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Patrick Bahners und Andreas Wirsching: Worum es geht und warum es wichtig ist

Bei der Auseinandersetzung zwischen Patrick Bahners und Andreas Wirsching geht es mitnichten um „semantische Spitzfindigkeiten“, wie Liane Bednarz hier auf „Starke Meinungen“ behauptet hat. Es geht um unser Verständnis von Demokratie, Liberalismus und Freiheit. Darüber hinaus geht es um die Einschätzung der gegenwärtigen politischen Situation in Deutschland und Europa. Ist die heutige Lage  mit jener vergleichbar, in der die herrschende Elite Adolf Hitler zur Macht verhalf? Oder ist eine solche Einschätzung ahistorische Panikmache?

Laut Andreas Wirsching ist die Demokratie in Gefahr, „wenn sich auf ihrem Boden (sic!) extremistische Kräfte bilden, die sich einerseits gegenseitig bekämpfen, die am Ende aber auch die Demokratie selbst treffen wollen“: in der Weimarer Republik waren das die Kommunisten und die Nationalsozialisten; heute seien es die Islamisten und die antiislamischen Rechtspopulisten. Doch ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich. Jedenfalls kein gültiger. Berlin ist nicht Weimar, Paris übrigens auch nicht, und es erstaunt, dass ein angesehener Historiker eine derart abwegige Parallele zieht.

Um mit den Islamisten zu beginnen: anders als die Kommunisten in der Weimarer Republik haben sie weder unter der Arbeiterschaft noch unter den Intellektuellen eine nennenswerte Gefolgschaft. Selbst unter den deutschen Muslimen, ihrerseits eine kleine Minderheit im Land, ist der Einfluss von Organisationen wie IS oder Al Qaida kaum der Rede wert. Sicher bilden bestimmte Milieus einen Rekrutierungsboden für islamische Terrorgruppen, und sicher ist dieser Terror ein Problem für die Sicherheitsbehörden; doch selbst die RAF hatte vermutlich zu ihrer Hoch-Zeit, als Zehntausende für die „politischen Gefangenen“ demonstrierten, in Deutschland mehr Einfluss als IS und Co. heute. Und die RAF bildete, auch wenn Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß sie dazu stilisierten, niemals eine Gefahr für die deutsche Demokratie.

Auf der anderen Seite ist die Alternative für Deutschland keine NSDAP. Weder ist ihre Ideologie fundamental antidemokratisch, noch verfügt sie über Massenorganisationen, die der SA oder SS vergleichbar wären. Sie ist eine rechte, keine rechtsradikale Partei. Gewiss finden einige unangenehme Gestalten in der AfD eine Heimat. Gewiss dient die Islamfeindlichkeit heute, wie der Antisemitismus damals, primär der Delegitimierung der demokratischen Mitte. Gewiss dient der Ruf nach Volksabstimmungen dazu, den Rechtsstaat als undemokratisch hinzustellen. Gewiss ist der antieuropäische Nationalismus der AfD gefährlich. Kurzum: Alles an der AfD ist mir peinlich und unsympathisch. Aber das macht aus einem Haufen ressentimentgeladener Rechter noch keine Faschisten. Alexander Gauland ist kein Adolf Hitler, Björn Hocke kein Joseph Goebbels. Die Dresdener Pegida-Bewegung, die es schwer findet, selbst nebenan in Leipzig Fuß zu fassen, von Berlin oder westdeutschen Großstädten ganz zu schweigen, ist eine eher traurige als bedrohliche Angelegenheit.

Was aber noch wichtiger ist: Die Eliten in Deutschland – in der Industrie, dem Finanzwesen, den Hochschulen, den Medien, der Bürokratie, dem Militär – sind durchweg republikanisch und demokratisch gesinnt. Es mag in der „Mitte der Gesellschaft“ Einbrüche geben. Aber die Eliten halten fest am Projekt einer demokratischen, liberalen, offenen, europäischen und multikulturellen Bundesrepublik Deutschland. Weder eine „Machtergreifung“ wie am 30. Januar 1933 noch eine „Ermächtigung“ zur Diktatur, wie sie keine drei Monate später zur ewigen Schande des politischen Katholizismus mit den Stimmen des Zentrums, das diesen Staatsstreich hätte verhindern können,  gegen die SPD vom Reichstag legal beschlossen wurde, ist in Deutschland heute – oder morgen – denkbar. Sicher soll man „den Anfängen wehren“, darum ist, anders als Wirsching behauptet, die ideologische Auseinandersetzung mit dem Islam und mit dem Rechtspopulismus nötig; aber gerade nicht deshalb, weil es „fünf vor zwölf“ wäre; sondern damit es gar nicht erst so spät wird.

Ich will, das muss ich betonen, die Fragilität der gegenwärtigen politischen Situation nicht leugnen. Wenn man an den von Säbelrasseln begleiteten Aufstieg Chinas denkt; an die außenpolitischen Abenteuer der Putin’schen Kleptokratie; an die offenbare Unfähigkeit der uns benachbarten arabisch-islamischen Welt, funktionierende Staatlichkeit zu errichten, von Demokratie ganz zu schweigen; an die Krise der amerikanischen Demokratie und des angelsächsischen Kapitalismus; an das Anwachsen des Protektionismus und die Gefahr eines Zerfalls der Europäischen Union – dann kann einem bange werden. Doch diese keineswegs vollständige Aufzählung der politischen Probleme der Gegenwart offenbart auch, dass die Entwicklungen in Deutschland weltpolitisch nicht jenes Gewicht haben, das sie 1933 hatten. Wir sind, zu unserem Glück, keine Weltmacht mehr. Umso dümmer und gefährlicher ist der antieuropäische und antiamerikanische, dafür prorussische Nationalismus von Teilen der AfD und der Linkspartei; aber dieser Kurs widerspricht derart eklatant den Interessen, ja der Staatsräson einer politisch und militärisch ohnmächtigen Handelsnation, dass man kaum glauben mag, er werde sich durchsetzen, auch wenn das Scheitern von TTIP nichts Gutes verheißt.

In seinem Buch gegen die „Panikmacher“ hat Patrick Bahners das Recht religiöser Menschen verteidigt, göttliche Satzungen über bloß menschliche zu stellen, und seien diese auch demokratisch legitimierte Verfassungen. Er hat auf die jeder modernen Religion notwendig innewohnende Gefährlichkeit hingewiesen, auf einen irrationalen und undemokratischen Glutkern, den der Staat weder vollständig bändigen kann noch vollständig zu bändigen versuchen sollte. Religion, so Bahners, ist mehr als die von der türkischen Ditib oder den deutschen Kirchensteuerkonfessionen gebotene staatstreue Erbauung, und damit müssten Demokraten leben lernen.

Gerade für mich, der ich ein Buch gegen Benedikt XVI geschrieben hatte, dessen mehr oder weniger offen verfolgtes Ziel als Papst die Rückgängigmachung der Moderne – durchaus im Bunde mit dem Islam – war, stellte Bahners‘ Buch eine Herausforderung dar. Jedoch finde ich, dass er Recht hat; wie ich ja das Recht, ja die Pflicht hatte, die Moderne gegen die Zumutungen der Benedikt-Anhänger zu verteidigen. Wo ich Unrecht hatte, und das habe ich in meinem Buch über die „Empörte Republik“ offen zugegeben, war, der Taschenbuchausgabe meines ursprünglich zu Recht „Benedikts Kreuzzug“ getitelten Buchs den vom Verlag angeregten Titel zu geben: „Der gefährliche Papst“. Benedikt war nicht gefährlich, wie es sich zeigte. Er war schwach; und selbst seine damaligen Anhänger haben sein Anliegen weder richtig verstanden, noch setzen sie es heute um. Ein Matthias Matussek etwa widerspricht mit seinem Islamhass einem fundamentalen Anliegen Benedikts.

