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Freund-Feind-Beziehungen als Wesen der Politik

Politik ist paradox. Sie ist die Fähigkeit, das Trennende herauszustellen, obwohl man auf das Gemeinsame hinaus soll. Durch die Betonung des Trennenden schließt man nämlich die Reihen der Anhänger, deren Votum dann die Macht verleiht, die man braucht, um beim Gemeinsamen das durchzusetzen, was einem näher liegt. Wer das kann, der ist dann ein charismatischer Politiker.

Politik ist also zunächst Differenz und Dissens und erst dann, wenn sie gelingt, Kompromiss und Konsens. Im Wesen einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft liegt es, dass es Gegner geben mag, aber daraus keine Feinde werden sollten. Man darf anderer Meinungen sein, ohne dem anderen den Schädel einschlagen zu müssen. Das alles ist leichter gedacht als getan.
Wer das Trennende zwischen den Menschen betonen will, um damit Politik zu machen, der rührt an Tabus. In diesem Graubereich von unterschiedlichen Meinungen einerseits und Verfeindung andererseits gibt es keine klaren Grenzlinien; jedenfalls kann man darüber streiten, wie weit man gehen darf in seiner Polemik gegen den anderen. Wieder eine Paradoxie: Wie bei allen Vergewaltigungen hat nämlich das Opfer das Recht zu definieren, wann eine Grenze überschritten wurde, nicht der Täter. Das ist das eine. Und das andere ist: Das Recht zu beleidigen, steht höher als das Recht, nicht beleidigt zu werden. Beispiel: Ikonoklasmus, sprich das Bildverbot bestimmter Religionen, und das Recht von Karikaturisten, dagegen zu verstoßen.
Dispute auf vermintem Gebiet, ab und zu fliegt einer in die Luft oder beide. Man hat das auch erleben können bei der Diskussion über die genitale Beschneidung von Kindern. Für die einen ein gottgegebener Ritus, der ihre Identität stiftet. Für andere Kindesmisshandlung, jedenfalls ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht des Kindes. Wer sich äußert, gerät zwischen die Fronten und ist schnell als Feind identifiziert. Manchmal zu Recht, oft zu Unrecht; vielleicht auch umgekehrt. In den Social Media muss man registrieren, wie dünn die Decke der Zivilisation dann wird. Vom Mokieren zum Mordaufruf sind es manchmal nur Minuten. Wehe, wenn die eigene Unkultur dann noch Rechtfertigung durch eine Revoluzzerreligion erfährt. Den Ideologen ist alles klar, immer.
Mir ist es gerade eben so ergangen, dass ich auf „facebook“ den Kontakt zu einem Journalisten habe blockieren lassen, ihn also aus meiner virtuellen Welt als Stimme getilgt habe. Jetzt plagt mich der Gedanke, ob ich dabei nicht zu empfindlich war. Es geht um einen Intendanten a.D. und österreichischen Titularprofessor, der seinem Ärger darüber, dass in Berlin vom Parlament ein neuer Regierender gewählt wird und es nicht zu Neuwahlen kommt, Ausdruck verliehen hat. Die Berliner SPD bestimmt nicht in Hinterzimmern, wer aufgestellt wird, sondern führt eine Mitgliederbefragung durch, wen sie nominieren soll. Es gibt drei Kandidaten und 17000 Mitglieder, die jetzt eine Briefwahl vornehmen können.
Der Intendant a. D. nennt das ganze eine Perversion der Demokratie und wirft der SPD schiere Machterhaltungspolitik vor. Dass die CDU eine Neuwahl hätte herbeiführen können, bleibt unberücksichtigt. Nun gut, die Schwarzen suchen das Böse bei den Roten und umgekehrt. Nun kommen wir zur Sollbruchstelle. Der österreichische Professor aus Hessen nennt die abstimmenden Sozialdemokraten wörtlich „Volks-Genossen“. Es ist richtig, dass sich die Sozis als „Genossen“ anreden. Es ist auch richtig, dass die Anrede „Parteigenosse“ nur innerhalb der NSDAP üblich war. Und vor allem ist unbestreitbar, dass „Volksgenossen“ eine politische Kategorie des Faschismus war, die es den Juden verwehren sollte, noch deutsche Staatsangehörige zu sein. Der Herr belegt Sozialdemokraten mit einem üblen Nazi-Jargon, und er tut es berechnend.
An dem Punkt sind die Sozis irgendwie komisch. Es gehört zu ihrer DNA, dass sie die einzige Partei waren, die im Reichstag gegen die Machtergreifung Hitlers gestimmt haben. Die politischen Kräfte, in deren Tradition unser Intendant steht, haben mit Hurra den Steigbügel für Hitler gehalten, die Sozis unter dem legendären Otto Wels nicht und sind dafür ins KZ gegangen. Deshalb kann man finden, dass der Jargon vom Volksgenossen zu weit geht. Auf der anderen Seite hatte ich (als Berufskollege meines Gegenübers) den Herrn Intendanten wegen seiner Vergangenheit als Spin Doctor eines gewissen Alfred Dregger aus der hessischen Union als „Dreggers Dreckschleuder“ bezeichnet (ich meinte seine Verdienste um den rechtspopulistischen Diskurs dieses Politikers der Union). Auch nicht die feine Art.
Politik ist paradox; wir selbst sind es. Manchmal weiß ich nach dem Streit nicht mehr, wer Recht hatte. Vor allem kommen mir am nächsten Morgen viele Reaktionen als überzogen vor. Auch meine. Ein Ausweg kann nur darin liegen, dass wir lernen, über das Streiten zu streiten. Das ist der Diskurs über die Grenzen der Diskurse. Ich fürchte, dabei geht es dann noch polemischer zu: “paradise lost“. Aus dem Dilemma erlöst nur eine stramme Religion. Verloren, wer frei davon.

