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Wer rettet wen bei der Griechenland-„Rettung“?

 Sprache hat die Eigentümlichkeit, dass man mit ihr Sachverhalte griffig verkürzen, sie gleichzeitig aber auch verschleiern kann. In der deutschen Griechenland-Debatte ist häufig davon die Rede, dass „wir“ verpflichtet seien, „die Griechen“ zu retten. Die Frage drängt sich auf: Wer ist mit „wir“ gemeint? Und: Retten wir tatsächlich „die“ Griechen, also „alle“ Einwohner dieses schönen, traditionsreichen Landes?

Über die sozialen Ungerechtigkeiten in Griechenland selbst ist schon viel berichtet worden. Jeder weiß inzwischen, dass die Superreichen des Landes ihre Milliarden in die Schweiz gebracht haben, um sie vor dem Fiskus zu „retten“. Der griechische Finanzminister hat selbst die Rechnung aufgemacht: Die Steuerschuld der Reichen im Lande beträgt 80 Milliarden €. Nur 10% davon glaubt er tatsächlich eintreiben zu können. Noch immer zahlen die Haus- und Grundbesitzer keine Grundsteuern, weil es kein Kataster und kein Grundbuch gibt – in einem Staat der EU! Im 21. Jahrhundert! Als die Athener Steuerbehörde die Eigner der Luxusjachten im Yacht-Hafen von Piräus samt ihren Steuererklärungen zu ihren Yachten beorderte – nur so konnten sie ihre Schiffe vor der Beschlagnahmung retten – , erschienen  nur einige wenige Eigner. Die meisten gaben ihre Yacht auf, weil ihre Steuerschuld den Wert des Schiffes um ein Vielfaches überstieg. Dies alles ist bekannt und soll deshalb hier nicht vertieft werden. Wir merken uns nur das Fazit: Wenn es heißt, dass wir „die Griechen“ retten, sorgen wir in erster Linie dafür, dass die griechischen Steuerbetrüger ungeschoren bleiben. Auf ihr Geld ist die griechische Regierung nämlich nicht mehr angewiesen, wenn frisches Geld aus dem Rettungstopf der EU fließt.

Hier soll vor allem der Frage nachgegangen werden, was die „Rettung Griechenlands“ für die deutschen Steuerzahler bedeutet. Im Jahre 2009 brach in der Eurozone die Staatsschuldenkrise aus, die oft fälschlich als Eurokrise bezeichnet wird. In der Krise wurde offensichtlich, dass sich Euroländer wie Griechenland, Irland, Spanien oder Portugal vor allem im Nachklang der Finanzmarktkrise von 2006 (Stichwort: Lehman Brothers) extrem verschuldet hatten. In diesen Ländern kam es zu Schuldenständen weit jenseits aller Defizitkriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts der EU. Einige Länder (Griechenland, Irland, Portugal) standen unmittelbar vor der Staatsinsolvenz. Durch die Krise wurde auch die langjährigen „Sünden“ und Versäumnisse einiger Euro-Staaten offenbar: Spanien hatte einen überdimensionierten Immobiliensektor, Irland ein notleidendes Bankensystem, Portugal und Griechenland keine konkurrenzfähigen Wirtschaften, Italien und Frankreich verkrustete Arbeitsmärkte und eine überbordende Staatsbürokratie. Durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (2011) – populär als Rettungsschirm bezeichnet – sollten die taumelnden Euro-Staaten vor dem Kollaps gerettet werden. Als Gegenleistung für Finanzhilfen aus der EU mussten sich die Krisenstaaten auf Reformprogramme verpflichten, die darauf abzielten, die strukturellen Schwächen ihrer Volkswirtschaften zu beheben. So weit, so gut. Doch dann kam die Europäische Zentralbank ins Spiel. Sie senkte den Leitzins bis auf den heutigen historischen Tiefstand von 0,05%. Gleichzeitig kaufte sie in großem Stil bereits emittierte Staatsanleihen auf, um dadurch Geld in den Geldkreislauf zu pumpen.