Aber das nur nebenbei. Was ich sagen will: es überrascht nicht, dass Bahners, der sich gegen islamfeindliche Panikmacher wendete, nun auch gegen Panikmacher wendet, die in allem, was rechts von der CDU/CSU steht, bereits halbe Faschisten und eine Gefahr für die Demokratie sehen. Der Kern seiner Aussage lautet, dass die Demokratie mit Alternativen zu tun hat. Das ist in Deutschland seit 2005 nicht wirklich der Fall. Die gewiss staatstragende oder staatstragend gemeinte Weigerung der SPD, mit der Linkspartei auf nationaler Ebene zu koalieren, hat Deutschland zu einer Ewigen Großen Koalition verdammt, die – nicht gerade überraschend – eine Stärkung der Ränder, insbesondere des rechten Rands, hervorgebracht hat. Diese Entwicklung wiederum führt, da die Union nicht mit der AfD koalieren will (und zurzeit auch nicht kann, da die AfD sich noch stärker als die Linkspartei der Übernahme von Verantwortung entzieht) dazu, dass die Große Koalition alternativlos wird. Das kann für die Demokratie nicht gut sein, und ich habe vor einiger Zeit bereits geschrieben, dass ich im Sinne der Demokratie als Wahl zwischen Alternativen lieber Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Blau an der Regierung sähe als weitere Ewigkeiten der erodierenden Merkel‘schen Mitte.

Bahners geht sogar weiter als solche Koalitionsspiele, so politisch unkorrekt sie sein mögen. Man könne, sagt er, der Vorstellung nicht die demokratische Legitimierung absprechen, die im ethnisch-kulturell weitgehend homogenen Staatsvolk die Basis für die demokratische Nation erblickt, in der jenes Volk sozusagen zu sich kommt, sein Schicksal erfüllt, seinen Platz im Konzert der anderen Völker und Nationen einnimmt. So etwa könnte man die der Programmatik der AfD zugrundeliegende Idee charakterisieren. In Bahners‘ Worten: Man könne durchaus „in multikultureller Willensnation und homogener Kulturnation zwei konkurrierende Definitionen des zur Selbstherrschaft berufenen Staatsvolks erkennen“.  Ich stimme ihm zu.

Bis vor wenigen Jahren galt eine solche Auffassung vom Verhältnis zwischen Volk und Staat, Staatsvolk und Nation als beinahe selbstverständlich. Sie liegt der Organisation der Vereinten Nationen und ihrer Politik zugrunde. Die Juden Europas, sofern sie nicht Zionisten waren, erkannten sie selbstverständlich für sich an, und die Zionisten erkennten sie auch an, indem sie eben forderten, die Juden sollten sich als Staatsvolk mit einer eigenen Nation konstituieren dürfen. Multikulturelle Demokratien wie Indien oder die USA galten als Ausnahmen; die im Prinzip der – abstruserweise ausgerechnet von einem amerikanischen Präsidenten verkündeten – „nationalen Selbstbestimmung der Völker“ begründete „normale“ Nation bestand eben aus einem Staatsvolk; Zuwanderer und Minderheiten mussten sich kulturell und politisch assimilieren, also unterwerfen. Selbst in den USA wurde die Idee des „Schmelztiegels“ propagiert, in dem alle Zuwanderer zu „Amerikanern“ verschmolzen.

Dass eine Demokratie „multiethnisch“ und „multikulturell“ sein könne, gar müsse, wäre bis weit in die 1970er Jahre in allen europäischen Staaten als absurd zurückgewiesen worden; und bis heute ist diese Vorstellung außer in der „Anglosphäre“ – den USA und Großbritannien, Kanada und Australien, Indien und Südafrika – kaum irgendwo Staatsräson. Frankreich ist de facto multikulturell, verkündet aber einen militanten Republikanismus; Deutschland ist de facto multikulturell, hat aber eine Kanzlerin, die verkündet hat, „Multikulti ist gescheitert“ und entledigte sich schnell eines Präsidenten, der behauptete, „der Islam gehört zu Deutschland“. In keinem osteuropäischen Staat der Europäischen Union sind solche Vorstellungen mehrheitsfähig. In keinem muslimischen Staat wird ernsthaft an eine Gleichberechtigung der Religionen gedacht. Sunniten und Schiiten finden es beinahe unmöglich, in einem Staat zusammenzuleben. Israel verlangt seine Anerkennung als „jüdischer Staat“, auch wenn ein Drittel seiner Bürger muslimische und christliche Araber sind. Und so weiter und so fort.

Bekanntlich bin ich selbst, aufgewachsen im multiethnischen, multireligiösen, multikulturellen Kuala Lumpur, ein Anhänger des Multikulturalismus. Bekanntlich misstraue ich als Abkömmling patriotischer und dennoch bis in den Tod verfolgter deutscher Juden dem demokratischen Versprechen des Nationalstaats, zumal christlich-europäischer Prägung. Bekanntlich habe ich eine Vorliebe für die Imperien der Vergangenheit und Gegenwart, vom Imperium Romanum über das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn und das British Empire bis hin zur Europäischen Union, deren mehr oder weniger liberale Ordnungen das Nebeneinander von Völkern und Religionen, die Vielfalt der Kulturen und Subkulturen garantierten und garantieren. Bekanntlich bin ich eben deshalb kein Anhänger des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“, in dessen Namen das Osmanische Reich und die Habsburger Doppelmonarchie zerstört wurden; den Zerfall Jugoslawiens und die Zerstörung Syriens halte ich für Katastrophen; ich bin kein Befürworter einer Zergliederung der Türkei und des Iraks, um einen kurdischen Staat zu schaffen – und so weiter. Den Rückbau der Europäischen Union in einen losen Verbund von Nationalstaaten hielte ich für einen Rückschritt von historischen Ausmaßen.

Bekanntlich bin ich aber auch Zionist in dem Sinne, dass ich das Recht der Juden auf einen eigenen Staat verteidige. Jenseits theoretischer Diskussionen hat der Holocaust gezeigt, dass Theodor Herzl Recht hatte. Ich habe bekanntlich auch das Recht der Polen verteidigt, die Zwangszuweisung von Flüchtlingen abzulehnen, der Esten und Letten, von der russischen Minderheit eine weitgehende Assimilation zu verlangen, der Ungarn, ihre Grenzen zu sichern, der Grönländer und Briten, die EU zu verlassen und so weiter. Die Entwicklung hin zu multikulturellen Gesellschaften und Staaten ist weder zwangsläufig, obwohl sie von der Globalisierung zweifellos nahegelegt wird, noch kann und darf sie erzwungen werden. Sie ist eine Alternative; meines Erachtens die bessere; aber wer sie ablehnt, ist nicht deshalb schon jenseits des demokratischen Spektrums. Darauf hat Bahners zu Recht hingewiesen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bahners mit Wirsching aneinandergerät. Schon die von Wirsching betreute annotierte Ausgabe von „Mein Kampf“ war Gegenstand seines Zorns, oder dessen, was bei einem derart milden Menschen wie Bahners als Zorn durchgeht. Bahners warf Wirsching vor, dass der allgemein als unlesbar, langweilig und schon deshalb weitgehend ungefährlichen Elaborat Hitlers durch die Kommentierung in den Rang einer Art von heiligem Text erhoben würde.