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4 Gedanken zu “Freund-Feind-Beziehungen als Wesen der Politik;”

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    Lieber Klaus,
    (ich gestatte mir weiterhin diese vertrauliche Anrede wegen langer Bekanntschaft und trotz bedauerlich spärlicher Kontakte)
    dein Artikel gefällt mir sehr, schon weil er sich ziemlich mit dem deckt was ich denke, aber weniger treffen ausdrücken kann. Gleichzeitig fürchte ich aber, dass diese Vorgänge und Zusammenhänge von etlichen, die sich weniger damit befassen, nicht richtig oder nur zum Teil verstanden werden. Genau das macht Demokratie so wohl anstrengend und droht sie manchmal sogar zu gefährden. Leider nicht zu ändern.
    Den Blog nehme ich jetzt zu meinen Favoriten.
    Viele Grüße Reiner

  2. avatar

    „Im Wesen einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft liegt es, dass es Gegner geben mag, aber daraus keine Feinde werden sollten. Man darf anderer Meinungen sein, ohne dem anderen den Schädel einschlagen zu müssen.“

    Ihre Gegner/Feind Unterscheidung habe ich so übernommen. Klasse!

  3. avatar

    @ Roland Ziegler

    Sicher, Roland, Aufklärung ist/ wäre die Lösung. Was sonst? Ich selbst verlange sie immer wieder. Aber ganz abgesehen davon, dass sie nur ein europäisches Phänomen ist, genauer gesagt: nur ein westeuropäisches bzw. „nach Westeuropa“ führendes Phänomen, und sie sich, wenn überhaupt, anscheinend weitgehend nur nachahmend und (bestenfalls) als partielle „Modernisierung“ übertragen/ exportieren lässt – West-/Europa selbst hat das Projekt aufgegeben. Oszillierend zwischen Analyse und Norm geht es nur noch um Governance, in der das Subjekt nur noch bloßes Moment(um) im globalen Regelkreis ist (und der genau dann „gut“ funktionieren würde, wenn das Subjekt sich auf seine „momentane“/ infinitesimale Größe beschränkte). Aufzuklären ist da nichts mehr. Vertrauen (ohne zu fragen, wem) und rein, heißt die Devise.

    Bedeutet, was unser Thema im engeren Sinne betrifft: Im Grunde können wir nur hoffen, dass wir, für den Notfall jedenfalls, unsere „voraufgeklärten“ Fähigkeiten noch nicht gänzlich vergessen haben. (Womöglich tritt der Notfall aber auch erst ein, wenn jedenfalls wir uns schon mal (global beispielhaft) in unserer Selbstökonomisierung aufgelöst haben. Das würde die Leute, denen die Good Governance bisher so sträflich am A…. vorbeigeht, sicher ungemein beeindrucken. (Die hauen drauf. Und wir sind gar nicht mehr da. Wäre doch ein herrlicher Witz!))

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