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„Alte Säcke Politik“ – Provokanter Titel, seriöser Inhalt

Wolfgang Gründinger ist ein netter Mensch. Einer von der Sorte, denen man einen Wutausbruch kaum zutrauen würde. Nun hat genau dieser Wolfgang Gründinger ein Buch geschrieben, dessen Titel auf 220 Seiten Wutausbruch schließen lässt. „Alte Säcke Politik“ – das klingt nach Provokation. Aber wie passt dazu das staatstragend in schwarz-rot-goldenen Farben gehaltene Cover und die Bemerkung gleich zu Anfang, dass mit „alten Säcken“ nicht die Vertreter einer gewissen Altersgruppe, sondern vielmehr die einer gewissen Geisteshaltung gemeint sind?

Je länger man sich mit dem Buch beschäftigt, desto deutlicher wird: es ist genau dieser vermeintliche Widerspruch, der das Buch ausmacht. Wolfgang Gründinger ist Anfang 30 und Sprecher der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“. Er ist wütend, keine Frage. Aber er weiß eben auch, dass Wut und plumpe Pauschalisierung alleine nichts verändern. Schon gar nicht zum Besseren. Deshalb verbindet er seine Kritik an der älteren Generation, den Jungen, die alt denken und den verantwortlichen Politikern der letzten Jahre mit konstruktiven Vorschlägen für eine Politik die auch den jüngeren und kommenden Generationen noch Chancen und Perspektiven lässt.

An vielen Stellen folge ich ihm in seinem Anliegen. An manchen Stellen ist mir Wolfgang Gründinger allerdings fast zu brav. So zählt er an einer Stelle Entscheidungen – Volksentscheide, Mitgliederbefragungen – auf, bei denen eine Mehrheit der Älteren die Jüngeren zu Themen überstimmt hat, die für erstere nicht mehr relevant, für Letztere aber umso relevanter sind. Bei der Mitgliederbefragung des CDU-Landesverbandes Berlin zur „Ehe für alle“ etwa „sprachen sich im Juli 2015 fast zwei Drittel der Über-60-Jährigen gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare aus, während mehr als zwei Drittel der Unter-30-Jährigen dafür votierten.“ Gründinger problematisiert das vorsichtig, ich halte das hingegen für eine veritable Frechheit: Wie können diejenigen, die nur noch in Ausnahmefällen eine Eheschließung vor sich haben und damit in der Regel nicht mehr von der Entscheidung betroffen sein werden diejenigen, um deren Zukunft es geht in solch einer Frage überstimmen? Was für eine Arroganz ist das, anderen den eigenen Willen aufzwingen zu wollen, ohne selbst nur etwas davon zu haben?

Gründinger schafft es, weite Felder der Politik auf ihre Zukunftsfähigkeit hin abzuklopfen – Rente, Löhne, Schulden, Digitalisierung. Und er macht auch vor der Wirtschaft nicht halt, der er anhand zahlreicher Untersuchungsergebnisse attestiert, dass sie maßgebliche Entwicklungen verschläft und sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruht. Dabei greift der Autor auf manchen Vergleich und manches Beispiel zurück, das schon einen gewissen Bart hat. Aber wahrscheinlich liegt er damit trotzdem nicht falsch – für viele dürften die Betrachtungen zu Uber, Airbnb, Google und Amazon immer noch Informationswert haben. Insgesamt merkt man dem Buch an, dass der Autor alles getan hat, um seine Aussagen zu belegen. Vermutlich weil er wusste, dass er sonst Gefahr läuft, es den „alten Säcken“ und ihrer Kritik zu einfach zu machen. 337 Fußnoten sprechen eine deutliche Sprache: Auch die junge Generation kennt noch das Werkzeug der Recherche und weiß dieses für ihr Anliegen zu nutzen. Mich begeistert diese Genauigkeit ebenso wie die konkreten Forderungen am Ende jedes Abschnitts unter der Überschrift „Agenda 21“.

