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Der Friedensnobelpreis 2016 und der islamistische Terror aus Tunesien

Drei Wochen nach dem islamistischen Terroranschlag gegen den Weihnachtsmarkt und seine Besucher in Berlin, der 12 Todesopfer und 50 Schwerverletzte forderte, neben all der Angst und Schrecken, rücken die Beziehungen Europas und Berlins nach Tunesien und Marokko etwas genauer in den Blick als bei der Debatte über die sicheren Herkunftsländer, die von den Grünen und der Linkspartei blockiert wurde. Doch bisher hat niemand Bezug auf das tunesische Quartett genommen von Medien, Politik und Experten. Auch konnte ich bisher nirgendwo Genaueres über die Effizienz der Millionen, die über die EU und das Auswärtige Amt und das BMZ nach Nordafrika, speziell Tunesien geflossen sind ,lesen oder hören. Welche Antiterrorarbeit wird dort unterstützt, welche Religions-und Islampolitik, wie ist der wahabitische Einfluss, der der Muslimbrüder, die Salafistenszene dort. Meine traurigerweise weitsichtigen Fragen vom Oktober 2016 hier bleiben also aktuell:Friedensnobelpreis für das tunesische Quartett

Selten habe ich mich so über den Friedensnobelpreis gefreut, wie dies Mal. Auch wenn ich mich mit geehrt fühlte, als meine Freundin Wanghaari Mathai, die mit tausenden von Frauen Bäume gepflanzt und gegen die Diktatur von Mopi Moi in Kenia gekämpft hat, als geschiedene Frau von der Uni entlassen wurde ,nach langer Zeit als erste Frau wieder den Preis erhielt. Auch als Shirin Ebadi für die Frauenbewegung und Reformbewegungen im Iran den Preis erhielt und ich sie in dem Moment in Rom kennen lernen durfte. Erst Recht rührte mich der Nobelpreis für Malala 2014, ein Preis gegen den Terror der Taliban und für Mädchenbildung weltweit.

Alle Träger des Friedensnobelpreises sind keine Engel und haben wohl vorher oder hinterher auch mal was Dummes gesagt, so wie mir die Töne von Shirin Ebadi bei einer Konferenz im Auswärtigen Amt gegen das angeblich pauschale Versagen des Westens nicht mehr gut gefallen haben. Auch einige Aussagen von Wanghaari kurz vor ihrem zu frühen Tod waren etwas wirr, mal von einigen Preisträgern, die Kriege geführt haben, abgesehen.

Bertha von Suttner war seit Ende der 70ger Jahre mein Vorbild für eine europäische und weltweite Frauenfriedensbewegung.Ich verstand damals nicht, wieso denn Alfred Nobel mit seinem Sprengstoff-Imperium ihr guter Freund war.Vielleicht haben sich beide ja irgendwie ergänzt.So wie ich heute weiß ,dass in einigen Fällen Frieden auch nur mit Hilfe von klugen und effektiven und vernünftigen Militärs und Polizei und Sicherheitsdiensten gerettet und verteidigt werden kann.Aber ohne Rechtsinstitutionen,sowohl national wie international und ohne eine kluge und effektive und vernünftige Zivil-Gesellschaft geht es auch nicht.Darauf verweist der diesjährige Friedensnobelpreis.Was wussten die meisten über dieses sogenannte Dialog Quartett, das in Tunesien eine Situation wie in Ägypten, in Lybien, im Jemen und Syrien verhindert hat?

Besuch in Tunis im Herbst 2013 und Kritik an Westerwelle

Ich hatte die Ehre, einige der Vertreterinnen des Quartetts im Herbst 2013, also kurz nach den politischen Terrorattentaten gegen zwei integre politische Führer der Gewerkschaften und der säkularen Demokratie in Tunesien, kennen lernen zu dürfen und ihnen die Unterstützung durch die Vereinigung der ehemaligen Abgeordneten des Europaparlamentes ausdrücken zu dürfen mit einigen Kollegen.

Als das Gruppenfoto mit dem Regierungsvertreter der EN NAHDA gemacht werden sollte,bin ich aber auf die Toilette gegangen. Denn ich wollte auch nicht durch noch so eine kleine Geste die Vertreter der EN NAHDA stärken. Die hatten nämlich den Verfassungsprozess um zwei Jahre verschleppt aus eigenen Machtinteressen und keine klare ideologische und sicherheitspolitische Abgrenzung gegenüber den Salafisten gezogen, so die Attentate an ihren säkularen demokratischen Kontrahenten möglich gemacht.Einiges erinnert an die Lage in der Türkei zur Zeit.Es war bewegend in den Räumen der Gewerkschaftszentrale Houcine Abassi im Gespräch zu erleben und da bei einem kleinen Seitensprung von mir auch mit Gewerkschaftsfrauen zu reden.Beschämend fand ich, wie wenig wir über sie in den Medien hier lesen konnten seit 2011. Die Gewerkschaften in Tunesien haben nicht nur jahrzehntelange enge Verbindungen nach Frankreich, sondern auch nach Berlin, wo einer ihrer Gründer studiert und Gutes gelernt hat.