Die Folgen dieser extremen Niedrigzinspolitik bekommen die Menschen bei uns seit 3 Jahren zu spüren. Auf Sparguthaben bekommt man bei manchen Banken nur noch 0,1% Zinsen, von Negativ-Zinsen ist bereits die Rede. Bei einer Inflationsrate von 2% (das ist der Zielwert der EZB) bedeutet der Niedrigzins einen kontinuierlichen Vermögensverlust der Sparer. Gleichzeitig geraten Lebens- und private Rentenversicherungen in eine finanzielle Schieflage, weil sie die vertraglich zugesicherten Renditen nicht mehr garantieren können. Der Wissenschaftler Frank Schorkopf brachte die Folgen dieser „Rettungspolitik“ prägnant auf den Punkt: „Die Verteilungswirkung geht zu Lasten von Bürgern, die von ihrem Arbeitseinkommen leben, und zugunsten von Bürgern, die über Sach- und Realvermögen verfügen.“ (FAZ, 11.6.2015). Wohin das Geld wandert, kann man an den steigenden Preisen für Aktien und Immobilien ablesen. Überspitzt könnte man sagen: Wir retten die reichen Griechen dadurch, dass wir die armen Deutschen belasten. (Für die anderen EU-Staaten gilt dasselbe.)

Ich habe mich immer gewundert, weshalb Parteien, die sich sonst immer der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlen (SPD, Grüne, Linke), dieser Umverteilungspolitik von unten nach oben sogar noch das Wort reden. Die SPD will ihre grundsätzliche Europafreundlichkeit nicht aufs Spiel setzen, die Grünen wollen „mit den Griechen (!) solidarisch“ sein und die Linke will ihre linksradikalen Freunde von Syriza nicht im Regen stehen lassen. So hat jede der drei Gerechtigkeitsparteien einen Grund, der schleichenden Enteignung des deutschen Normalbürgers zuzustimmen. Vielleicht hat der „griechische Wein“ einigen Links-Strategen den Kopf benebelt.

Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde.
Komm‘, schenk dir ein
und wenn ich dann traurig werde,
liegt es daran, dass ich immer träume von daheim;
Du musst verzeih’n.

(Udo Jürgens)

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22 Gedanken zu “Wer rettet wen bei der Griechenland-„Rettung“?;”

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    Weiter in die Diktatur:
    http://www.faz.net/aktuell/wir.....60018.html

    Lesercomment, 22.6., 9.44h von einem Griechen:

    Langfristig würde man damit auch (notorische Pleite-)Staaten schützen, die in den letzten 200 Jahren 7 mal (und damit öfter als Griechenland) bankrott gingen, 4 1/2 Schuldenschnitte zugestanden wurden und den (mit Abstand) grössten ökonomischen Schaden der Weltgeschichte anrichteten: Deutschland.

    Tenor in comments: Keiner will das so. Die sich dazu im Internet nicht äußern können, weil sie zu alt, zu krank, zu pflegebedürftig (Schwestern machen auch gern Kreuzchen für Patienten), zu jung oder zu doof sind, zählen eigentlich nicht, außer man will über den Willen des denkenden und an der Diskussion teilnehmenden Volks hinweggehen, i.d.R. Student, Azubi, Abiturient oder arbeitender Bürger.
    Regierungsfreundliche Umfrageergebnisse aus Krankenhäusern (dort liegt ganz sicher ein repräsentativer Querschnitt der Population) würden z.B. immer das gewünschte Ergebnis liefern. Weder unter Bekannten, noch auf der Straße/im Park, noch unter Lesern sehe ich noch Unterstützung für diesen Bockmist.
    Derweil wird behauptet, es baue sich Kalter Krieg auf, also eine Front, aber einen Krieg könnten die Russen nie gewinnen. Ach so. Was ist mit China?

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    Ich glaube Ariel Scharon hat einmal gesagt

    „Die Freiheit deiner Faust endet vor meiner Kinnspitze.“

    Mir ist egal wer wen rettet und wie es in Zukunft dabei den Griechen geht, ob sie im Elend oder in Saus und Braus leben.

    Ich will es nur nicht bezahlen, Punkt.