Bei seinem ersten Buchprojekt kam Wolfgang Gründinger die Realität in die Quere: als ein lesenswertes Projekt über seine Zeit als Doppelmitglied von Piratenpartei und SPD erschien, hatte sich die Piratenpartei in der Zwischenzeit selbst zerstört. Bei „Alte Säcke Politik“ wird es sich eher anders verhalten. Leider. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir über vieles, was Gründinger aufgeschrieben hat auch in einigen Jahren noch sprechen müssen, ist sehr hoch. Der SPD, deren Mitglied Gründinger ist (obwohl man sich an vielen Stellen fragt, ob er nicht bei den Liberalen besser aufgehoben wäre), ist gut beraten, sich Gründinger Ideen zu Herzen zu nehmen. Sonst läuft sie Gefahr, den Piraten in die Versenkung nachzufolgen. Allerdings sollten die „alten Säcke“ der SPD in der Diskussion mit Wolfgang Gründinger vorbereitet sein. Der weiß nämlich ziemlich genau, wohin er Deutschland und Europa entwickeln will und bringt dafür starke, gut recherchierte Argumente mit.

Wolfgang Gründinger, Alte Säcke Politik, Gütersloher Verlagshaus, € 17,99

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21 Gedanken zu “„Alte Säcke Politik“ – Provokanter Titel, seriöser Inhalt;”

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    Ich habe das Buch zugegebenermaßen noch nicht gelesen. Aber es scheint mir anhand dessen, was hier zu lesen ist, auf eine Fehldiagnose hinauszulaufen.

    Denn wer sich beklagt, die „Alten Säcke“ würden die junge Generation überstimmen, obwohl sie von der Sache nicht betroffen seien, sollte sich erst einmal Gedanken darüber machen, wie Entscheidungen überhaupt zustandekommen:

    In Deutschland wirken die Parteien längst nicht mehr an der Meinungsbildung mit, wie es das Grundgesetz eigentlich vorschreibt, sondern sie haben sie nahezu komplett an sich gerissen (worüber sich ein Bundespräsident schon von mehr als 20 Jahren beklagt hatte). Innerhalb der Parteien herrscht zwar Demokratie, aber die Themen, die auf der Tagesordnung stehen, werden regelmäßig von den jeweiligen Vorständen festgesetzt. Und darüber hinaus findet entsprechendes Lobbying diverser Interessensgruppen statt, um die Meinungsbildung weiter zu beeinflussen. Im Beispiel der CDU und der Frage nach der gleichgeschlechtlichen Ehe dürften kirchliche Verbände unter diesen Lobbygruppen zu finden sein.

    Was dies für die Jugend bedeutet:

    – Sie muß entweder selbst Lobbying betreiben – etwas, das leider ins Geld gehen kann, so daß sie mit den Großen nicht mitstänkern kann. Ansonsten wäre die Störerhaftung, die eine flächendeckende WLAN-Versorgung nachhaltig verhindert hat, schon längst Geschichte. Die Verwertungsgesellschaften haben eine bessere Ausgangsposition fürs Lobbying besetzt.

    – Oder sie muß dafür sorgen, daß in den Parteistatuten festgeschrieben ist, daß die Jugendorganisationen ein entsprechendes Stimmgewicht haben. Und hier haben gerade Junge Union und Jungliberale einen schweren Stand, da diese Organisationen nicht in die Partei eingebettet sind und Doppelmitgliedschaft in Jugendorganisation und Partei doppelte Mitgliedsbeiträge erfordert – anders etwa bei den Jusos, die Teil der SPD sind und deren Mitglied man automatisch bei Parteieintritt wird, wenn man die „biologische Klippe“ noch nicht erreicht hat.

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    Die Kanzlerin und CDU-Chefin ist eine Frau. Dito die Sozialministerin, Verteidigungsministerin und manche andere im Kabinett. Frauen lenken Bundesländer und Unternehmen, leiten Schulen und Universitäten. Die Besitzerinnen der wichtigsten Medienunternehmen der Republik: Liz Mohn und Friede Springer. So kann man das durchdeklinieren, wenn man nicht mit den Augen eines Blinden urteilen will.

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      Soll ich jetzt ernsthaft alle alten Männer in ähnlichen Positionen aufzählen? Ich glaube, wir belassen es lieber dabei… und ich les derweil mal Ihre Kennedy-Biografie.