Auch der Besuch beim Unternehmerverband war beeindruckend, in dem viele Frauen ohne Kopftuch führend sind. Noch mehr haben mich an der juristischen Fakultät der Universität in Tunis die Professorinnen beeindruckt und das Diskussionsklima der Zusammenarbeit mit den streikenden Studenten,das viele junge Juraprofessoren herstellten.Einer von ihnen gab mir aber mit auf den Weg, was ich schon selbst erkannt hatte und von Intellektuellen und der Rechtsanwaltskammer und Gewerkschaften vor Ort bestätigt bekam: Die Reise von Westerwelle nach Tunesien, kurz bevor oder nachdem er auf dem Tahir-Platz mit demonstriert hatte, haben sie durch seine naive und opportunistische Unterstützung der EN NAHDA Partei zu unterstützen, als Verrat empfunden an ihren demokratischen Kämpfen. Westerwelle und wohl auch Frau Merkel und einige Stiftungen verglichen die EN NAHDA Partei ,sogenannte gemäßigte Islamisten mit der CDU.Das hätte Frau Merkel eigentlich als Beleidigung verstehen müssen,doch das wirkte wieder so schön beruhigend.Für die in Tunesien und Nordafrika,die gegen die Scharia in der Verfassung und gegen die Attentate und das Anwachsen der Salafisten kämpften, war das ein Messer in den Rücken,wie sie mir entsetzt und von Deutschland verwirrt, sagten.

Bei allem guten Glauben gegenüber dem demokratischen Deutschland, Verbindungen über den DAAD und die verschiedenen Entwicklungskooperationen,war die Unterstützung der EN NAHDA durch Westerwelle und die deutsche Regierung eine fatale Schwächung der säkularen Zivilgesellschaft und der Frauenorganisationen, die gegen die Islamisierung des Landes und Nordafrikas schon seit langem kämpfen.

Die Feier der deutschen Einheit in Tunis

2013 hatte der deutsche Botschafter dagegen alle Vertreter des Quartetts zum Tag der deutschen Einheit eingeladen,die ich dort zwischen Aktivistinnen der Kulturszene treffen konnte.

Es hilft enorm für die Einübung in europäische und globale Perspektivenwechsel mal in anderen Ländern den Tag der deutschen Einheit zu feiern,falls man die Brillen wechseln kann.Die Fahne ,die Nationalhymne,Essen und Alkohol Trinken, Reden mal aus dem Blickwinkel der Gewerkschaften, Frauenverbände, Rechtsanwaltskammern und Parteien und Künstlerinnen des Landes und der armen kleinen NGOs vor Ort anzuhören oder aus der Sicht der langsam aussterbenden und durch Gewalt von Islamisten vertriebenen uralten jüdischen Gemeinde in Tunis und Djerba öffnet den Blick und Gefühle.

Da ich aus der Musikszene Berlins einige Tunesier kenne und mit ihnen kurz nach Beginn der Jasmin Revolution in Tunesien in Berlin demonstriert habe und Vertreterinnen der langjährigen Opposition hier traf,hatte ich neben den offiziellen Kontakten auf der Regierungsebene auch viele andere Kontakte in die Zivilgesellschaft,vor allem zu kämpferischen säkularen Frauenorganisationen, zuJugendkulturzentren,zu Journalisten der alten Schule wie zu denen der internet- Generation, zu Theaterleuten.

Die Friedrich Ebert Stiftung und die Adenauer Stiftung in Tunis wie das Goethe Institut und die Deutsche welle sind hier mal klar zu loben, denn sie haben in der Umbruchzeit der Jasmin Revolution und wohl auch schon vorher, die richtigen Leute und NGOs, die Gewerkschaften,unabhängige Journalisten unterstützt, was ja leider nicht immer der Fall ist bei den Geldern die vom Auswärtigem Amt,dem BMZ oder aus der EU oder von der Weltbank nach Nordafrika geflossen sind.

Der arabische Frühling eine Internet- und Experten-Illusion?

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an das tunesische Quartett bedeutet ja nicht einfach,dass Dialog das einzige Mittel im Umgang mit Salafisten, Terroristen und Kleptokraten und ihrer Frauen,bei der Transformation von Diktaturen zu Rechtsstaaten ist. Demokratie schaffen ist oft ein zu großes Wort.