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    Er klingt hart, und eines seiner Mittel ist die Polemik, also die Übertreibung, aber er hat vollkommen Recht:
    „In dem Satz „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“ steckt ein autoritäres Potenzial, eigentlich schon eine totalitäre Gebrauchsanweisung. Dass der Wille das Einzige ist, worauf es ankommt, davon war auch die deutsche Generalität überzeugt, als sie Ende 1942 allen Verlusten zum Trotz den aussichtslosen Kampf um Stalingrad fortsetzte.“
    http://www.welt.de/debatte/kom.....ulden.html

    Das ist nicht „Wollt ihr den totalen Krieg?“ (mit allen Verzichten, Nahrungsmittelrationierungen, der letzte Bub an die Waffe etc.), sondern das ist hier: Wollt ihr den totalen Pseudofrieden bzw. den faulen Kompromiss? (mit Steuergeldern und Verzichten und Dauerleid der Griechen).

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    Ich will dann, egal wie das jetzt weitergeht, einmal als ehemaliger CDU/FDP-Wähler, inzwischen wegen Frau Merkel Nichtwähler und in Wahlstatistiken geflissentlich übersehen, ausdrücken, was ich selbst und einige andere, die in Umfragen irgendwie absent sind, dazu meinen:
    Wir stellen uns vor, dass Frau Merkel zurücktritt. Neuwahlen. Mit Frau von der Leyen kann man aus folgenden Gründen leben: Vollprofi, Politikerinstinkt in der zweiten Generation, weniger Gefahr, dass Landesinteressen und Bevölkerungsinteressen unterlaufen werden. Mutter von sieben Kindern, daher möglicherweise weitsichtiger in Bezug auf zukünftige Generationen. Mit Herrn Schäuble, der vermutlich zu alt ist, könnte man vielleicht auch leben, jedenfalls ist er in dieser Angelegenheit klar auf der richtigeren Seite. Fazit: Für mich und meine Bekannten kein Zurück zur CDU/CSU unter diesen Bedingungen, mit dieser Leitung. Hierzu gehört auch die Angelegenheit Intransparenz in Sachen NSA, die stärker ist als in den Vereinigten Staaten selbst. M.f.G.

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    Wir haben ja eine Legislative. Hin und wieder sind die Urteile der Justiz nachvollziehbar, so zum Beispiel hier:
    Die unabhängige Justiz bedeutet Zivilisation. Aber auch in Deutschland ist beides beständig in Gefahr, unabhängige Justiz und Zivilisation. Wenn sich Medien und Meute mit verantwortungslosem Leichtsinn auf jedes spektakuläre Verbrechen stürzen, dann verlassen sie sich blind darauf, dass Staatsanwälte und Richter unbeeindruckt ihre Arbeit tun. Das ist kindisch und gefährlich.

    Aber wie soll man von Bürgern und Journalisten Disziplin erwarten, wenn selbst die höchsten Repräsentanten des Staates nicht an sich halten können?
    http://www.spiegel.de/politik/.....39506.html

    Was aber soll aus dieser Justiz werden, wenn an höchsten Stellen Verträge gebrochen werden? Und was, wenn eine Paralleljustiz etabliert wird (Geheimgerichte im Rahmen von TTIP) oder gar zwei (plus Sharia)?:
    Kaum aber zeigte sich die erste Krise, wurden die dafür geschaffenen Regeln über Bord geworfen. Andere Mitgliedsstaaten treten mit hohen Milliardenbeträgen für Griechenland ein. Und der Chef der Europäischen Zentralbank schießt den Vogel ab, indem er massenhaft Staatsschuldpapiere Griechenlands aufkauft. Statt deshalb umgehend zurückzutreten, kündigt er anschließend an, diesen Ankauf zur Not in „unbegrenzter Höhe“ weiterzutreiben. Um den Staat Griechenland zu finanzieren – ein Sakrileg für jede unabhängige Geldpolitik.
    http://www.achgut.com/dadgdx/i.....ch_gepennt

  6. avatar

    Ambrose Evans-Pritchard:
    „As it happens, Edmund Burke would have found the plans presented to the Eurogroup last night by finance minister Yanis Varoufakis to be rational, reasonable, fair, and proportionate. They include a debt swap from the ECB bonds coming due to bail-out bonds with longer maturities and lower interest rates, reflecting the market borrowing cost of the creditors.

