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Das WIRR entscheidet

 

Keine Wechselstimmung im Lande. Die Stimme des Volkes ist nicht zu vernehmen, weil es nichts zu sagen gibt. Der Bauch grummelt nur leicht. Und dann knurrt er wohlig: Irgendwie macht die Merkel das gar nicht so schlecht. Na gut, die Bubis in der FDP; aber wer bekennt sich noch zur FDP? Liberale wählen eh längst grün. Und sollten die Sozis eine gute Idee haben, kann man sicher sein, dass die neue Union die klaut.

Der Merkelsche Politikstil heißt Wunschkonzert: „Gib Zeichen, wir weichen!“ Eigentlich wollte sie früher das eine, aber zur Not macht sie auch das andere. Siehe Energiewende. Was also wird kommen? Schwarz-grün. Durchwurschteln als Königsweg.

Dies ist das Ende von Politik. Politik ist eine Freund-Feind-Beziehung oder sie ist keine Politik. Man kann das alte Theorem von Freund und Feind in das unverfänglichere von Freund und Gegner wandeln, aber es bleibt dabei: Politik fragt, ob man (zum Glück!) für etwas sei oder (wehe Dir!) dagegen. Politik ist Dissens. Politisch werden heißt, grundsätzlich sein wollen. Politik ist schwarz oder weiß, rot oder tot. Alternativen stehen an, den man nicht ausweichen kann. Krieg oder Frieden? Freiheit oder Sozialismus? Soziale Klassen oder Familien? Politik ist leidenschaftliche Kontroverse um einen strittigen Gegenstand, der klare Alternativen vorgibt. Rechts oder links? Die Vorstellung, dass „muddelin thru“ (EU-Englisch), das Durchschlängeln durch die Mitte, egal, wo die gerade ist, der Königsweg sei, ist keine politische.

Wer die Bereitschaft aufgibt, klar anzusagen, was normal ist und was nicht, der gibt die Bereitschaft auf, herrschen zu wollen. Mein Doktorvater hat das, wenn ich mich richtig erinnere, flexiblen Normalismus genannt; und ich fand es schon immer suspekt. Aber es beschreibt doch sehr gut, was in diesem Land passiert. Wir erleben eine rasante Abnahme von Tabus. Dinge, die früher undenkbar waren, werden normal. Stichwort Homoehe. Und es gibt ungeheuerliche Ungleichzeitigkeiten. Während das Verfassungsgut Familie auch gleichgeschlechtlichen Paaren zusteht, bannt die katholische Kirche noch immer die Empfängnisverhütung, selbst den Gebrauch von Präservativen. Man müsste aufschreien und fragen: Ja, was denn nun? Täte man es, bliebe der Zeitgeist tiefenentspannt. Er würde antworten: „Chacun a son gout!“ Der Zeitgeist wohnt in Brüssel und spricht französisch; das ist die herrschende Sprache der EU. Der paneuropäische Zeitgeist ist aber nicht immer so permissiv. Frage ich ihn, ob ich in der Kneipe rauchen darf, wird er energisch.
Die Frage, ob ich eine Tüte kriege, in die ich meine Lebensmittel packen kann, wird vorrangiger Gegenstand gesetzgeberischer Initiative. Oder welche Glühbirne ich nutze. Die Frage, ob das Zeugen, Gebären und Aufziehen von Kindern die Grundlage unserer Gesellschaft ist, driftet ins Relative. Wir werden erleben, dass die Plastiktüte nur noch nach Bezahlen einer Pönale über den Tisch geht und irgendwann ganz verboten wird. Wir sehen gleichzeitig zu, wie das Bildungssystem verrottet. Kita-Plätze fehlen, Schulen machen mittags Schicht (weil Mutti ja zuhause ist und kocht), Unis verkommen zu halbgaren Bätscheler-Fabriken. Warum? Nun, im ersten Fall geht um den kranken Wal, der Tüten im Bauch hat. Also um Mutter Erde. Alarm! Und im zweiten nur um die Infanten der unteren Stände, die sich keine Privatschulen leisten können, oder Migranten, deren IQ angeblich ohnehin genetisch wenig hergibt. Die Millionenauflage eines bestimmten Buches hat gezeigt, dass das Mainstream ist, übrigens erstveröffentlicht in einer Zeitschrift des Öko-Milieus.