Der Preis an das Quartett bedeutet aber auf jeden Fall, alle die von der arabischen Revolution als Politikerinnen ,Experten und Medienleute einige Monate lang geschwärmt haben, jedes Land genauer zu betrachten in seiner Geschichte und seinen säkularen und religiösen,demokratischen Traditionen und Institutionen, Mentalitäten.

Der besondere Fall Tunesien ist viel zu schnell von Medien, Politikern, Experten und auch der liberalen Zivilgesellschaft im arabischen Raum auf andere große Länder übertragen worden,die eine ganz andere Rolle im geopolitischen Spiel haben, wie an Syrien seit 2011 zu sehen ist.

Auch alle die, die als Experten, Medien, Politiker seit der grünen Revolution im Iran 2009 immer nur von der internet- und facebook -Revolution geredet und geschrieben haben,sollten sich mit verantwortlich fühlen für naive,leichtsinnige und unverantwortliche Fehleinschätzungen.Auch Medien und Experten bei uns tragen Mitverantwortung für das Scheitern von Rechtsstaaten und neuen Demokratien und Bürgerbewegungen.

Wieso meinten so viele, dass facebook- Einträge und Klick-Mobilisierungen eine gute Gewerkschaftsorganisation, und Unternehmerverbands ,Frauen und Juristenorganisation und deren integre Vertreterinnen ersetzen können? Auch denen sei der Friedensnobelpreis ein Signal.

Die grausigen Terrorakte in Tunesien in dem wunderschönen Bardo -Museum und in den Hotels mahnen uns.

2013 freute ich mich so, dass es dort vorislamische Mosaike aus der Zeit der Phönizier gibt, wo der männliche Gott und die weibliche Göttin mit offenem Busen und offenem Haar gemeinsam den Herrscherwagen führen.

In den Museen in Tunis wie in Alexandria und in Karthago und in einigen Touristenstädten wird an ein anderes als an das islamische Kulturerbe oder gar die rigide Islaminterpretation erinnert. Es hat in Nordafrika wie in Indonesien und Syrien ein gutes Neben und Ineinander der Kulturen gegeben,was nun bedroht ist nicht nur durch den IS -terror. In Tunesien war das kulturelle Gleichgewicht französisch vermittelt und durch den ständigen Austausch mit Europa.

Schon seit dem Krieg in Algerien, der in Deutschland von Politik und Medien kaum wahrgenommen wurde in den 90ger Jahren ist diese Tradition bedroht.Zehntausende von jungen Männern in Algerien suchten schon seit den 90gern und 2001 und seit 2011 auch aus Tunesien ihre Alternative zu Armut und religiöser und kultureller Verunsicherung in der Identität und finanziellen Sicherung als islamistischer Kämpfer ,Soldat sein im Salafismus , bei den Taliban und Al QAIDA,bevor sie dann

zum IS gingen.Die Gelder fließen seit Jahrzehnten aus Saudi Arabien und Katar, da geht es um Milliarden aus Petrodollars.Für eine schlimme Verharmlosung dieser Situation ,die der Analyse von Scholl-Latour entgegenstand,hielt ich es,dass hier Islamexpertinnen wie Frau Prof. Krämer eine Legitimation und Unschulds -Erklärung für die Scharia in der Verfassung in Tunesien und Ägypten in der Berliner Zeitung u.a. abgeben konnten ohne medialen Widerspruch.Da mussten sich meine Freundinnen und Freunde aus den Frauenorganisationen,die seit den 50ger Jahren kämpfen wie säkulare Menschenrechtler und Gewerkschafter verraten fühlen.

Ein europäischer, reformierter Islam kann auch Tunesien helfen

Das Konzept der deutschen Islamkonferenz,das ich eh für fragwürdig halte, weil dort viel zu viele konservative bis reaktionäre Vereinsvertreter die Mehrheit bilden, Literaten wie Kermani, Frauenrechtlerinnen wie Necla Kelek und Reform-Theologen wie Korchide,nur als extreme Minderheit,kann nicht als Vorbild für die arabische Welt gelten. Denn dort gibt es alte Traditionen den Islamismus und die reaktionäre Form des Islam zu bekämpfen wie auch im Libanon und Jordanien,so wie es Traditionen der Koexistenz und der Toleranz und der Vielfalt gibt.

Diese müssen dringend für die arabische Welt erhalten bleiben,in und nach dem nun drohenden Dauerkrieg im Nahen Osten wiederhergestellt werden.Wir dürfen Tunesien auch als Touristen nicht allein lassen, wenn man an den Angriff auf das Bardo Museum und den Terror in Touristengegenden, zentralen Bereichen der Wirtschaft und des Kampfes gegen die Armut denkt.