    Syriza said from the outset that it was eager to work with on market reforms with the OECD, the leading authority. It wants to team up with the International Labour Organisation on Scandinavian style flexi-security and labour reforms, a valid alternative to the German-style Hartz IV reforms that have impoverished the bottom fifth of German society and which no Left-wing movement can stomach.

    It wished to push through a more radical overhaul of the Greek state that anything yet done under five years of Troika rule – and much has been done, to be fair.

    As Mr Varoufakis told Die Zeit: “Why does a kilometer of freeway cost three times as much where we are as it does in Germany? Because we’re dealing with a system of cronyism and corruption. That’s what we have to tackle. But, instead, we’re debating pharmacy opening times,” he said.

    The Troika pushed privatisation of profitable state assets at knock-down depression prices to private monopolies, to the benefit of an entrenched elite. To call that reforms invites a bitter cynicism.

    The only reason that the Troika pushed this policy was in order to extract money. It was acting at a debt collector. “The reforms were a smokescreen. Whenever I tried talking about proposals, they were bored. I could see it in their body language,“ Mr Varoufakis told me.“
    http://www.telegraph.co.uk/fin.....nance.html

  7. avatar

    @ 68er

    Danke für die links. Diese Passage aus dem Tagesspiegel fand ich besonders interessant:
    „Der Vergleich mit Deutschland ist irreführend

    Dabei ist vor allem der Vergleich zur Bundesrepublik irreführend: Die Daten der „Ageing Reports“ 2009 und 2015 belegen, dass die Staatsausgaben für Renten und Pensionen in Griechenland von 11,7 Prozent des BIP im Jahr 2007 im Jahr 2013 auf 16,2 Prozent des BIP gestiegen sind. In der Bundesrepublik beliefen sich die Rentenausgaben auf 10,4 Prozent des BIP im Jahr 2007 und sind seitdem konstant auf demselben Niveau geblieben. Woher kommt dieser Anstieg der griechischen Rentenausgaben? Die Zahl der Rentner ist nicht wesentlich angestiegen, die Höhe der Renten infolge der in den vergangenen Jahren verfolgten Politik sogar dramatisch beschnitten worden.
    Renteneintrittsalter in Griechenland liegt bei 67 Jahren

    Man muss nur die Grundrechenarten beherrschen, um zu erkennen, dass der Anstieg der im Verhältnis zum BIP eines Landes ausgedrückten Staatsausgaben für Renten und Pensionen ausschließlich aus dem Zusammenschrumpfen der Wirtschaftsleistung Griechenlands rührt und nicht aus der Erhöhung der vom griechischen Staat für die Zahlung von Renten und Pensionen aufgewandten Summen. Anders formuliert ergibt sich dieser Wert aus der Tatsache, dass das BIP Griechenlands viel schneller gesunken ist als die Renten.“

    Auf interfamiliären nötigen Transfer zum Überleben hinzuweisen, ist auch überaus gut.

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    Das griechische BIP ist von 2008 bis 2013 um ein Drittel gesunken (http://www.tradingeconomics.com/greece/gdp). Ich bin kein Ökonom, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Ausfälle in dieser Größenordnung durch Rentenkürzung, Kürzung im Militärhaushalt oder den Einsatz von Steuerfahndern auch nur im Ansatz auszugleichen sind.

    Selbst wenn man glaubt, dass die 80 Milliarden Steuerschulden mehr seien als eine theoretische Größe, dass sie tatsächlich eingetrieben und an die Gläubiger weitergereicht werden könnten: Davon würde die griechische Wirtschaft auch nicht wachsen.

    Wenn das stimmt, dann gibt es auf Dauer nur zwei Möglichkeiten: Staatsbankrott und Euro-Austritt oder Schuldenerlass und Konjunkturprogramm. Es ist eine praktische Frage, keine moralische.

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    @ Parisien

    Zum Thema Rentenpropaganda:

    http://www.spiegel.de/wirtscha.....39256.html

    http://www.tagesspiegel.de/pol.....31320.html

    Das Griechenland dringend Reformen durchführen muss, das sagen Tsipras und Varoufakis ja auch. Es ist aber ziemlich unverschämt, von Syriza zu verlangen innerhalb von 2 Monaten ein umfassendes Reformkonzept vorzulegen, die alle Probleme, die ihre Vorgänger in den letzten Jahrzehnten angehäuft haben, im Handumdrehen beseitigen sollen.