Jedoch glaube ich, dass Bahners etwas Anderes meinte. Er meinte, dass der Text mit Kommentar, das heißt, dass die Interpretation des Textes durch Wirsching und seine KollegInnen, durch diese allein genehmigte, sozusagen mit staatlichem Kaschrutstempel versehene Ausgabe, in den Rang des Heiligen erhoben würde. Hier wie bei seiner Verteidigung des Rechts der Religion auf Widersetzlichkeit und des Rechts von Demokraten auf reaktionäre Lösungen politischer Probleme, geht es Bahners um die Freiheit: und Freiheit bedeutet immer, dass es so, aber auch anders sein kann. Man kann Hitler anders lesen als Wirsching; die Rolle des Nationalstaats anders sehen als die EU-Kommission; Zionist und Gegner des Zionismus sein; die Religion ablehnen und die gottlose Moderne ablehnen: das alles, und noch viel mehr, ist in der Demokratie möglich. Muss, wie mich Richard Rorty lehrte, in der Demokratie möglich sein.

 

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47 Gedanken zu “Patrick Bahners und Andreas Wirsching: Worum es geht und warum es wichtig ist;”

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    Gut, ich hab’s jetzt verstanden und muss Sie sehr loben: Sie schreiben auf einem sehr hohen Niveau verständlich und analysieren für den Leser genau, worum es eigentlich geht. Es macht Spaß, Sie zu lesen und etwas dazu zu lernen. Auch Ihr Optimismus tut hier gut, denn die vielen Probleme und der anhängige Pessimismus zerfressen einen zuweilen nach dem Motto: „Angst essen Seele auf.“ Mögen Sie Recht haben!
    Das Problem IS allerdings halte ich für gravierender, als es Zahlen ausdrücken können. Islamisten, schreiben Sie, hätten keine nenneswerte Gefolgschaft. Trotzdem halte ich sie für gefährlicher als die aus der Weimarer Republik aufgeführten Kommunisten. Auch jene Kommunisten waren in demokratischen Staaten aufgewachsen. Die seelenlose Brutalität heute (man nehme das Schicksal der Jesiden oder Paris, Brüssel, Nizza und die Ermächtigung des einzelnen Spinners) lässt sich mit jener Gruppe kaum vergleichen, und daher finde ich den Vergleich verharmlosend.
    Da die Bevölkerungen insgesamt das nicht als so harmlos betrachten und vor allem gnadenlos aufgeklärt, daneben beschützt werden möchten, die Antworten von Mitte oder Elite, was immer man sagen will, nicht präzise genug sind, geschweige denn die Handlungen, rücken die Länder einzeln in unterschiedlichem Ausmaß nach rechts. Wer den Mangel an Präzision im demokratischen Prozess und dessen geradlinigem Ausdruck deutlich benennt, meine ich, ist Elisabeth Badinter, beileibe keine rechte Islamophobikerin, heute in der Welt.
    M.f.G. und danke für Ihre klaren Gedanken.

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      Lieber Oleander, zunächst einmal danke für Ihr Lob. Ich muss Ihnen dennoch entschieden widersprechen. Hätten nicht die Nazis 1933, sondern die Kommunisten gewonnen, würden Sie, glaube ich, nicht so verharmlosend über sie schreiben. Fragen Sie einmal, was Stalin in der Ukraine angerichtet hat, auf der Krim oder in den baltischen Staaten – oder besser: Lesen Sie Timothy Snyders Bücher „Bloodlands“ und „Black Earth“: dagegen sind die IS-Leute Waisenknaben. Natürlich heißt das nicht, die Gefahr des Terrorismus herunterzureden, schon gar nicht die Opfer des IS in Syrien und im Irak, in Eritrea und Nigeria im Stich lassen; aber was unsere wackeren Kämpfe für „europäische Werte“ vergessen, ist, dass der Kommunismus im Namen der Aufklärung und des Fortschritts, der Demokratie und des Sozialismus, der Wissenschaft und des Wohlstands eine blutige Diktatur aufrichtete, die nicht nur Millionen und Abermillionen tötete und noch mehr versklavte, Gesellschaften und Staaten zerstörte und bis heute von Kuba über Nordkorea bis China Menschen ihrer Freiheit beraubt – sondern dass er von führenden westlichen Intellektuellen unterstütz wurde und in Deutschland, Frankreich und Italien stark genug war, die Machtfrage zu stellen. Wer das als Betriebsunfall der Geschichte abtut, ist so willentlich blind wie jene Moslems, die so tun, als habe der Islamismus mit dem Islam nichts zu tun.

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        Ich dachte da wohl mehr an den deutschen Teil, aber insgesamt haben Sie natürlich recht, wobei das kommunistische Element unter Auslöschung des Individuellen und der Kultur (beim Kommunismus Christentum, beim Islamismus alles Anderskulturelle) ja auch den Islamisten eigen ist. Gefährlich ist nicht nur die Generalattacke auf Andersdenkende, auch durchaus Muslime, sondern auf prägende Kulturgüter wie in Ninive oder Palmyra, letztlich vor allem auf urjüdisches, christliches, römisches oder gar babylonisches Mem-Gut. Ja, sogar auf Buddha-Statuen.
        Leseempfehlung an den Rest: Chaim Noll (zwei Teile) heute auf achgut, Posener wird das gelesen haben.

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      @Oleander: Im Umgang mit der Al-Baghdadi-Bande ist durchaus Gelassenheit angebracht, denn erstens sind ihre Anhänger hierzulande nicht so zahlreich, wie er es vorgibt, und zweitens kann man ihre Art von Terrorismus sowieso nicht verhindern. Der islamistische Terror der neuen Art funktioniert sei Al-Quaida auf eine neue Weise, bei der mehrere Faktoren zusammenkommen.
      1. Das Franchise-Modell: Jeder kann einen Anschlag verüben und sich dabei auf Al-Baghdadi oder Al-Zawahiri berufen. Und das ohne vorherige Prüfung. Die Baader-Meinhof-Bande, die sich gerne als „Avantgarde der Revolution“ sah (und dementsprechend großspurig als Rote Armee Fraktion bezeichnete) hätte es entschieden abgelehnt, daß jeder beliebige Hanswurst in ihrem Namen agieren könne.
      2. Die von Andy Warhol geprägten 15 Minuten Ruhm sind heute allenfalls noch 30 Sekunden wert, ehe die nächste Meldung durch den Äther tickt. Um auf die 15 Minuten zu kommen, muß man schon etwas Spektakuläres tun, und da ist die Al-Baghdadi-Bande gerade recht. Folge: Es schwören selbst diejenigen Attentäter Al-Baghdadi die Treue, die von seinen Mannen wegen unislamischen Lebenswandels kurzerhand einen Kopf kürzer gemacht worden wären, wären sie in das Gebiet eingereist, das er unter seiner Fuchtel hat. Der Attentäter von Nizza ist ein Beispiel dafür; die Al-Baghdadi-Bande hat sich mehrere Tage Zeit gelassen, ehe sie die Widmung des Anschlags annahm.
      3. Nachrichtensperren sind inzwischen unwirksam, da auch der größte Hirni inzwischen seine Videos auf Youtube oder per Facebook in der Welt verbreiten kann. – Auch dies war zu Zeiten von Baader und Meinhof anders. Wenn Al-Baghdadis Propagandaabteilung ein Attentat von jemandem nicht anerkennen will, haben die Medien trotzdem genug Futter.
      4. Eine ganze Heerschar islamfeindlicher Blogger sucht nach dem geringsten Hinweis, ein Anschlag könnte ansatzweise in ihr Weltbild passen. Noch ehe die Ermittlungen zum Amoklauf von München abgeschlossen waren, haben die entsprechenden Leute verkündet, es könne sich nur um einen islamistischen Anschlag gehandelt haben. – Wunderbar für seinen Nachruhm: Dem Amokläufer waren ganze Sondersendungen sicher, auch ohne daß er „Allahu akhbar“ rufen mußte. Die einschlägigen Seiten aus dem Dunstkreis der Islamhasser sorgten schon dafür. Zum Vergleich: Die Familienfehde von Mafiaclans, der 2007 in Duisburg sechs Menschen zum Opfer fielen, hatte es zwar in die Hauptmeldungen der Tagesschau geschafft, aber nicht in einen ARD-Brennpunkt.
      Fazit: Bei aller Notwendigkeit, wachsam zu sein, ist die Hysterie, die gewisse Kreise schüren, fehl am Platz!