Frau Roth fordert im tv mal schnell die Verhaftung Ghaddafis und den sofortigen Rücktritt Assads

Ich kann mir bis heute nicht erklären, wieso nach der militärischen Intervention in Lybien, die ich im Gegensatz zu Herrn Westerwelle und Frau Merkel und Claudia Roth im Rahmen der „responsibilty to protect“der UNO für leider nötig,wenn auch riskant hielt, anscheinend niemand in Frankreich, den USA und der Nato daran gedacht hat, sofort die Grenze zu Tunesien und Ägypten gegen Waffen und Menschen handel zu sichern.Mindestens das hätte man doch durch das desaster des Irakkrieges lernen können. Klar wäre eine Lybien-Resolution der UNO mit Russland und China besser gewesen,doch sich einfach rauszuhalten, wie deutsche Grüne und die deutsche Regierung, hat die Lage für Tunesien und Lybien nicht verbessert.

Wie Claudia Roth und andere Grüne einfach nur medial zu rufen,„Ghaddafi muss sofort vor den internationalen Strafgerichtshof,Assad muss sofort zurücktreten,“ hat,wie man sieht, überhaupt nichts geholfen, eher Illusionen für die Opposition in Syrien geschaffen und Nichtstun durch Reden im deutschen Fernsehen ersetzt. 

Solidarität mit säkularen Frauenorganisationen und dem Quartett hilft auch Europa

Ich kann hier nur einige Probleme für die Stabilisierung Nordafrikas andeuten, wo ja die nächste Flüchtlingswelle aus Lybien droht,die ersten habe ich schon in Berlin getroffen.Doch wir sollten die Verleihung des Friedensnobelpreises an die weisen und mutigen Vertreterinnen des tunesischen Dialog Quartetts und aller derer in der Bevölkerung, die es unterstützt haben, auch als Aufgabe an uns sehen, bei den Entwicklungen in Nordafrika und der arabischen Welt genauer und historischer hinzuschauen, medial und politisch und ausdauernder.

So wenig wie Diktatoren blind unterstützt werden sollten ,so wenig sollten Umbrüche romantisiert werden oder facebook actions oder ominöse historische Subjekte wie „die Jugend“ oder schlicht „das Volk“,ohne genauer hinzuschauen.

So geschah es um 2009 zum Iran, dann 2011 zu Ägypten ,Syrien, Lybien ohne garantieren zu können, welche Institutionen und welche Zivilgesellschaft und welche UNO oder welche EU denn diese Umbrüche ordnend gestalten kann zum Guten oder zumindest zum Besseren hin.Gerade in Zeiten des internets sind mehr solide Kenntnisse und nüchterne Einschätzungen gefragt, wo viel Verschwörungstheorien und Gewaltbilder grassieren, nicht nur der viel gescholtene „Westen“, sondern auch Russland und China und Terrorgruppen globale mediale Propaganda betreiben.

Möge Tunesien weiterhin der Jasmin duften,vor allem denen, die sich gegen den Terror und seine religiösen oder korrupten Wegbereiter wehren,die die soziale Lage in den vernachlässigten Gebieten Tunesien und den Analphabetismus zu bekämpfen versuchen und die Grenze gegen Waffen und Menschenhandel sichern,die dem Land durch das Handeln des Quartetts Hoffnung geben.Wir sollten alles tun,Tunesien dabei zu helfen.

 

 

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2 Gedanken zu “Der Friedensnobelpreis 2016 und der islamistische Terror aus Tunesien;”

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    „In den Museen in Tunis wie in Alexandria und in Karthago und in einigen Touristenstädten wird an ein anderes als an das islamische Kulturerbe oder gar die rigide Islaminterpretation erinnert.“

    Ja, und ein Museum wurde ja angegriffen. Das sind zwei verschiedenen Welten. Die eine hat mit der anderen wenig zu tun. Und beide sind Muslime. Wenn die westlichen Staaten aber SA stützen und mit Waffen beliefern sowie Qatar die Fußball-WM geben, statt einmal mit denen Tacheles zu reden und sie wegen evtl. IS zu sanktionieren, muss sich doch niemand wundern.

    Schöne Ausführungen, übrigens.

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    In Tunesien kann man das Nebeneinander von bemerkenswerten Hochkulturen beobachten. Das Bildungssystem ist gut. Die Kinder gehen in die Schule, viele junge Mädchen entziehen sich den islamisch verbrämten Beschränkungen. Viele Menschen sprechen französich, manche auch englisch und einige sogar ein paar Brocken deutsch. Dass jungen Menschen nicht die Chancen geboten werden, die sie benötigen, ist ein Jammer. Noch bedauerlicher, dass sie als Migranten zu schnell in klein-kriminelle Subkulturen geraten. Eigentlich müsste Tunesien es schaffen.

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