    Wenn man fair gewesen wäre, hätte man direkt nach der Wahl ein Moratorium von mindestens 6 Monaten ohne Vorbedinungen verhängt und danach weiter verhandelt. Das hätte Syriza Zeit gegeben, ein vernünftiges Konzept aufzustellen, die Kapitalmärkte teilweise beruhigt und damit auch der Wirtschaftsentwicklung geholfen.

    Ob eine Kapitalregulierung gegen den Abfluss großer Vermögen in die Schweiz und auf Offshore-Konten begleitend geholfen hätte, kann ich nicht einschätzen. Tatsächlich sollte das Projekt Syriza aber nicht so funktionieren, denn es würde zeigen, dass die bisherige Politik von EU, Merkel, Schäuble und IWF in großem Umfang zur Misere in Griechenland beigetragen hat. Sollte davon ablenken, dass die Hilfen nach 2009 vor in großem Umfang den deutschen Banken und nicht dem angeblich „maßlosen Griechen“ zugute kam.

    So wurden Tsipras und Varoufakis in einen medial inszenierten Verhandlungsmarathon gezwungen, der alles andere als produktiv war und einzig der Profilierung beider Seiten gegenüber den eigenen Wählern diente.

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    @ Stevanovic

    Alles richtig, glaube ich: Früher hatten Sie Weißhaarige mit dem Bus recht kontinuierlich unterwegs (die mit dem Sparbuch), heute ist es einzelnen Familien möglich, auf Kredit mal eine bessere Reise zu machen. Schlecht wäre nur, wenn diese nicht darauf achteten, dass die Zinsen wieder steigen könnten. So gesehen kommt eine kleine Umverteilung von Oma mit dem Sparbuch in die Jüngeren zustande, was sinnvoll ist, zumal diese Gruppe mehr konsumiert. Also ist auch unterhalb der Eigentumswohnung durchaus eine Verbesserung zu verzeichnen, die ebfs. den Konsum ankurbelt.
    Daher muss ich diesen Satz erstmal zurücknehmen:
    „Wem das schadet, sind die Mittelschichten.“

    Tatsache bleibt aber, dass Austerität natürlich Arbeitslosigkeit erzeugt und zwar vermutlich bei den Älteren, was das Rentenproblem verschärft, und bei den Neulingen, was die Frustrationsschwelle senkt, wie man ja nicht nur in Athen, sondern auch z.B. in Valencia beobachten konnte. Und diese kriegen keinen Kredit, außer sie hätten Eltern mit Bonität, die bürgen.

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    Ich frage mich, ob sich Herr Werner in seiner Sturm und Drang Zeit jemals mit Karl Marx‘ Mehrwertlehre beschäftigt hat. Auch wenn man es jahrzehntelang den kleinen Sparern eingeredet hat, es gibt kein ökonomisches Gesetz der sicheren Zinsen. Wer am großen Spiel im Weltkasino Kapitalismus mitspielen will, muss auch damit rechnen, dass er mal verliert. Geld schafft keinen Mehrwert. Den erarbeitet im Endeffekt immer der dumme (Lohn-)Arbeiter, der gebildete (Erfinder-)Arbeiter oder er wird im Raubbau der Erde abgetrotzt. Die einzigen exogenen Mehrwerte entstehen durch Sonnenenergie (damit teilweise auch durch Landwirtschaft) oder z. B. Gezeitenkraftwerke.

