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Antiamerikanismus – das beständige Ressentiment

Von dem Journalisten Henryk M. Broder stammt das Wort, der Antisemitismus sei ein „beständiges Gefühl“, das zu allen Zeiten in allen Weltregionen auftrete, selbst dort, wo es gar keine Juden gibt. Antisemitismus sieht Broder keineswegs auf alte oder neue Nazis beschränkt. Antisemitismus finde sich in allen Gesellschaftsschichten, auch bei vermeintlich aufgeklärten (linken) Intellektuellen, manchmal offen, manchmal subkutan.

Diesem „beständigen Gefühl“ kann man mit gutem Grund ein weiteres hartnäckig wirkendes Ressentiment hinzufügen: den Anti-Amerikanismus. Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach befragt in regelmäßigen Abständen die Einstellung der Deutschen gegenüber den Vereinigten Staaten. Dabei bejaht stets eine große Mehrheit die Aussage, die US-Amerikaner seien „als Konsum- und Wegwerfgesellschaft ein abschreckendes Beispiel für den Rest der Welt“. Allensbach stellt noch eine weitere Frage: „Wenn jemand sagt, kein Land tritt immer wieder so für die Demokratie ein, ist ein so starker Verfechter von Freiheit und Menschenrechten wie die Vereinigten Staaten. Würden Sie da zustimmen oder nicht zustimmen?“ – Dieser Meinung über die USA pflichtet nur eine Minderheit bei.

Eine neue Umfrage des „Pew Research Centers“ in Washington brachte Erstaunliches zu Tage: Von allen mit den USA verbündeten Staaten haben die Deutschen das zweitschlechteste Amerika-Bild. Am meisten Ablehnung findet man in der Türkei. Dieses Ergebnis ist besonders bedrückend, weil die Sympathie mit den USA in letzter Zeit in allen Weltregionen zugenommen hat, wenn man von Russland und der arabisch-muslimischen Welt absieht. Besonders hoch sind die Sympathieraten in Afrika und Lateinamerika. Selbst bei ehemaligen Kriegsgegnern wie Vietnam ist die Sympathie der Menschen mit den USA überraschend hoch (78%). Wenn man dieses Bild im Kontext der in Deutschland weit verbreiteten Sympathie für die russische Aggression in der Ukraine sieht, muss man sich die Frage stellen, ob die von Historikern gerne als „endlich gelungen“ bezeichnete Westorientierung der Deutschen wirklich nachhaltig ist.

In jüngster Zeit haben die Vorbehalte gegenüber den USA neue Nahrung erhalten. Sie speisen sich aus folgenden Vorwürfen: Obama mache sein Versprechen nicht wahr, das Gefängnis für (vermeintliche) Terroristen in Guantanamo (Kuba) zu schließen. Die NSA-Affäre offenbare eine Bespitzelungswut der amerikanischen Geheimdienste – selbst gegenüber Freunden. Und schließlich: Die USA nehme bei ihren Drohnenangriffen in muslimischen Staaten zivile Opfer in Kauf. Ein aktueller Streitpunkt hat es den Gegnern der USA besonders angetan: das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Zwei Kritikpunkte stehen dabei stets im Vordergrund: Der Investitionsschutz, der durch Schiedsgerichte geregelt werden soll, höhle den Rechtsstaat aus, weil er eine private Nebenjustiz installiere. Und: Die Amerikaner wollten mit Hilfe dieses Abkommens unsere vorbildlichen ökologischen und sozialen Verbraucherstandards unterlaufen. Als Symbol dient in der Propaganda der TTIP-Gegner immer das berühmte Chlorhühnchen, das die gesundheitsbewussten Europäer auf den Tisch bekämen, würde TTIP Realität. Gerade an diesem Beispiel kann man nachweisen, dass die Propaganda der Aktivisten auf Lügen basiert. Die Bundeszentrale für Risikobewertung – eine der strengsten Kontrollinstanzen der Welt – hat bei der Chlorbehandlung von Fleisch keinerlei gesundheitliche Schäden festgestellt, sondern betont, dass die dadurch erreichte Keimfreiheit besser als andere Methoden vor gefährlichen Salmonellenvergiftungen schütze. In Deutschland erkranken 64 von 100.000 Menschen an dieser bei Risikogruppen (Säuglingen, alten Menschen) auch tödlich verlaufenden Krankheit, die vor allem durch Hühnerfleisch und Eier übertragen wird. Die amerikanischen Behörden schützen ihre Bürger vor solchen Erkrankungen, während die bei uns grassierende Öko-Manie – Angst vor Impfungen inklusive – gesundheitliche Risiken in Kauf nimmt.