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    „Die Demokratie erlaubt es auch, sich zu enthalten, wenn es einen nicht betrifft. Haben beispielsweise bei der Schulabstimmung in HH viele Leute gemacht, die keine Kinder im schulpflichtigen Alter hier haben oder haben werden.“
    Klar. Kann man machen. Aber da ich als Steuerzahler die Lehrer bezahle, würde ich gern ein Wörtchen mitreden über ihre Tätigkeit. Auch als Ex-Lehrer und Mann einer Ex-Lehrerin habe ich als „alter Sack“ eine Meinung zum Thema Schule, die vielleicht sogar qualifizierter ist als die Meinung eines jungen Elternpaars. Warum sollte ich mich enthalten.
    Apropos Hamburg. dort regiert ein „Senat“. Das Wort kommt von der Wurzel „senex“, also alt. Man hielt früher Alte, also Erfahrene, für die geeigneten Sachwalter der res publica. Das mag nicht immer stimmen, aber die Vorstellung, dass ausgerechnet junge Leute, also Unerfahrene, es besser machen sollten, ist absurd.

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      Ich wüsste nicht, wer das gefordert haben soll. Kritisiert wird doch die Schieflage. Und die besteht unfraglich: Alte (vor allem) Männer entscheiden, wo es in diesem Land langgeht. Und dass das nicht gut ist, sieht gerade auch ein Blinder, oder?

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    @ Opa Krempel, DBH „Off Topic“

    Der Hans wollte seine Thesen damit untermauern! Gauland als selbstbezeichneter Nicht-Fussballfachmann hatte dabei noch Glück, dass er nicht David Alaba als Beispiel herangezogen hat!

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    @APo

    … tja, werter APo, wenn ‚doof‘ wählen darf, soll, muss – genügt das allein Machtansprüchen. Die Historie ist der Beweis. Bis heute. Vernunft lässt sich nämlich weniger manipulieren.

    Daher!

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    „Bei der Mitgliederbefragung des CDU-Landesverbandes Berlin zur „Ehe für alle“ etwa „sprachen sich im Juli 2015 fast zwei Drittel der Über-60-Jährigen gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare aus, während mehr als zwei Drittel der Unter-30-Jährigen dafür votierten.“ Gründinger problematisiert das vorsichtig, ich halte das hingegen für eine veritable Frechheit: Wie können diejenigen, die nur noch in Ausnahmefällen eine Eheschließung vor sich haben und damit in der Regel nicht mehr von der Entscheidung betroffen sein werden diejenigen, um deren Zukunft es geht in solch einer Frage überstimmen? Was für eine Arroganz ist das, anderen den eigenen Willen aufzwingen zu wollen, ohne selbst nur etwas davon zu haben?“

    Ich bin Anhänger der „Ehe für alle“. Aber ich halte nicht die Entscheidung der Berliner CDU, sondern Ihre Argumantation für skandalös. Mit ähnlichen Argumenten kann man gleich die Demokratie abschaffen. Wieso dürfen Männer über die Abtreibung mitabstimmen? Wieso Frauen über die Beschneidung? Wieso dürfen Dauerarbeitslose über den Mindestlohn mitabstimmen? Und Kapitalisten über die Sozialhilfe? Jungen über die Rente uznd Alte über Kindergartenbeiträge?

    Die Idee der Res Publica beinhaltet, dass alle Bürger an allen Entscheidungen teilnehmen. Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete, Fortschrittliche und Reaktionäre, Unerfahrene und Erfahrene, oder wie es Gründinger formuliert, „alte Säcke“ und junge Aufbruchswillige.
    Wie kann man die „Ehe für alle“ fordern, aber die Demokratie für alle ablehnen? Gründinger nimmt Brechts Ratschlag an die SED-Funktionäre ernst, das Volk aufzulösen und sich ein neues zu wählen, und das will er dadurch schaffen, dass nur abstimmen darf, wer die Zukunft so sieht wie er.
    Scheene Demokraten seid’s!

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      Die Demokratie erlaubt es auch, sich zu enthalten, wenn es einen nicht betrifft. Haben beispielsweise bei der Schulabstimmung in HH viele Leute gemacht, die keine Kinder im schulpflichtigen Alter hier haben oder haben werden.

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    @dbh: Abgesehen vielleicht von Gaulands Alter war Ihr letzter Beitrag ein wenig off topic, finden Sie nicht?

  8. avatar

    Also das Buch eines Sozis kauf ich niemals. Ich hab da ein Vorurteil, nämlich das alles was Linke von sich geben, gelogen ist. Das ist inzwischen auch ein Nachurteil.