    Wieso soll jemand für seine einlagengesicherten Spar-Euros mehr Zinsen erhalten, als sie zum Ausgleich des Kaufkraftverlustes benötigt werden? Konsumverzicht ist keine Arbeit und schafft keinen Mehrwert. Eine Entschädigung für einen drohenden Kapitalverlust ist wegen der Einlagensicherung auch nicht gerechtfertigt. Die flächendeckende Einführung der Sparkassen Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte zu einem großen Teil sozialpolitische Gründe. Wie die zahlreichen Währungs-„Reformen“ bis hin zur Einführung der DM-Mark in den neuen Bundesländern zeigen, wurde bei den kleinen Sparern auch immer kräftig zugelangt und die wirklich Vermögenden, die reale Werte wie Immobilien oder Produktionsmittel besaßen, wurden meist geschont (das alte Griechenland und der IWF lassen grüßen). Bis zur Einführung der Einlagensicherung war daher eine Zinserwartung aufgrund des tatsächlich übernommenen Spekulationsrisikos bedingt gerechtfertigt. Wer las Ex-Maoist heute jammert, dass er auf dem warmen heimischen Sofa kein Geld verdient, weil sein Geld risikofrei bei der Sparkasse liegt, raubt mir wirklich nicht die Nachtruhe. Zumal er ja als freier EU-Bürger jederzeit mit seiner Studienratspension nach Griechenland auswandern kann, wo die Menschen laut Bosbach und Bild ja wie im Schlaraffenland leben sollen.

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    @Stevanovic: Dem kann ich nur zustimmen. Plötzlich ist unsereins in der Lage, daran zu denken, über einen Kredit eine Wohnung oder ein Reihenhäuschen zu finanzieren. Das schien mir vor Jahren noch unmöglich.

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    „Die Folgen dieser extremen Niedrigzinspolitik bekommen die Menschen bei uns seit 3 Jahren zu spüren.“

    Ja, echt, so ein Mist. Meine Hypothekenkredit, denn ich als Sandwich-Generation abbezahlen muss, hat sich halbiert. Die Rate für die Zahnspangen ist niedriger als die für das Auto und das Wohnzimmer kann ich in 2 Jahren abbezahlen. Die Welt wäre natürlich gerechter, wenn uns Oma mit den astronomischen Zinsen von ihrem Sparbuch einmal im Jahr zum Essen einlädt.
    Ich glaube, dass das Leben für Menschen, die kein Kapital, aber genug geregeltes Einkommen haben, um sich welches zu leihen, gerade ein ganzes Stück einfacher geworden ist. Durch die niedrigen Zinsen haben wir ein zweites Kindergeld, es fließt sofort in den Konsum. Wir können Dinge bezahlen, die wir jetzt mit Kindern brauchen und die mir nichts bedeuten, wenn sie aus dem Haus sind. Zahnspangen und Klassenfahrten, wechselnde Hobbys, es geht ja nicht ewig. Dagegen ist das Kapital, dass ich gerade ansparen kann, vollkommen lächerlich.
    Wohlgemerkt: Ich bekomme von den Leuten, die Zinsen verloren haben, kein Geld geschenkt. Ich muss nur für das Geld nicht so viel zahlen. Ich arbeite weniger am Tag, um für das Geld bezahlen zu können. Der zusätzliche Taler wandert sofort weiter.
    “Die Verteilungswirkung geht zu Lasten von Bürgern, die von ihrem Arbeitseinkommen leben, und zugunsten von Bürgern, die über Sach- und Realvermögen verfügen.“
    Was für ein Unsinn. Es geht zu Ungunsten der Bürger, die Kapital ansparen konnten und nun genug zusammen haben, um davon zu leben. Für alle anderen, die erst gegen Ende der Karriere Schuldenfrei sein werden, was bei den meisten Familien durch Kinder & Hypothek der Fall ist, ist das Leben einfacher geworden. Die meisten von Arbeitseinkommen lebenden haben kein Kapital, für das Zinsen relevant sind, aber sie brauchen sehr wohl Kredite. Die spüren die Niedrigzinspolitik.

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    @ Alan Posener
    „In erster Linie geht es darum, das Wachstum in der Eurozone anzukurbeln, das selbst in Deutschland minimal ist, indem Investitionskredite lukrativer werden sollen. Das ist übrigens eine völlig richtige Politik, die in den USA und Großbritannien auch schon die gewünschten Ergebnisse gezeitigt hat.“

    Das ist klar, weil sowohl die Briten als auch die Amerikaner geneigter sind, Kredite aufzunehmen als die Deutschen.