Die Chlorhühnchen-Phobie hat inzwischen auch auf Vertreter der Evangelischen Kirche übergegriffen. Der Umweltpfarrer der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, Hubert Meisinger, fordert dazu auf, „das christlich geprägte Wertesystem“ zu verteidigen und TTIP „mit Blick auf die Bergpredigt“ (!) abzulehnen. Eine Nummer kleiner geht´s anscheinend nicht. Es mutet schon komisch an, dass ein Vertreter der Kirche, der seit 1970 acht Millionen Menschen den Rücken gekehrt haben, ausgerechnet das Land attackiert, in dem das Christentum im Alltag der Menschen noch lebendig ist. Seit sich die Evangelische Kirche primär um die „vorletzten Dinge“ (Dietrich Bonhoeffer) kümmert, ist sie – wie der SPIEGEL jüngst (24/2015) schrieb – zu einer „Vorfeldorganisation der Grünen“ geworden. Deshalb glich der Evangelische Kirchentag in Stuttgart Anfang Juni auch eher einem grünen Meinungsbasar als einer religiösen Veranstaltung.

Am 27. Mai 2015 wurden in dem Züricher Luxushotel „Baur Au Lac“ sieben hohe Funktionäre des Weltfußballverbandes FIFA festgenommen. Diese Aktion der Schweizer Behörden beruht auf einem Haftersuchen des amerikanischen Justizministeriums, das gegen 14 Funktionäre des Fußball-Weltverbands ermittelt, weil sie verdächtigt werden, Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen zu haben. Der zeitgleich erfolgende öffentliche Auftritt der amerikanischen Justizministerin Loretta Lynch, an deren Seite die Chefs der Bundespolizei FBI und der amerikanischen Steuerbehörde IRS standen, war ein starkes Signal, dass die USA nicht gewillt sind, die kriminellen Machenschaften der FIFA-Funktionäre länger zu dulden. Die US-Justiz hält die FIFA für eine kriminelle Vereinigung, die in Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche verstrickt ist.

Prompt kam die Frage auf, ob die USA überhaupt befugt seien, gegen die FIFA zu ermitteln, da diese ihren juristischen Sitz in der Schweiz habe. Der russische Präsident Putin, der mit Recht um die Austragung der Weltmeisterschaft 2018 in seinem Land fürchten muss, kritisierte, dass die USA ihr Rechtssystem auf die ganze Welt ausdehnen wollten. Juristische Grundlage der amerikanischen Ermittlungen gegen die FIFA ist ein Bundesgesetz aus dem Jahre 1970, das den komplizierten Namen „Racketeer Influenced and Corrupt Organisations Act“ trägt. Frei übersetzt sind damit Straftaten gemeint, die der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind (Geldwäsche, Schutzgelderpressung, Korruption). Amerikanische Ermittlungsbehörden können auf Grundlage dieses Gesetzes die Strafverfolgung auch auf das Ausland ausdehnen, wenn es einen irgendwie gearteten Bezug zum eigenen Land gibt. Bei kriminellen US-Bürgern liegt der Grund auf der Hand. Es genügt aber auch, wenn die kriminellen Geschäfte über US-Firmen, US-Postadressen oder US-Banken abgewickelt worden sind. Da der Dollar auch bei den Geldwäschern die Leitwährung ist, sind bei den dubiosen Geschäften stets US-Banken im Spiel. Über einen russischen Geldwäsche-Ring kam der FIFA-Stein dann auch ins Rollen.