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        Danke für die ausführliche Antwort. Dennoch betrachte ich das anders. Gerade der Umstand, dass sich jeder Heinz bzw. Ali auf diese Org. berufen kann, beunruhigt mich, denn es wird eine Menge Frustrierte geben. Die Ausbildung, die sie mitbringen, reicht zu einem Leben ihrer Wahl nicht aus, soll heißen Studium bei den meisten ausgeschlossen.
        Bekannt ist auch, dass die Heirat junger, später überforderter, Mädchen ohne Sprachkenntnis das Problem eine Generation verschleppt. Was wir hatten, fast nur mit Anatoliern, geht also weiter, diesmal mit Arabern und Afrikanern, wobei ich letztere für eher freundlich halte (Ausnahmen bestätigen die Regel).
        Schwarze Frauen lassen sich auch i.d.R. nicht alles bieten.
        Kürzlich sah ich im Ausland eine elegante Erscheinung: Eine Dame, vermutlich Emirati, mit einem langen gegürteten mantelartigen Umhang, apricotfarben, das weiße Tuch lose umgehängt, drei reizende sehr zivilisierte Kinder, ein nett aussehender Ehemann. Wir und diese Familie lächelten uns an. Kurz danach eine schwarz verhüllte mit fünf Kindern, die Kleinsten nur mit Pampers bekleidet. Es wird dabei klar, dass es sich um Schichtenphänomene handelt und viele Maßgebliche in diesem Land Auswüchse der Unterschichten jener Länder gutreden, statt genau hinzuschauen und sich mit der Mitte zu arrangieren.
        Vergessen wurde völlig, dass Religion Brot der Armen (und Ungebildeten) ist.
        Manche Dinge, die sich da abspielen, haben zudem nicht das Geringste mit Religion zu tun, sondern mit Verweigerung, die der nächsten Generation schadet.
        Daher sollte viel stärker differenziert werden. Darüber hinaus sollten möglichst viele ohne Asylrecht wieder ausgeschafft werden (Ausdruck aus der Schweiz), um den Verbliebenen zu einer Umstellung zu helfen. Integration ist nur möglich, wenn das Wertegerüst flexibel ist. Jeder von uns, der im Ausland gelebt hat, weiß das.
        Heute las ich eine Überschrift über die 30.000 deutschen Studenten in Österreich in „Die Welt“. Sie lautete: „Grüßgott sage ich aber nicht“ oder so ähnlich. Ehrlich gesagt ist das ebenso hirnverbrannt. Man sollte höflich zum Gastland sein; und dazu gehört, Regeln und Sitten, die nicht schmerzen, manchmal schmunzelnd, anzunehmen.
        Es gibt sehr störrische Deutsche, die unser Image in der Schweiz und in Österreich schon ruiniert haben. Aber da steckt keine Unterfütterung durch Ideologie dahinter, immerhin.

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    zu Alan Posener,
    ein aleatorisch-deliberatives Verfahren (Würfeln u.ä.) kann ich mir vorstellen, etwa beim Vorsitz eines Ausschuss oder zur Auflösung von Patt-Situationen. aber eine Demokratie-Theorie wird nicht daraus. Ich schlage vor, rechtsstaatliche und demokratische Verfahren gedanklich zu trennen. Ein Rechtsstaat verlangt Institutionen, die vorhersehbar und weitgehend neutral arbeiten, also eine eher nicht-demokratische Vorgehensweise, die dann in der Tat unabhängige Köpfe verlangt.
    Eine Demokratie lässt sich verschieden „bauen“. Deutschland gibt den Parteien viel Raum, und diese sind zurzeit nicht sehr attraktiv. Aber direkte Formen der Volksabstimmungen sind eher noch schlimmer. Akzeptieren wir also, dass zurzeit sich zwei Lager die Waage halten und hoffen wir, dass die Rückwortgewandten oder die auf Kampagne und Populismus setzenden Kräfte uns so langweilen, dass wieder mehr langfristige Konzepte diskutiert werden. Das geht aber nur, wenn wir selbst etwas disziplinierter argumentieren. Diese Debatte war erfreulich argumentativ, vielleicht ist das ja ein Anfang.

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    Den Hinweis von Fabian Döbler finde ich neben dem hohen Niveau der Debatte hier und
    dem HInweis auf falsche Vergleiche mit der Weimarer Republik für den entscheidenden,
    eben auch für alle, die nicht weiter Partei und Politikverdrossenheit erzeugen oder auch in talkshows laufen lassen wollen,sondern Wege des konstruktiven Eingreifens in Wahl und Partei und Europadebatten suchen.Als Beispiel:dass die Mehrheit der Medien und
    Politiker links von der CSU alle monatelang Seehofer als blöd und als den angeblich wesentlichen Treiber der AFD diffamiert haben, hat entgegen den erklärten Absichten der Linksliberalgrünen Mehrheit, die bei einigen Fragen ,überhaupt nicht bei allen,bis in die CDU reicht, gerade das Gefühl es gibt einen geschlossenen Block in Medien und Politik noch verstärkt. Siehe die Debatte zur Kontrolle von Grenzen und zur Anzahl der unregistrierten Flüchtlinge ,wo erst jetzt nach einem Jahr „wir schaffen das“differenzierteres und nüchternes Denken in den demokratischen Medien wieder Einzug hält

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    Nein, lieber APO. Ich will jetzt nicht die berühmte Krähe zitieren, Ihre Bahners-Interpretation ist mir aber doch ein bisschen zu harmlos. Wenn Bahners es so meinte – OK. Aber dann wäre er auch ein bisschen flach. Oder? Sieht ihm das ähnlich?

    Bahners nimmt nichts weniger auf’s Korn als den westlichen Universalismus und das „Ende der Geschichte“: die Selbst-Universalisierung des Westens. (Das hört sich nett an. Bescheiden irgendwie. Hat uns ja auch ’ne Menge Probleme gemacht. Und – worüber reden wir? – macht sie uns noch.) Aber Bahners erklärt im selben Atemzug auch unsere verfasste, rechtsstaatliche Demokratie zu einer transitorischen.

    Sie werden Bahners nicht gerecht, wenn Sie seine Abgründigkeit übersehen, APO. Der „milde“ Bahners bekennt sich zu der von Ihnen richtig interpretierten Liberalität (auch der völkischen Rechten gegenüber) vor dem Hintergrund der von ihm hervorgehobenen historischen Zufälligkeit unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Was will Bahners uns damit sagen?

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      Es würde mich interessieren, EJ, welche weniger milde Lesart Sie anfragen? Vielleicht so: Der transitorische Charakter der Historie bedeutet, dass es irgendwann vorbei IST mit der schönen Demokratie? Oder so: Der transitorische Charakter der Historie bedeutet, dass es irgendwann vorbei SEIN KANN mit der schönen Demokratie?

      Ich glaube Bahners meint Letzteres. Wenn man sich nicht drum kümmert, ist es irgendwann vorbei. In dieser Lesart gibt es kein Ende der Geschichte (was mir ohnehin unverständlich erscheinen würde), sondern gmeint ist nur, dass der historische Prozess steuerbar ist und auch gesteuert werden sollte, um die Demnokratie zu erhalten. Steuert man nicht oder falsch, fährt der Karren in den Graben. Das tendiert aber stark in Richtung Binsenweisheit.

      Oder meinen Sie etwas ganz anderes?