    @ Rainer Werner
    Inzwischen nehme ich an diesem Anstoß:
    „Ich habe mich immer gewundert, weshalb Parteien, die sich sonst immer der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlen (SPD, Grüne, Linke), dieser Umverteilungspolitik von unten nach oben sogar noch das Wort reden.“

    Seit Jahren scheinen diese Parteien nur noch da zu sein a) für Transferempfänger (die bekanntlich keine Steuern zahlen), b) für andere Modelle der Lebensführung und c) für political correctness inklusive chirurgischer Eingriffe in die von letztlich Luther!!! und Gutenberg etablierte Sprache (ProfessorX, KlemptnerInnen).

    Wem das schadet, sind die Mittelschichten. Das sind diejenigen, die Sparguthaben haben. Und das sind diejenigen, die das Wachstum mit ankurbeln können über höheren Konsum. Man sollte meinen, wenn Sparen keinen Sinn macht, dass Konsum angezeigter ist, und tatsächlich – man kauft ja nicht nur eine Wohnung (mit niedrig verzinstem Kredit), sondern man richtet sie ein. Alles Mögliche wird dabei fällig, neue Birnen, Telecom etc., neue Klobürsten, die aber nicht fast 200.- kosten wie angeblich für die Elbphilharmonie.

    Diese Mittelschichten gehörten früher eher der FDP und teilweise der CDU und weniger den anderen beiden. Die wurden doch massiv angeworben von Schröder, „Kanzler der Mitte“. Dann ließ er sie teilweise sitzen (H4).
    Jetzt haben wir welche, die in die Eigentumswohnung gehen und welche, die das nicht können und echt Angst haben.

    Wer heute arbeitet, den kann man nicht „unten“ nennen. „Unten“ sind H4-Empfänger oder A’los von Frankreich an nach Süden, hauptsächlich Jugendliche. Beachten Sie die Anführungsstriche, bitte.
    Ich habe mal einen fiktiven Plan gelesen, eine Phantasie, die ca. 2020 angesetzt war, wo die Jugendlichen über die Rentner herfallen. Das war eine Phantasie in einer großen deutschen Tageszeitung, paar Jahre ist das her. Damals fand ich die angsteinflößend, und heute finde ich die angsteinflößend.
    Was Renten betrifft, ist daher das fehlende Einlenken der Griechen angsteinflößend. Die Jungen brauchen eine Perspektive.

  15. avatar

    @ KJN

    Die Lage von Syriza erinnert stark an die der SPD nach dem ersten Weltkrieg, als die Sozialisten den vom Kaiser und seinen Leuten in den Dreck gefahrenen Karren wieder herausziehen mussten und später dafür verspottet wurden:

    „Wer hat uns verraten….“

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    Ein Politiker mit Verantwortungsbewusstsein, das er vor Machtbestrebungen setzte, immer:
    Trotz großer Skepsis hat die Union damals für den Euro geworben. Wir haben alle Kritiker mit guten Argumenten beruhigt: „Kein Land haftet für die Schulden eines anderen Staates! Eine Transferunion kann es gar nicht geben, weil eine Überschuldung anderer Staaten ausgeschlossen ist. Und wer die Stabilitätskriterien bricht, muss mit Sanktionen rechnen.“ Ich selber habe für den Euro geworben, ich selber habe mit dem Regelwerk argumentiert. Ich werde nicht dabei mitmachen, die Zusagen von damals ins Gegenteil zu verkehren.
    http://www.welt.de/politik/deu.....hmbar.html

    Inzwischen sind wir so verlassen,dass ich mich nach so was wie einem Landesvater sehne. „Mutti“? Aber nein. Gute Mütter sehen immer zuerst ihre Kinder und sich und ihr Fortkommen erst danach.

    „Fließet aus dem Aug’, ihr Tränen!
    All mein Hoffen, all mein Sehnen,

    Meines Lebens schönster Traum
    Hängt an diesem Apfelbaum!!“

    Der Traum: Der Euro

    Aus Max‘ und Moritz‘ Erster Streich

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    lieber Herr Werner,
    das Weingedicht erscheint mir zu lieblich. Würde die Faustszene passen?
    Andererseits kommt man auch über die Runden, wenn man Varoufakis und Tsipras, die auch meistens so gucken, mit Max und Moritz vergleicht, die Kanzlerin mit der Witwe Bolte und den Steuerzahler mit dem Schneider, der über den ausgelegten Steg geht, der angesägt ist.