  9. avatar

    @CG Wenn man die anderen Stützen des III. Reiches betrachtet, fällt auf, wie jugendlich die „Bewegung“ bei der Ernennung Hitlers 1933 in der Tat war:
    – Himmler: 32
    – Heydrich: knappe 29
    – Goebbels: 35
    – Philipp Bouhler: 34
    – Alfred Rosenberg: 40
    – Hans Frank: knappe 33
    – Baldur von Schirach: knappe 26
    – Bormann knappe 33
    – Heinrich Müller (Gestapo-Chef): Knappe 33
    – Albert Speer: knappe 28

  10. avatar

    … ooops? Korrektur

    C.G.: ‚Ich bin gerne BRD. Und ich bedanke mich für die offene Aussage, dass Sie das offensichtlich nicht sind. Das gilt so ja auch für die Rechtsradikalen von AfD, Pegida und Co: Keine Demokraten.

    … ich bin für Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.

    Das ist allerdings ‚was anderes als ‚BRD‘.

    Und wenn die ‚BRD‘ Demokratie ist, dann ist mein Hamster der Tiger von Eschnapur.

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      Das ist kreativ. Hitler war 1933 schon 44 Jahre alt. Wenn das noch unter junge Männer fällt… in Afrika sind die schlimmsten Despoten alle jenseits der 80, ganz nebenbei.

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    C.G.: ‚Nach Ihrer Logik müsste man dann aber einer Menge alter Leute auch das Wahlrecht entziehen, d’accord? Und danke, dass Sie hier wieder einmal zeigen, wie Sie zur Demokratie stehen.‘

    … wenn Sie das Wahlrecht für ‚doofe‘ als Bedingung für die Demokratie sehen, sind Sie ‚BRD‘. Qed.

    Ich schlage ein Wahlrecht ab 35 vor. Das Wahlrecht sollte bis zum 65 LJ gelten. Das heißt auch, dass Verantwortung in der Politik – ebenfalls erst ab 35 möglich und mit 65 beendet ist.

    Berufspolitik wird in der Form eingeschränkt, dass die maximale Dauer der ‚Politik-Verantwortung‘ auf 15 Jahre beschränkt wird. Gefeuert werden kann jederzeit. Wahlen im 5-Jahreszyklus. Nebentätigkeit – gibt ’s nicht. Lobbyismus wird verboten.

    1. avatar

      Ich bin gerne BRD. Und ich bedanke mich für die offene Aussage, dass Sie das offensichtlich nicht sind. Das gilt so ja auch für die Rechtsradikalen von AfD, Pegida und Co: Keine Demokraten.

  12. avatar

    C.G.: ‚… dass mit „alten Säcken“ nicht die Vertreter einer gewissen Altersgruppe, sondern vielmehr die einer gewissen Geisteshaltung gemeint sind …

    Bei der Mitgliederbefragung des CDU-Landesverbandes Berlin zur „Ehe für alle“ etwa „sprachen sich im Juli 2015 fast zwei Drittel der Über-60-Jährigen gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare aus, während mehr als zwei Drittel der Unter-30-Jährigen dafür votierten.“ … ich halte das hingegen für eine veritable Frechheit: Wie können diejenigen, die nur noch in Ausnahmefällen eine Eheschließung vor sich haben und damit in der Regel nicht mehr von der Entscheidung betroffen sein werden diejenigen, um deren Zukunft es geht in solch einer Frage überstimmen? Was für eine Arroganz ist das, anderen den eigenen Willen aufzwingen zu wollen, ohne selbst nur etwas davon zu haben?‘

    … nun C.G., das hat etwas mit Verantwortung, der Gesellschaft und den eigenen Kindern gegenüber, zu tun. Das mag für Kinderlose und die FDP kein Thema sein.

    Was an einer ‚Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare‘ modern, im Sinne einer gewissen Geisteshaltung, sein soll, kann ich nicht erkennen. Das hatten wir schon. Das ist uralt.

    … im Übrigen bin ich dafür, dass das Wahlrecht erst dann zugestanden wird, wenn die volle geistige Reife, etwa ab dem 30sten Lebensjahr, das ist wissenschaftlich erwiesen, erreicht ist. Dann gibt es solche Laber-Diskussionen nicht mehr.

    Es ist nicht einzusehen, warum unter dieser, wissenschaftlich erkannten ‚Grenze‘, überhaupt bei wichtigen Entscheidungen, ‚mitgesprochen‘ werden darf.

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      Nach Ihrer Logik müsste man dann aber einer Menge alter Leute auch das Wahlrecht entziehen, d’accord? Und danke, dass Sie hier wieder einmal zeigen, wie Sie zur Demokratie stehen.

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