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        @ Roland Ziegler

        Ob Bahners Geschichte in Ihrem Sinne für steuerbar hält, weiß ich nicht. Aber klar scheint mir, dass gegen den Versuch polemisiert. Er polemisiert gegen den Versuch, die Neue Rechte – im Sinne Ihrer und der „milden“ Interpretation APOs – systemkonform, heißt: so einzubinden, dass Demokratie und Rechtsstaat nicht in Konflikt geraten. Genau diese Konfliktvermeidung hält er für die „Verkümmerung der politischen Phantasie“ und für die Zementierung der „Politik der Alternativlosigkeit“, die (nicht etwa durch Merkel, sondern) systematisch durch den demokratischen Rechtsstaat garantiert werden. Bahners plädiert für den Verfassungsbruch, für den politischen „Umsturz“. (Wobei mir unklar ist, ob er das in seinem oder – wahrscheinlicher, und das wäre sehr deutsch – „objektiv“, im Sinne der Geschichte und ihrer Freiheit, tut. So’n „objektiven“ Scheiß näher zu diskutieren, darauf will ich mich aber nicht einlassen.)

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        Nein, EJ, Sie interpretieren Bahners falsch. Letztlich folgt aus seiner Position ein Gedanke, den ich auch schon in der „Welt“ formuliert habe: dass es für die Demokratie besser wäre, wenn es einen Wechsel zwischen Links und Rechts geben könnte; und wenn der Preis dafür wäre, dass die SPD mit der Linken, die Union mit der AfD koalierte, so müsste man das in Kauf nehmen. Man könnte aber auch daraus folgern, dass eine aleatorisch-deliberative Demokratie der Parteiendemokratie vorzuziehen wäre.

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        Jetzt habe ich verstanden, was Sie mit nicht-milder Lesart meinen: das Plädoyer für den Verfassungsbruch. Allerdings kann ich das nicht aus den Texten von Herrn Bahners erkennen. Leider ist der von Ihnen verlinkte Artikel nicht mehr verfügbar.
        Ich habe Bahners wie gesagt so verstanden, dass man sich bewusst machen sollte, dass die Verfassung kein gottgleiches Naturgesetz o.ä. ist, das im Endzustand der Geschichte für alle Ewigkeit gilt, so dass man sich zurücklehnen könnte, sondern jederzeit gebrochen, geändert oder abgeschafft werden kann. Weil Bahners aber die Verfassung gut findet, ist das nicht als Plädoyer für den Verfassungsbruch, sondern als Plädoyer für den Verfassungsschutz zu verstehen, die Verfassung zu hegen & zu pflegen, so wie man einen Garten pflegt, der einem überantwortet wurde und der nicht von selber gedeiht. Macht man nichts, geht er ein.

        Aber das ist die milde Lesart. Was man nun laut Bahners mit den Antipliralisten konkret anfangen soll, weiß ich immer noch nicht. In Koalitionen einbinden, wie Herr Posener sagt? Aber das ist doch aussichtslos. Das wollen die auch gar nicht. Vielleicht abwarten und vorübergehen lassen, bei Bedarf Rechtsstaatlichkeit einklagen. Denn nicht nur die Demokratie und die Verfassung, auch die AfD und der Antipliuralismus sind wie jede Erscheinung „kontingent“, und da diese antipluralistischen Erscheinungen jedenfalls ungepflegter und unbedachter sind, sieht es für sie noch wesentlich schlechter aus.

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        Ja, Roland Ziegler, das problem ist in der Tat, dass, wie mir Alexander Gauland persönlich auch sagte, die AfD keine Verantwortung übernehmen will. Ich wäre dennoch für den Versuch, aus den von Ihnen genannten Gründen. Mit Vorläuferparteien wie der Schill-Partei in Hamburg war der Erfolg verblüffend.

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        …andernfalls, bei der scharfen Lesart, wäre es interessant zu wissen, welche Punkte der Verfassung konkret gebrochen/abgeändert werden sollten. Man kann ja schlecht die Verfassung brechen lassen wollen, ohne zu wissen, wo & wie.

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        Herr Posener, Ihr Punkt, dass eine Dauer-GroKo immer schädlich ist und wir den Schaden gerade sehen, ist sicher richtig. Das wäre wohl doch eine Möglichkeit, „den Garten zu pflegen“: andere Koalitionen. Das geht u.U. nur mit einer koalitionsbereiten AfD – oder einem Erstarken der anderen Parteien, Schwarzgrün, Rotrotgrün u.ä.. Vielleicht sollte man versuchen, die AfD in die Verantwortung zu locken. Wenn sie sich weigert, wird sie schrumpfen; wenn sie nachgibt, wird es sie verändern.

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        @ APO

        Nicht nur eine wechsel- und in voller Breite koalitionswilligere Parteiendemokratie, sondern gerade auch eine „aleatorisch-deliberative Demokratie“ (was auch immer genau darunter zu verstehen wäre) hätte den (demokratischen) Verfassungs- bzw. Rechtsstaat zur Voraussetzung. Kein Spiel ohne Regeln.

        Ihre Interpretationen sehen nicht, dass, und erklären nicht, warum Bahners den Zusammenhang von Demokratie und Verfassungs- bzw. Rechtsstaat – vulgo: die westliche Demokratie – aufbrechen will.

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        Nein, EJ, ich sehe das nicht, weil es nicht der Fall ist. Im Gegenteil. Bahners bekennt sich zum Einfluss Richard Rortys auf sein Denken; und Rorty ist Vertreter einer Denkschule, die sagt, dass die Spielregeln wichtiger sind als der Spielinhalt. Unter welchen Bedingungen die Spielregeln geändert werden können, legen diese Regeln selbst fest. Bahners weist darauf hin, dass es im angelsächsischen Verfassungsverständnis keine „Ewigkeitsklauseln“ gibt; dass es sie im Grundgesetz gibt, hängt, wie das Verbot der Holocaustleugnung, das es ja in Großbritannien und den USA auch nicht gibt, mit dem Misstrauen der Sieger und der Besiegten gegenüber dem deutschen Nationalcharakter (die Anführungszeichen müssen sie mitdenken) zusammen. Natürlich könnte man auf demokratischem Wege die Demokratie selbst abschaffen, wie das Hitler mit dem Ermächtigungsgesetz ja auch tat. Weder will Bahners so etwas, noch würde ich ihn verteidigen, wenn er das wollte. Er weist vielmehr darauf hin, dass gefestigte Demokratien sich nicht ängstlich vor Eventualitäten schützen müssen, die nach menschlichem Ermessen nicht eintreten werden.

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        Sie sind ein freundlicher Mensch, Roland, manchmal zu freundlich 😉

        OK, APO. Gegen meine Interpretation spricht, dass sie kaum glaublich ist: ‚Das kann gar nicht sein.‘ Gegen Ihre, dass wenig von dem im Text steht, was Sie herauslesen. Ich kenne Bahners nicht als „milden“ Autor, sondern als einen, der „Spitz auf Knopf“ denkt und der in diesem Sinne eher „giftig“ als „milde“ ist. Ich denke, in seinem Eifer hat er sich diesmal mächtig vergaloppiert. – Aus mehr als naheliegenden Gründen wollte ich (exemplarisch) auf die Schädlichkeit des Übereifers in der politischen Diskussion hinweisen. In der zunehmend so empfundenen Not greift der Übereifer mehr und mehr und bis tief in „bürgerliche“ Kreise um sich, mit tendenziell katastrophalen Folgen.

        Bahners‘ Text ist inzwischen tatsächlich offline genommen worden. (Muss man sich nichts bei denken.) Auch deshalb erübrigt sich die weitere Diskussion wohl.

