus aus dem Land und der Zeit der Väter und Vorväter kein Staat mehr zu machen ist, inszenieren Rechtspopulisten und Rechtsextremisten (allerdings anknüpfend an die Vorlagen der „politischen Mitte“) ein jüdisch-europäisches Abendland, das es so nie gegeben hat – man befrage hierzu nicht zuletzt die Nachkriegswerke gerade deutsch-jüdischer Denker wie Leo Baeck oder Gershom Scholem -, pilgern sie nach Israel, um dort ihre Judenfreundschaft in Szene zu setzen oder winken bei allen Gelegenheiten mit Israelfahnen, um Solidarität – ja, mit wem eigentlich? – zu demonstrieren. Doch manchmal fällt die Maske. Über den Zusammenhang von Antisemitismus und Proisraelismus nachzudenken, führt direkt in die Abgründe der Inkonsistenzen der Neuen Rechten.

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Was tun? Den Protest entzaubern!

Der medial zum „Supersonntag“ erhobene Wahltag – realiter Landtagswahlen in drei (von sechzehn) Bundesländern – ist so ausgegangen, wie es zuletzt zu erwarten gewesen und von den Demoskopen prognostiziert worden war. Überraschend ist eigentlich nur die (zum Teil wohl gespielte) Blödheit des Erstaunens und der Empörung im medialen und politischen Betrieb über den Wahlerfolg der Alternative für Deutschland. Mit durchweg zweistelligem Stimmenanteil in drei Länderparlamente eingezogen, scheint sie sich vorerst als feste Größe in der deutschen Parteienlandschaft zu etablieren. Doch weder haben wir „Weimarer Verhältnisse“ – nicht einmal in der Nationalversammlung von 1919 vereinte die „Weimarer Koalition“ auch nur annähernd einen so hohen Stimmenanteil wie jene Parteien, die von der AfD und ihren Anhängern zum „System“ gerechnet werden – noch können wir einfach so weitermachen. Mehr als 80 Prozent der Wähler haben diese Partei nicht gewählt. Die Vertreter dieser Wähler stehen nun vor der Aufgabe, gemeinsam eine Politik gegen die Unanständigkeit zu organisieren. Das wird in den jeweiligen Bundesländern zu ganz unterschiedlichen, zum Teil neuartigen Konstellationen führen. Für die politischen Grundlinien lassen sich jedoch gemeinsame Muster entwickeln. Weiterlesen

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Das Schwein des Anstoßes. Über die Kulturalisierung von Ressentiments und Hass

Man könnte es kurz machen und fragen, wie armselig es um eine Kultur bestellt sein muss, wenn der Verzehr von Schweinefleisch zu einem ihrer identitätsbildenden Kerne erklärt wird. Doch kennen alle Kulturen Speisetabus und alle Religionen Speisegesetze, die mehr oder minder strikt eingehalten werden. Also möchte ich versuchen, die aktuelle Diskussion um Schweinefleischgebote und -verbote ernst zu nehmen. Aus hygienisch-gesundheitlichen, sozio-ökonomischen oder anderen zutiefst profanen Gründen einmal erlassen, wurden Speisegesetze kulturell bzw. theologisch veredelt und schließlich zu einem verbindlichen Teil der kulturellen Eigenart bzw. des religiösen Bekenntnisses erhoben. Hier reden wir nicht über das Fleisch von Babyrobben oder Pferden, von Hunden oder Katzen. Wir reden über das Fleisch von Schweinen, dessen Verzehrverbot der Islam vom Judentum übernommen hat, so wie umgekehrt der Hellenismus die Verachtung und Verhöhnung schweinefleischfreier Ernährungsweisen dem Christentum vererbte, das es wiederum an den radikalen Säkularismus unserer Tage weiterreichte. Weiterlesen

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The Empire Strikes Back. Oder: Der königliche Griff nach Deutungsmacht

Die Republik hat derzeit wahrlich andere Sorgen. Doch liefert die Handhabung der Causa Hohenzollern in Brandenburg – der Streit um eine Entschädigungszahlung über 1,2 Millionen Euro für die Enteignungen nach 1945, eine Höhe also, die selbst dem Haus Hohenzollern nicht von primärer Bedeutung sein kann – ein ebenso bezeichnendes wie für Außenstehende unterhaltsames Lehrstück über gegenwärtige Geschichtspolitik. Und wenn dann einmal die Juristen eingeschaltet sind, um über „historische Wahrheit“ zu urteilen, weiß man, dass der differenzierenden historisch-kritischen Analyse letztes Stündlein geschlagen haben könnte.

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Treitschke Reloaded. Die Lust am Untergang und die Verantwortung des Historikers

In politischen und gesellschaftlichen Umbruchszeiten mit entsprechenden Krisenwahrnehmungssymptomen ist die Nachfrage nach Orientierungswissen besonders groß. Die Medienöffentlichkeit greift gierig jeden Hinweis auf, vorzugsweise wenn er eigene Sichtweisen stützt. Fast ein jeder kann da zum Experten werden. Die Bandbreite der mal als Meinung, mal als Erklärung und leider allzu häufig als Wahrheit in die Welt gesetzten Verlautbarungen reichen von der behutsamen Analyse bis zur marktschreierischen Scharlatanerie. Besonders begehrt scheint der akademische verbrämte Segen, weil er auf abgesichertem Wissen, bürgerlicher Seriosität und allgemeiner Weltklugheit zu gründen scheint. Folgt aus dieser machtvollen, weil privilegierten Position im öffentlichen Diskurs eine besondere Verantwortung für jene, deren Deutungsautorität auf professoralen Weihen beruht? Diskussion eines Textes des renommierten Emeritus Alexander Demandt, den die zersetzende Kraft von Völkerwanderungen in den Unruhestand versetzt zu haben scheint. Weiterlesen

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Zurück in die Zukunft: Multikulturalismus aufs Neue denken

Kaum etwas spricht mehr für das Versagen des in Deutschland ohnehin schwach ausgeprägten politischen Liberalismus (jeglicher Couleur) als dessen Selbstverweigerung gegenüber einer genuin liberalen Idee. Ein Plädoyer für die offensive Wiederaneignung des Begriffes und der Idee „Multikulturalismus“. Was wären denn auch die Alternativen? Weiterlesen

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