Wer diesen valiumgetränkten Öko-Dusel beiseite schiebt, sieht, dass es doch wieder um soziale Fragen geht. Ganztagsschulen sind eine soziale Frage. Bahnhöfe und Flugplätze sind eine soziale Frage. Wer keine zeitgemäße Infrastruktur mehr schafft, vernichtet Wirtschaftspotenzial, und damit Arbeitsplätze. Ja, ein Nachtflugverbot ist eine politische Frage. Weil die Wutbürger, die ihre Ruhe wollen, nicht jene sind, die durch die Entindustrialisierung arbeitslos werden. Gegen gescheite Bahnhöfe kann sein, wer im lauschigen Vorort eine Villa mit Doppelgarage pflegt, nicht aber, wer kostengünstig pendeln muss. Solche Argumente klingen sehr nach „old labour“; sie riechen nach Gewerkschaft oder Sozialdemokratie. Die SPD war mal eine Partei des industriellen Wachstums. Aber das will der Zeitgeist ja nicht mehr. Keine Industrie, kein Wachstum. Beides ökologische Irrwege. Banken brauchen wir auch nicht mehr, Spaßkassen reichen. Hauptsache Bio.

Mittendrin der Kandidat des WIR. Peer Steinbrück wird scheitern, weil er zutiefst unpolitisch ist. Die SPD ist wirr im Kopf. Sie ist politikunfähig. Man erkennt nicht Peers Feinde, also will man auch nicht zu seinen Freunden. Mal abgesehen davon, dass er bei seinen Gegnern früher den bezahlten Pausenclown gegeben hat, welche Kampfansage macht der Mann? Wo steht dieser Mann? Wofür steht er? Frau Nahles, die korpulente katholische Linke aus der Eifel, sagt, er stünde für das WIR. Das soll nach Konsens und Kollektivismus riechen; und das wiederum ein Wohlgeruch sein. Der Mief der Wohngemeinschaften ist aber nicht das Parfum des Erfolgs in der Politik. Jener Teil der Führung dieser Partei, die Steinbrück die „technische Wahlkampfführung“ nennt, ist eine mittelmäßige Funktionärstruppe beschränkter Dilettanten, die tief im Herzen gar nicht gewinnen will. Diese Partei ist nicht kampagnenfähig, weil sie auf Konsens schielt, statt die Konfrontation zu suchen. Nachdem dieses WIRR die Wahl entschieden hat, wünscht man sich in der nächsten Bundestagswahl den Korpulenten aus Goslar als Klassenkämpfer. Und er wird wissen, was in seiner Jugend der Degenhardt zur Klampfe sang: „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf!“ Das mag die falsche Politik sein, aber es ist Politik.

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4 Gedanken zu “Das WIRR entscheidet;”