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        Herr Bahners richtet sich gegen „die Panikmacher“. Lassen wir mal die „Antipluralisten“ (die sind nicht identisch mit den AfD-Wählern! Es gibt eine Schnittmenge, aber keine Identität) satte 20 % haben. Warum sollten wir uns von dieser Minderheit auf der Nase herumtanzen lassen? Es ist bereits bedenklich, wenn wir unsere Diskussionen und Überlegungen auf diese Leute ausrichten, so wie hier. Keinesfalls aber dürfen wir zulassen, dass deren Politikvorstellung in die Konzepte der (von denen verachteten) anderen Parteien einsickert. Es gibt keinen Grund, einen einzigen Schritt auf diese „20%“ zuzugehen – denn das wäre ein Schritt weg von der Mehrheit, der gegenüber die Regierung in erster Linie verpflichtet ist.

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        Nu‘ steht Bahners Text – wie ich zufällig sehe 😉 – doch wieder online:

        Nice WE! Die Gartenarbeit ruft.

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    Andreas Wirsing betont: „Heute stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Seit den Achtzigerjahren haben sich die westlichen Gesellschaften gewandelt. Zumindest in ihren Ballungszentren sind sie unter dem Einfluss der Globalisierung zu multikulturellen Einwanderungsgesellschaften geworden….“ Er vergleicht also nicht die prekäre Lage der westlichen Demokratien mit dem Francismus, dem spanischen Bürgerkrieg, mit Mussolinis Erfolg und erst recht nicht mit Hitlers Machtergreifung. Er ist auch kein „Panik“-macher. „Panik machen die Islam phobischen Autoren und Politiker und – leider nun auch – bevormundende Feministinnen, die im muslimischen Mann den potentiellen Grapscher/Vergewaltiger an die Wand malen und ihre politische Rhetorik auf die „Silvesternacht in Köln“ einfrieren (so Alice Schwarzer – stellvertretend für eine weit verbreitete unkritische Haltung). Man lese nur ihr Buch zu diesem Thema. Einige Berichte von einzelnen Frauen reichen für eine Analyse der Lage, das nenne ich „Panikmache“. Es ist ein antisexistischer Rassismus. Diese Haltung ist bei rot-grünen Wählerinnen weit verbreitet, bei schwarzen wählen ist Rassismus in einer anderen Mischung verbreitet. Tja – was soll daraus noch werden?
    Verlassen wir Deutschland und schauen nach Westen: Frankreich ist politisch schwach, ökonomisch erstarrt und die französischen Eliten sind zurzeit nicht mehr als Eliten sichtbar. Italien hat unglaublich harte Probleme, Spanien bewegt sich, das lässt hoffen. Aber Skandinavien ist zum Paternalismus/MaternaIsmus zurück gekehrt (sie haben nun – nach Merkels Isolation in Europa – weniger Mut, Fremde zu integrieren).
    Der Brexit ist ebenfalls ein sehr schlechtes Zeichen. Die unlösbaren Probleme der europäischen Institutionen ebenfalls. Über Osteuropa rede ich erst gar nicht, weil diese extremen Rückschritte zu erwarten waren.
    Kommt die Türkei hinzu. Also wer da nicht besorgt ist, muss irgendwas geschluckt haben, was für Daueroptimismus sorgt, sorry!
    Ich bin sogar optimistisch und glaube an H. Clinton. Aber politisch vertraue ich ihr nicht wirklich, das ist auch ein Problem. Sie hat nämlich als Amtsträgerin nicht wirklich die langfristigen Folgen bedacht, die militärische Interventionen mit sich mitbringen. Da ist der deutsche Außenminister sehr viel verlässlicher. Tja – sehr schwierig!

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      Ja, liebe Monika Frommel, aber aus Ihrer Analyse geht eben hervor, dass „Wirsing“ (Freud’sche Fehlleistung?) Kohl redet.

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    Ein wohltuend ausgewogener Text, Gratulation Herr Posener.

    Ein kleine Anmerkung noch zu den von Ihnen so geschätzten Imperien der Vergangenheit, die EU zähle ich da nicht dazu:
    Diese Imperien haben nur solange funktioniert, wie eine Ethnie oder Klasse unangefochten das Kommando hatte. Gleichberechtigung gab es nicht, es gab Herrscher und Beherrschte.
    Das ging immer nur solange gut, bis die Beherrschten selbst herrschen wollten, erst nur über sich selbst, später noch am besten über andere, auch über die vorherigen Herrscher.

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      Lieber Don Geraldo: Jein. Saulus aus Tarsus war zugleich Jude und Römer. Beherrschter als Jude, Herrscher als Römer. Und ähnliche Fälle kann man für die anderen liberalen Imperien durchdeklinieren. Selbst das illiberale Napoleonische Imperium brachte mit dem Code Napoleon, dem bürgerlichen Gesetzbuch also, und der Judenemanzipation für viele Menschen mehr Freiheiten, als sie zuvor genossen hatten. Die Imperien gingen nicht am Widerspruch zwischen Herrschern und Beherrschten zugrunde, sondern am Nationalismus, und der ist ja auch der Grund, weshalb die „Befreiung“ – als „nationale Befreiung“ gedacht – so oft in ärgere Unterdrückung umschlug. Die EU ist in diesem Sinne das erste „demokratische Imperium“ der Geschichte, und deshalb sind sowohl Nationalisten wie auch bürokratische Imperialisten mit ihr unzufrieden.

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        … ‚demokratisches Imperium‘ – ist in sich schon ein Widerspruch; imperare, ‚herrschen‘, ‚befehlen‘, ‚gebieten‘. … die EU wie hier schon ge/beschrieben.

        Fremdherrschaft stärkt Patriotismus und den Willen zur Freiheit. Das kann manchmal 2’000 Jahre dauern. Merkels Politik ist der beste Beweis für die Notwendigkeit souveräner Nationen/Staaten, denn nur diese bieten sichere Grenzen und eine sichere Zukunft für unsere Kinder. Das ist übrigens Völkerrecht.

        Meine ich. 😉

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        Lieber Blonderhans, jede politische Ordnung ist eine Ordnung der Herrschaft, auch die Demokratie – „Volks-Herrschaft“. Benedikt XVI sagte vor dem Bundestag, dass auch der demokratische Staat ohne Gesetze einfach „eine Räuberbande“ wäre. Und deshalb ist entscheidend bei einem Imperium, ob die Gesetze für alle gleich sind. Das sind sie innerhalb der EU.
        Was den Patriotismus angeht, so empfehle ich den Besuch des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig. Er stellt das sinnlich-sinnbildlich Bindeglied her zwischen dem Befreiungskrieg gegen Napoleon und dem Weltkrieg, in dem die Zivilisation unterging. Die katholische Kirche war zu Recht immer gegen die Vergötzung von Staat, Volk und Nation. Merkwürdig, dass Sie das so gar nicht begreifen wollen.

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        Lieber Alan Posener,

        ich habe mit bedacht nicht nur von Ethnie, sondern auch von Klasse gesprochen.
        Paulus hatte zwar das römische Bürgerrecht, aber hatte er irgendwelche Macht ?
        Zu seinen Lebzeiten war die Macht – unabhängig vom jeweiligen Princeps – in den Händen der Senatsaristokratie konzentriert. Diese bestand zu der Zeit noch weitestgehend aus Stadtrömern und Italikern.
        Nach dem ersten erfolgreichen Putsch durch einen General (Vespasian) ging die Macht an das Militär über, erst schleichend, später nannt man eine ganze Epoch nach den „Soldatenkaisern“.
        Theorien zum Untergang des Römischen Reiches gab es schon viele, aber das mit dem Nationalismus wäre mir neu.
        Wofür bestimmt der Nationalismus verantwortlich ist ist der Untergang des Habsburgerreiches. Aber das war auch nur insoweit liberal, wie die Machtverhältnisse nicht in Frage gestellt wurden. Der erfolgreiche Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn brachte zwar den Ungarn die Gleichstellung mit den Deutsch-Österreichern, für die anderen Teile des Imperiums bedeutete dies nur, das sie es nun mit zwei statt einer dominierenden Ethnie zu tun hatten.
        Daher war Tschechen, Slowaken, Bosniern etc. das Schicksal des Imperiums egal und die Idee eines eigenen Staates erschien ihnen als erstrebenswerte Utopie.
        Die Schweiz ist zu klein um als Imperium bezeichnet zu werden, aber es ist das einzige Beispiel das ich kenne in dem verschiedene Völker gemeinsam einen dauerhaft funktionierenden Staat geschaffen haben.