Im Grunde ist das amerikanische Vorgehen gegen die FIFA für die Europäer beschämend. Jahrzehnte lang pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass die FIFA in Korruption verstrickt ist, dass die Vergabe von Welt- und Europameisterschaften manipuliert, d.h. durch Bestechungsgelder beeinflusst worden ist. Kein Land und keine Justizbehörde in Europa fühlte sich bemüßigt, deshalb Ermittlungen aufzunehmen. ARD und ZDF zahlten in den letzten 20 Jahren Milliarden an die FIFA, um sich die Übertragungsrechte für WM und EM zu sichern. Wenn jetzt nachgewiesen werden sollte, dass Millionen Dollar in private Taschen von korrupten Funktionären gewandert sind, würde offensichtlich, dass das Geld der deutschen Gebührenzahler veruntreut worden ist. Warum hat der sonst so gestrenge und der Gerechtigkeit verpflichtete Justizminister Heiko Maas (SPD) die Ermittlungen nicht angestrengt? Die vielgescholtenen USA mussten es wieder einmal richten. Die BILD-Zeitung fragte zurecht: „Rettet Loretta Lynch den Weltfußball?“ – Die USA werden immer wieder in die Rolle des Weltpolizisten gedrängt, weil sich die anderen demokratischen Länder oft bequem und risikoscheu zurücklehnen. „Am liebsten wäre es uns, das ganze Land würde Weltkulturerbe werden: Verändern verboten.“ (Nils Minkmar, in: DER SPIEGEL 24/2015).

Diese Ohne-mich-Haltung wurde jüngst durch die oben erwähnte Umfrage des amerikanischen Forschungsinstituts PEW in krasser Form bestätigt. Nur 38% der Deutschen wäre bereit, im Falle eines Angriffs von Russland auf ein NATO-Land diesem nach Art. 5 des NATO-Vertrages beizustehen. Zwei Drittel der Befragten äußerten hingegen die Erwartung, die Vereinigten Staaten würden schon militärische Gewalt anwenden und das bedrängte Land verteidigen. Die eigene Ignoranz drängt die USA in die Rolle des militärischen Akteurs – eine Haltung, die man ihnen dann wieder mit moralischem Gestus vorwerfen kann.

Bleibt noch eine Frage: Warum ist der Anti-Amerikanismus für viele Menschen ein so „erwärmendes'“ Gefühl? Auffällig ist, dass die Kritik an den USA häufig vehementer und gehässiger formuliert wird als die Kritik, die man an autoritären Staaten wie Russland oder China übt. Im Privatleben verhält man sich so gegenüber Menschen, die man eigentlich mag, von denen man aber auf Grund bestimmter Verhaltensweisen enttäuscht ist. Enttäuschte Liebe ist ein starkes Motiv für Hass. Schon bei der 68-er Generation, zu der ich mich zähle, war gegenüber den USA ein solch ambivalentes Gefühl der Hass-Liebe zu beobachten. Auf der einen Seite verdammten wir die Politik der USA als „imperialistisch“. Der absurde Ruf „USA – SA – SS“ ging uns leicht von den Lippen. Auf der anderen Seite kopierten wir den Stil der amerikanischen Subkultur (Hippiebewegung), tanzten nach den Songs amerikanischer Bands und schwelgten in Hollywood-Filmen. Selbst Militär-Klamotten aus dem Ami-Shop (Parka, Stiefel) waren als Protest-Outfit willkommen. Heute will kein junger Mensch, wie kritisch er auch gegenüber den USA eingestellt sein mag, auf die Segnungen von Google, Facebook, Twitter, Apple und Co. verzichten.

Viele Menschen in unserem Lande irritiert vielleicht gerade die Vitalität der amerikanischen Demokratie. Die Wahlkämpfe in den Staaten sind Monate lang andauernde Meinungsschlachten, die der Selbstvergewisserung der Gesellschaft über die Frage „Wohin wollen wir gehen?“ dienen. Dagegen sind Wahlkämpfe bei uns geruhsame Wohlfühl-Veranstaltungen. Der Ernennung hoher Beamter in Verwaltung, Militär, Geheimdienst und Justiz gehen in den USA Anhörungen der Bewerber vor dem Kongress voraus, in denen der Werdegang, die Befähigung für das Amt und die moralische Integrität im harte Kreuzverhör ans Licht gebracht werden. Bei uns sucht man bei der Personalausstattung unserer Ämter ein solch scharfes Verfahren vergebens. Und wer hat die großen Skandale in der Welt – auch die eigenen – aufgedeckt? Es waren amerikanische Journalisten in amerikanischen Medien. Kein demokratisches Land in der Welt besitzt eine solche Kraft zur Kontroverse und zur Selbstreinigung wie die USA. Vielleicht schafft diese Vitalität ein Unbehagen in einer Kultur wie der unsrigen, die sich eher der Harmonie, der Besänftigung der Gemüter verpflichtet fühlt.