  1. avatar

    Dem Autor gebührt Dank für seinen Zwischenruf, denn nicht nur die Entwicklung in der SPD ist demokratiegefährdend, sondern auch die allgemeine Gemütslage. Ok., vielleicht noch nicht direkt, denn solange der Protest noch so zivilisiert, vernünftig und lösungsorientiert in Erscheinung tritt, wie in der neu gegründeten Partei AfD – Alternative für Deutschland, ist nach nichts verloren, aber es ist schon bemerkenswert, wie intensiv z.B. GEZ-Phoenix über den SPD-Parteitag berichtet und gleichzeitig die Hauptfrage auch für alles Soziale, eben das „Wir“, die ökonomische Grundlage unserer Gesellschaft in der Krise systematisch in den Medien ausgeklammert wird.
    Das Angebot unserer Parteien ist vergleichbar geworden mit dem Warenangebot in der DDR: Friss oder stirb! Alternativen gibt’s nicht. Die einen wollen mehr Staat, die anderen auch. Und die FDP Ausnahmen nur für Ihre Klientel. Niemandem kommt dabei in den Sinn, daß Geld für Staat, Behörden, Kinderbetreuung, Umweltauflagen, Straßenbau usw. usf. erst mal verdient werden muss und das wird für „die Masse“ zunehmend schwerer. Die SPD und die Grünen interessiert das anscheinend überhaupt nicht, denn die haben anscheinend alle ihr Einkommen (die Schublade scheint nicht unberechtigt: nach BAT bzw. TVÖD) als Funktionsträger.
    Ich habe selber lange genug dazugehört und weiß wie sich Mentalitäten dort entwickeln. Nein, ich möchte mich mit meinen bescheidenen Beiträgen hier nicht rächen – ich habe nur das Gefühl, so, wie es jetzt läuft, funktioniert es nicht. Die Politik (aller Parteien) ist von Gestern: Es ist abzusehen, daß das, was verteilt werden kann, weniger wird, denn die „Grenzen des Wachstums“ sind weniger ökologischer, sondern ökonomischer Natur. Was auch jeder ahnt: Gewinne des einen am Finanzmarkt gehen immer mit Verlusten des Anderen einher. Mit der bekannten (langfristigen) Folge nach Matthäus: Wer hat, dem wird gegeben. Verluste später (über Inflation) sozialisiert. Nur Produktion und Wachstum haben in der Vergangenheit eine gerechte Verteilung des erwirtschafteten Vermögens über Teilhabe an der Wirtschaft ermöglicht. 60% der deutschen Exporte gehen aber in die EU – was ist also zu erwarten? Es ist also dringend nötig, neue potentielle Wachstumsmärkte zu identifizieren:
    – Afrika? – kaum Chancen, die Angebote sind insgesamt zu hochschwellig, auch wenn dt. Produkte nach wie vor einen hervorragenden Ruf haben. „Der Chinese“ macht’s daher
    – Südamerika? – vielleicht, aber z.B. Brasilien baut gerade eine eigene vergleichbare Industrie auf
    – Indien? – dt. Großindustrielösungen passen dort nicht
    – China,Südost-Asien? – Luxusautos
    – Ansonsten? – Kampf um % oder Promille Marktanteile bestimmter Firmen

    Wovon wollen wir (kleinen) in Zukunft leben?

    Bis dato läuft ein verschärftes „Weiter so“ und das ist das Verbrechen an unseren Kindern, die wir auf unzulänglichen Unis mit einerseits zu theoretischer und andererseits zu flach-spezialisierter Batchelor&Master – Organisation mit Credits-Hürdenlauf und späteren unbezahlten Praktika intellektuell entmündigen und abrichten (zu Harz-IV-Bezug oder „bedingungslosem“ Grundeinkommen?). Politisch gestritten wird über Sexismus, einen Bahnhof und die Gefährdung des Juchtenkäfers, sowie über unseren „CO2-Fußabdruck“, die entscheidenden Beschlüsse erfolgen aber auf „subsidiärer“ Ebene, also keineswegs legitimiert. Fachkräftemangel? Geschi…! Ich kenne zuviele Ingenieure, Uni-Asolventen mit Depressionen und Harz-IV-Bezug, erhalte zuviele verzeifelte Bewerbungen von (jungen, alte bewerben sich schon gar nicht mehr..) Maschinenbauern, die ich als Freiberufler natürlich nicht einstellen kann. Alles, damit bestimmte Grossfirmen „die Auswahl“ haben?

    Ja, wie gesagt, in der Altenpflege, dem „Zukunftsproblem, fehlen Fachkräfte chinesische oder polnische Pflegehelferinnen (die Ausgebildeten sind bekanntlich in der Qualitätssicherung gebunden) weil unsere Familien – warum auch immer – nicht in der Lage sind, ihre Alten zuhause zu behalten. Achgut.de – Autoren sagen natürlich in weltfremder Manier: Im Zweifelsfall selber schuld. Merkt eigentlich keiner mehr (auch die Autoren dort nicht) welcher Entmündigungsmaschinerie wir ausgeliefert sind?? Und dann selber schuld? „Schleckerfrauen“ in die Altenpflege? Von welcher geballten Inkompetenz und Realitätsferne werden wir eigentlich (natürlich alternativlos) regiert? (Natürlich könnten einige davon in die Altenpflege, wenn bestimmte Tugenden (sic!) und Eigenschaften nicht aberzogen worden wären, aber das ist ein anderes Thema.) Wohl derweil schlimmer als Marie Antoinette , unsere Supermammi.