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        Lieber Don Geraldo, ich wollte nicht behaupten, dass der Nationalismus für den Untergang Roms verantwortlich war. Das wäre Unsinn, der Nationalismus wurde erst im 16. Jahrhundert erfunden. Ich stimme Ihrer Analyse zu; aber was das Habsburgerreich betrifft, so wäre es ohne den Ersten Weltkrieg wohl nicht untergegangen, zu dem serbische Nationalisten den Initialfunken lieferten.

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        … so nicht werter APo, ‚die Kirche ist eine vollkommene Gesellschaft. Das heißt: Sie ist von Gott mit allen Mitteln ausgestattet, um ihr Ziel zu erreichen, um ihr Werk zu vollbringen. Sie ist kein Teil des Staates, sie ist auch keine Dienerin des Staates. Sie steht nicht unter dem Staat, sie steht ihm gegenüber.‘ Prof. May.

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        Zur Frage nach der Liberalität von Imperien möchte ich noch eine andere Sichtweise beisteuern:
        Herfried Münkler hat mit seinem Werk „Imperien“ eine vorzügliche Analyse des Phänomens geliefert und meiner Ansicht nach auch einen Hinweis gegeben, warum sich rechtliche Gleichheit und liberales Recht in historischer Sicht in Imperien nur sehr selten gleichmäßig verteilen: Was ein Imperium von einem hegemonialen Staat unterscheidet, ist das eklatante Machtgefälle zwischen imperialer Peripherie und imperialem Zentrum. Ein Imperium kann eigentlich nur dann so genannt werden, wenn die „Welt“, die es beherrscht, einen Mittelpunkt kennt, indem Entscheidungen getroffen werden. Andernfalls handelte es sich um nichts anderes als einen Nationalstaat oder seinen vormodernen Surrogaten. Dies führt allerdings nicht selten dazu, dass sich dort eine imperiale Elite formiert, die die notwendige Herrschaft ausübt. Sie ist a priori den Peripherie-Bewohnern vorangestellt, was zu rechtlicher Ungleichheit und der eingeschränkten Verteilung von Privilegien führt, wie in Rom, Makedonien, dem britischen Empire sehr gut zu beobachten ist. Ein Imperium ohne Zentrierung und folglich mit gleich verteilten Rechten ist nur denkbar, wenn sich die Bevölkerung der gesamten „Welt“ des Imperiums zu seiner Ideologie bekennen würde und jedwede kulturelle, sprachliche, traditionelle oder ethnische Bindung ignorieren würden. Da dies aber undenkbar ist, kann ein Imperium zwar freiheitstiftend wirken (wenn es Schutz und Zivilisation bietet), rechtliche Gleichheit und Liberalität aller seiner Bewohner ist aber unwahrscheinlich.

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        Lieber Oliver Weber, ich habe mich in meinem Buch über Europa als Imperium mit Münklers Theorie auseinandergesetzt. Erstens gibt es natürlich Unterschiede zwischen dem Zentrum – Berlin-Paris-Brüssel – und der Peripherie – Budapest, Athen …; und zweitens gab es Imperien, bei denen Münklers These nicht zutrifft, zum Beispiel das Heilige Römische Reich, dem die EU in Vielem ähnelt.

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        @Alan Posener. Zwei Ergänzungen:
        1. Das Imperium Romanum war zwar seit der Zeit des Prinzipats nicht mehr demokratisch, hatte aber (anders als viele der Herrscherreiche in seiner Nachbarschaft) noch rechtsstaatliche Grundsätze – wenn auch mit Einschränkungen durch Sklaverei, einem erst sehr spät unter Caracalla eingeführten Bürgerrecht für alle und beschränkt einklagbarem Recht der Bürger gegenüber dem Staat. Jedoch umfaßte das römische Recht bereits mehrere Säulen, auf denen unser heutiger Rechtsstaat fußt (Gleichheit vor dem Gesetz, in dubio pro reo, öffentliche Gerichtsverhandlungen nach fester Prozeßordnung).
        2. Das Habsburgerreich wäre wahrscheinlich auch ohne den I. Weltkrieg an den Nationalitätenkonflikten zerbrochen – zu stark waren die Nationalismen bereits geschürt worden. Ob der Plan der „Vereinigten Staaten von Großösterreich“, mit dem der Thronfolger Franz-Ferdinand liebäugelte, angesichts der diversen Zumutungen für die diversen Ethnien umsetzbar gewesen wäre, steht in den Sternen.

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        Mit dem Heiligen Römischen Reich meinen Sie das „deutsche“, nehme ich an?
        Wenn ja: Ich würde dies nicht als Imperium bezeichnen. Eher ein schwächlicher Personenverbandsstaat ohne Zentrum und Peripherie. Aber nicht nur dieser Gegensatz fehlt, auch besaß es keine „imperiale Mission“, keine selbstgesteckte „Welt“ – es war doch eher ein loser Staatenbund. Den Begriff Imperium würde ich davon relativ strikt abgrenzen. Das einzige was es mit einem Imperium gemein hatte, waren seine unklaren Grenzen, was aber adere Gründe hatte.

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        Nun ja, Oliver Weber, aber ist das nicht typisch deutsch, eine Definition festzulegenund dann zu sagen, das und das und das gehört nicht rein, statt sich in der realen Welt die Dinge anzusehen und dafür einen Oberrbegriff zu finden? Das Reich war ein Reich, ein „Empire“, stellte sich bewusst in die Tradition des Römichsen Imperiums, und es sah eben so aus und nicht so, wie Münkler und andere kluge Menschen „Imperium“ definieren. Umso schlimmer für die Definition, würde ich sagen.
        https://www.amazon.com/Europe-Empire-Nature-Enlarged-European/dp/0199231869

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        Da haben Sie natürlich grundsätzlich Recht, hier scheitert es an verschiedenen Definitionen. Doch selbst wenn wir uns einigen würden, das Heilige Römische Reich deutscher Nationen als Imperium zu bezeichnen, ist eine definitorische Abgrenzung von anderen Imperien durchaus angebracht. Beispielsweise war das Heilige Römische Reicht weit weniger zentralisiert (Wahlmonarchie, starke Fürstenstaaten) und weit weniger expansiv wie beispielsweise die Römer, die Makedonier oder die Perser. Selbst wenn es also – und hier kommen wir zur Ausgangsdiskussion zurück – das Heilige römische Reich als Beispiel für ein tendenziell friedenstiftendes, nicht von „Volk“ und „Nation“ zur Anti-Liberalität getriebenes „Imperium“ genannt werden kann, kann man in einem solchem „schwächlichen“ (Im Sinne von schwerfälligen, langsamen, chaotischen und entscheidungsschwachen) Verbundsstaat wirklich ein liberal-demokratisches Ideal sehen? Ich würde diese These zumindest für schwierig erklären.

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    Zur demokratischen Legitimierung: „Man könne, sagt er, der Vorstellung nicht die demokratische Legitimierung absprechen, die im ethnisch-kulturell weitgehend homogenen Staatsvolk die Basis für die demokratische Nation erblickt“

    Klar kann man einer solchen Vorstellung die demokratische Legitimierung absprechen, nämlich dann, wenn diese Vorstellung keine demokratische Mehrheit findet, wie das aktuell der Fall ist. Ohne Mehrheit gibt es keine demokratische Legitimierung. Selbst wenn man nur die wählen ließe, die zum „homogenen Staatsvolk“ gehören, kann ich nicht erkennen, dass diese Vorstellung eine Mehrheit einfahren würde.