Wir sollten uns daran gewöhnen, dass ein Staat selbst dann, wenn er seinem Selbstbild nach in der Verwirklichung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit und in der Gewährung von Freiheitsrechten Vorbild sein will, seine dunklen Seiten haben kann. Das lässt sich schon deshalb nicht vermeiden, weil Politik von fehlbaren Menschen gemacht wird und weil sie immer auch Kampf um Macht und Einfluss ist. Wenn man einen Staat idealisiert, kann dies sehr schnell ins Gegenteil umschlagen, falls man die hohen Erwartungen enttäuscht sieht. Wie wir einem guten Freund seine Fehler verzeihen, sollten wir auch einem Staat gegenüber, den wir eigentlich schätzen, mit Großmut begegnen. Einen zuverlässigeren Freund als die USA werden die Deutschen in der Welt nicht finden.

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10 Gedanken zu “Antiamerikanismus – das beständige Ressentiment;”

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    @68er
    Die Analysen von linker Seite sind meistens klarer und weitsichtiger (wenn nicht gerade grüner Ökologismus oder Antiamerikanismus mitspielt). Aber die Folgerungen daraus…

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    Sehr geehrter Herr Werner,

    wir Leser dieses Blogs sollten Ihnen auch mit Großmut begegnen:

    „Wie wir einem guten Freund seine Fehler verzeihen, sollten wir auch einem Staat gegenüber, den wir eigentlich schätzen, mit Großmut begegnen“

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    Ich stimme mit Rainer Werner überein – die USA-Feindlichkeit und gleichzeitige Putin-Nachsicht in Deutschland werfen die Frage auf, wie tief die Westbindung eigentlich in der deutschen Mentalität verankert ist. Ich würde ergänzen, dass auch durch die Wiedervereinigung die politische Kultur in Deutschland verändert worden ist. Zum Glück gibt es auch eine Minderheit sehr bewußter Transatlantiker, die sieht, wie wichtig das Bündnis mit den USA für Deutschland und Europa ist. Ohne die USA stünden wir allein sicherheitspolitisch völlig im Regen. Damit die liberale Demokratie kein Auslaufmodell wird, bedarf es zweier Pfeiler: Einer in Nordamerika, einer in Europa. Gelegentliche Reibungen sind auch unter Demokratien selbstverständlich. Kriege führen sie aber nicht gegeneinander.

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    Absurder Artikel. Die USA haben immer schon die europäische Kultur zerstören wollen. Sie haben Coca Cola und Walt Whitman, Colorado und Jane Fonda. Und wir haben schließlich Vertreter einer humanistischen Hochkultur wie Mussolini, Franco, Himmler, Kaiser Wilhelm, Marschall Petain und Geistesgrößen wie Benn und Wagner. Diese Kaugummi kauenden Jeans tragenden Cowboys… Usw usw. Historische Kontinuität.

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    Leider habe ich nicht die Zeit, mich mit allen Punkten des Beitrages zu befassen, aber der letzte Satz ist mir schon ins Auge gesprungen:

    „Einen zuverlässigeren Freund als die USA werden die Deutschen in der Welt nicht finden.“

    Einen dümmeren Satz habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Um es mit de Gaulle zu sagen:

    „Nationen haben keine Freunde, sondern nur Interessen.“

    Solange Deutschland und die USA die gleichen Interessen haben soll man auch zusammenarbeiten. Man sollte aber nicht denken, daß diese Interessen zwangsläufig immer deckungsgleich sind.

    Rußland z.B. ist für die USA nicht direkt ein Konkurrent, aber doch ein Störenfried bei der Aufrechterhaltung der eigenen Weltherrschaft; eine Destabilisierung Rußland liegt daher logischerweise im Interesse der USA.
    Für Deutschland ist Rußland eine wichtiger Handelspartner und ein unverzichtbarer Energielieferant; wir sollten daher an einem stabilen Rußland interessiert sein.

    Schon der Begriff „Antiamerikanismus“ ist ein politischer Kampfbegriff, mit Ihrem Verweis auf den Antisemitismus bestätigen Sie das eindrucksvoll.

    Wenn Griechenland, die Schweiz oder Frankreich für ihre Politik kritisiert werden verwendet ja auch keiner die Begriffe Antischweizerismus, Antigriechenlandismus und Antifranzösismus.

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