    Also: Wovon wollen wir in Zukunft leben?

    Der Markt von dem ich sprach, läge vor unseren Füßen: Wenn nicht das Land, die Dorfentwicklung (ja, so nannte man das früher mal) durch Denkmalschutz, Umweltauflagen, Behördenwillkür und Partikularinteressen weiter in den Ruin gewirtschaftet würde. Wo sind sie, die Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer dezentral von zuhause aus arbeiten lassen? Wo ist die Manufaktur, die ihre Edelprodukte im Wohngebiet produzieren darf? Weswegen muss jedes alte Gemäuer, auch wenn es schon Jahre leersteht, denkmalgeschützt werden?
    Ach ja, ich vergaß ja, in welchem Land ich lebe..

    Danke für den Platz, den ich hier vollschreiben durfte.

  2. avatar

    Die unpolitische SPD und der passende Kandidat. Um die Eurokriese zu lösen, werden wir Sparschweine schlachten müssen. Entweder wie in Zypern die kugelrunden Sparschweine der Kapitalbesitzer, oder es sind die noch ungeworfenen Sparschweine der Steuerzahler (der künftigen Kapitalbesitzer) oder sonst eines. Wachstum wird die Probleme nicht lösen können, sonst würden wir den Markt mit Geld fluten, da herrscht in Deutschland breiter Konsens (ist ja nicht schlimm, man darf auch anderer Meinung sein). Also wäre es ein prima Wahlkampf zu sagen, wessen Sparschwein gegrillt wird. Und dann können (könnten) wir streiten. Dazu müssten wir Gruppen nennen, sei es Vermögenssteuer (die was haben), Steuer (die was verdienen), Mehrwertsteuer (alle), Transfer (Hartzer), etc. Wenn wir die Schulden nicht weginflationieren (Konsens), dann wird jemand weinen müssen und jemand wird sich freuen. Selbst auf der Basis dieses Konsenses gibt es noch genug Platz für Unterschiede. Bei einer Wahl wollen wir doch über so was entscheiden – oder? Die SPD-Debatte über die Vermögenssteuer spricht Bände: reicht das Sparschwein um auch nur ein Problem zu lösen? Nein, also welches schlachten wir noch?

  3. avatar

    Herr Kocks, ich muss mit Ihnen meckern, mir ist das deutlich zu meckerig. Kann man es Ihnen irgendwie recht machen? Oder praktizieren Sie hier, in Konsequenz Ihrer Thesen, angewandte Politik, bei der ja offenbar alles egal ist, Hauptsache man ist dagegen (Dissens)?

    Lässt man es so wie früher (Mutti kocht, die Schule ist mittags aus), ist es falsch; macht man es anders als früher (Homo-Ehe), ist es auch falsch. Vergiftet man die Umwelt/Natur/Wale, ist es falsch, unterstelle ich mal; sorgt man für ein Umweltbewusstsein, damit das nicht passiert, ist es womöglich sogar noch falscher („Öko-Dusel“).

    Diese pauschale Abwehrstellung gegen alle Umweltpolitik u. -pädagogik halte ich für besonders damlich, weil das jeder glaubt kritisieren zu müssen, aber wenn dann irgendwo Gift auftaucht und Schädigungen verursacht, fragen alle wie aus den Wolken gefallen, wie das hatte kommen konnte.

    Außerdem: Merkels Politikstil ist keine Unpolitik, sondern ausgesprochen politisch, denn sie hat noch immer die Macht, und es sieht nicht danach aus, als würde sich daran demnächst etwas ändern. Leider.

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    Wie fast immer: Gut gebrüllt, starker Tobak für starke Löwinnen und Löwen. Nur das „Ende der Politik“ würde ich ganz anders definieren. Es ist dort zu befürchten, wo die Kunst des Sich-Durchwurstelns und der Kompromiss nicht mehr gelingen. Man kann den Merkelschen Politikstil auch anders sehen: Immer dann mutig und entschlossen, wenn tatsächlich eine Chance besteht, neue Mehrheiten zusammenzuschmieden – z.B. für die Energiewende nach Fukushima…

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