    Außerdem kann man allen demokratischen Mehrheitsentscheidungen, die gegen das GG verstoßen (z.B. Todesstrafe oder „Ewigkeitsparagraf“), nicht nur die Legalität, sondern auch die Legitimität absprechen. Dann wäre man zwar kein „lupenreiner Demokrat“ (wie Putin oder Erdogan, die jeweils Mehrheiten haben), aber das macht nichts, das sollte man als Vertreter einer liberal-rechtsstaatlichen Demokratie auch gar nicht sein.

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      …Sie meinten wahrscheinlich, dass das eine legitime Position sei. Das stimmt natürlich (eigentlich ist jede Position legitim, solange sie sich fügt). „Demokratisch legitimiert“ ist sie jedenfalls erst, wenn sie die Mehrheit hat und daraufhin durchgesetzt werden soll. Bei einigen „neuen Rechten“ scheint es nun so zu sein, dass sie sich nicht dafür interessieren, ob ihre völPosition mehrheitsfähig ist oder nicht – sie sagen z.B., dass das Volk von der Lügenpresse vereinnahmt und unzurechnungsfähig gemacht worden wäre. Sie wollen ihre Vorstellungen unabhängig davon durchsetzen, wissen abe rnicht genau, wie. Das ist auf keinen Fall irgendwie demokratisch legitimiert.

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      „Demokratie“ bezeichnet das Verfahren der Einscheidungsfindung (Mehrheitsprinzip) einer Gruppe. Zur Definition der wahlberechtigten Gruppe braucht man irgendein Merkmal, z.B. den deutschen Pass oder eine bestimmte genetische Struktur. Das Merkmal, das die Gruppe definiert, ist aber eigentlich egal für die Demokratie, d.h. auch die Freunde der Genetik können lupenreine Demokraten sein. Man kann sogar über das Merkmal abstimmen, wobei sich dann die Frage stellt, WER alles abstimmt. Demokratisch ist alles, was sich dem Mehrheitsprinzip unterwirft. Auch wenn der Club der Allmächtigen auf dem Olymp abstimmt, ist es demokratisch. Aber wenn man diesem Mehrheitsprinzip Grenzen auferlegt, indem man z.B. die Todesstrafe kategorisch ausschließt, dann ist man nicht mehr demokratisch, sondern autoritär, zumindest an diesem Punkt.

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    Vier kurze Anmerkungen: Die AfD ist in Gänze keine rechtsradikale Partei, damit hat Alan Posener recht. Sie hat aber einen sehr starken radikal neurechten Flügel rund um Björn Höcke, gegen den niemand in der Partei mehr ankommt (vor allem Frauke Petry nicht) und der auch im Westen tief verankert ist. So haben etwa 6 von 14 Mitgliedern des Landesvorstands der AfD Baden-Württemberg die von Höcke und Poggenburg initiierte „Erfurter Resolution“ unterschrieben. Geistiger Stichwortgeber dieses Flügels ist Götz Kubitschek, die zentrale Person der Neuen Rechten.

    Der Neuen Rechten – damit komme ich zu meinem zweiten Einwand – geht es mitnichten bloß um die Abwehr eines fortschreitenden Multikulturalismus, auch nicht nur um dessen Zurückdrängung. Die Vorbehalte gegenüber dem „Fremden“ sind viel grundsätzlicher, man strebt eine möglichst große ethnische Homogenität im Sinne des „Ethnopluralismusmus“ an. Dieses Konzept sieht bekanntlich vor, dass das Fremde ganz generell draußen bleiben soll. Kubitschek selbst sagt das zwar nicht so, aber das ändert nichts daran, dass der Ethnopluralismus das zentrale Konzept der Neuen Rechten ist. Dementsprechend fallen die Aussagen von Alain de Benoist, der die Nouvelle Droite in den 70ern in Frankreich gegründet hat, zu Mischehen aus. Man könne „nicht gleichzeitig Rassenvielfalt und Rassenmischung befürworten“ vermischen, sagt er wörtlich in seiner in Frage-Antwort-Form verfassten Autobiographie, auch wenn er sich über individuelle Fälle kein Urteil anmaßen möchte.

    Drittens sollte man die Verbindungen von Teilen der Neuen Rechten zu Faschisten nicht unterschätzen. Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza flirten flagrant mit den italienischen Neofaschisten der „CasaPound“, was wiederum die innerhalb des neurechten Spektrums deutlich moderatere „Junge Freiheit“ erfreulicherweise scharf verurteilt. Überdies denkt das Milieu inzwischen aus einer Frusthaltung heraus auf „sezession.de“ darüber nach, wie man „handeln“ könne. Marcus Bensmann berichtet aktuell darüber auf „correctiv.de“:

    „Der rechte Schriftsteller Lutz Meyer beschreibt auf einer von Kubitschek betriebenen Internetseite die Suche nach dem „archimedischen Punkt, von dem aus die Welt aus den Angeln zu heben wäre.“ Meyer macht Angriffspunkte im „globalen Datennetz“ und in „der Energieversorgung“ aus, beide „Großsysteme sind dezentral organisiert“. Diese auszuschalten, ‚das wäre widerständiges Handeln schlechthin‘, schreibt Meyer: ‚Der Griff in die Speichen des Rades will sorgfältig geplant sein'“.

    Viertens, und damit komme ich zum letzten Punkt, betonen Alan Posener und Patrick Bahners richtigerweise, dass das Ringen und der Streit und auch Forderungen wie die der AfD zur demokratischen Auseinandersetzung gehören. Ich hoffe, beide behalten recht mit der Prognose, dass die deutsche Gesellschaft liberal genug ist, um der autoritären Verführung mehrheitlich zu widerstehen. Ich warne aber davor, das Ganze zu sehr auf die leichte Schulter zu nehmen. Irgendwann ist die Ausbreitung dieses Gedankenguts ein Selbstläufer und kann zu entsprechenden politischen Mehrheiten führen. Siehe Polen, siehe Österreich (Hofer wird derzeitigen Umfragen zufolge wohl gewinnen). Wie schnell dann selbst eine Vorzeigedemokratie aus den Angeln gehoben werden kann, ist derzeit in Polen zu beobachten. Diese Sorge treibt auch Wirschung um. Persönlich habe ich einfach zu vielen Leute, die ich jahre-, z.T. sogar jahrzehntelang als moderate Konservative kannte, in das (neu)rechte Denken abdriften sehen. Und zwar so sehr, dass ein Diskurs, in dem sie nicht eher früher als später verbal zu poltern anfangen, nicht mehr möglich ist. Nicht nur mir ergeht es so. Änliches haben mir inzwischen sehr viele Menschen aus ihrem Umfeld berichtet.

    Panikmache ist sicher falsch, aber besorgniserregend ist die dezeitige Entwicklung aus meiner Sicht durchaus.

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    Einen sehr erhellenden Beitrag zur Debatte Wirsching-Bahners-Nassehi-Bednarz-Posener gibt es auch auf The European. Gerade durch Debattenbeiträge wie von Wirsching, wächst das fundamentaloppositionelle Moment in der AfD und der Pluralismus in den etablierten Parteien verflüchtigt sich.

    „In Wahrheit setzt der beschriebene Diskurs um die Demokratiefähigkeit der AfD einen Teufelskreis in Gang, der selbst erzeugt, was er verhindern will. Je stärker das Fundamentaloppositionelle in der AfD zum Vorschein kommt, desto stärker rücken die etablierten politischen Kräfte zusammen – und je mehr die hergebrachten Parteien mit einer Stimme sprechen, desto eher gedeiht der Gedanke, dort oben könnte wirklich eine Oligarchie am Werke sein.“

    http://www.theeuropean.de/oliv.....-diskurses

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