    Dass Sie die Schweiz erwähnen,finde ich ungut, weil die Schweiz mit den Vorstellungen der Amerikaner und der Deutschen kooperiert, so dass sich weitere Ouagadougou-Vergleiche verbieten. Da gibt es ganz andere Paradiese. Aus einigen von ihnen wird IS finanziert.
    Der Sparer sollte einen vielleicht nicht so jucken. In schlechten Zeiten ging es immer ans Gesparte. Wichtiger scheint mir tatsächlich, die Banken zu retten,damit wieder gespart werden kann. Die FED wollte oder hat schon den Leitzins wieder erhöht, die EZB wird das mittelfristig vermutlich auch tun.

    Gravierender erscheint mir so etwas, weil das diktatorische Züge trägt, undemokratische auf jeden Fall:
    http://www.bild.de/politik/inl......bild.html

    Gefunden auf wo ich nach Posener zu oft lese. Übersetzung: Es macht ihm zu schaffen, wenn man Broder noch besser findet.

  18. avatar

    Lieber Herr Werner, mit der Banken-Rettungspolitik wurden zunächst mal die Außenstände reicher Deutscher, sprich eines Teils der deutschen Wirtschaft gerettet. Dies ist zu einem großen Teil abgeschlossen, der Rest kann abgeschrieben werden. Daher wird der ‚Grexit‘ jetzt hoffähig geschrieben. Die Zustände, die Sie zurecht beklagen, wurden von den Vorgängern von Syriza tradiert. Syriza ist angetreten, genau das zu ändern und wird von Anfang an von Herrn Schäuble verspottet, so wie von Anfang an den ‚faulen Griechen‘ die Schuld an den Zuständen gegeben wurde. Es war Jahrzehnte Zeit, der griechischen Politik, den griechischen Eliten Ihre Fehler aufzuzeigen – sie waren allzu offensichtlich. Die katastrophale Verhandlungslage ist daher wohl zum größeren Teil dem Versagen deutscher und europäischer Politik zu verdanḱen, die sich übrigens aufgrund der geostrategischen Gegebenheiten damit letztlich in die Defensive bugsiert hat: Glaubt wirklich jemand im Ernst daran, daß man Griechenland aus der EU schmeißt? Der jetzige scharfe Ton ist Teil der Verhandlung, die Syriza bereits von Anfang an gewonnen hatte. Aber da haben sie wohl recht: Die Hilfsmaßnahmen für das Land, das Europa nicht fallen lassen kann, zahlen wir alle.

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    Ob aber die Lösung des von dir geschilderten Problems darin liegt, die griechischen Renten zu kürzen und die Mehrwertsteuer anzuheben, wie es die „Retter“ fordern, darf man nach deiner Analyse erst recht bezweifeln.
    Man darf sich auch fragen, ob die Niedrigzinspolitik der EZB tatsächlich in erster Linie dazu da ist, die Griechen zu „retten“. In erster Linie geht es darum, das Wachstum in der Eurozone anzukurbeln, das selbst in Deutschland minimal ist, indem Investitionskredite lukrativer werden sollen. Das ist übrigens eine völlig richtige Politik, die in den USA und Großbritannien auch schon die gewünschten Ergebnisse gezeitigt hat. Dass die kleinen Sparer und die Arbeitnehmer die Zeche zahlen – nun, so what else is new? Wir mokieren uns über das griechische Steuersystem, dass aber bei uns große Vermögen ungeschoren davon kommen, während die öffentliche hand verarmt, das wird – außer von Thomas Piketty – kaum thematisiert.

  20. avatar

    Einem Punkt möchte ich immerhin zustimmen: Sprache hat die Eigentümlichkeit, Sachverhalte zu verschleiern. Dass die „armen Deutschen“, wie Sie sagen, ausgerechnet über Steuern und Zinsen – ein Bezahlmodell, das die Armen doch gerade entlastet, da die Armen weder über nennenswerte Einkommen noch über Sparguthaben verfügen – die „reichen Griechen“ retten würden, untermalt diese Anfangsthese am Ende drastisch.

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