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Kein Alkohol ist auch keine Lösung

Für den Weltfrieden wäre eine Menge getan, wenn einschlägige Religionen ihr Alkoholverbot überdächten. Man schaue nicht nur auf den Islam, auch das Christentum hatte seine Irrungen in der Frage. Die Mäßigungs-Bewegung („temperance“) zu Beginn des letzten Jahrhunderts ging von moralisierenden Christen, namentlich Pietisten und Methodisten, aus. In den USA brachten sie das Organisierte Verbrechen an die Macht, in den Morgenländern nähren sie bis heute den Radikalismus. Allzu nüchtern wird der Mensch zum Tier.

Nun muss man mit Alkoholgenuss ja nicht gerade die Weihnachtsmärkte und das Glühweinunwesen in Verbindung bringen. Dessen Gefahren sind seit der Antike aktenkundig. Der im Alten Rom als Tiberius bekannte Claudius Nero, ein exzessiver Glühweinsäufer, wurde öffentlich als „Biberius Caldo Mero“ verspottet. Er trank warmen (caldo) Mischwein (vinum merum), genauer gesagt einen Tresterwein (sprich Grappa), der durch die Zugabe von Süßweinen (späte Reben, über Jahre gekeltert) und Honig dem Zeitgeschmack angepasst wurde. Süß und warm, das kann nicht gut gehen.

Der in allen Dingen vorbildliche Cato der Ältere, genannt der Zensor, empfahl pro Tag und Kopf einen Liter kalten Weins (Zusatz, wenn vorhanden Schnee oder Eis, ansonsten Wasser), für fleißige Sklaven einen halben, bei Frauen riet er wegen des bekannten Hangs zur Maßlosigkeit ganz ab. Da war er eben ein Kind seiner Zeit. Jedenfalls kalt und „austerum“ (herb). Und Diktatoren, das wusste Cato, werden zum echten Problem, wenn sie auch noch Asketen sind. Was man Nero so nicht vorwerfen konnte, Hitler schon.

Von der Prohibition auf alles, was wirklich Spaß macht, in den Dekaden zu Anfang des 20. Jahrhunderts sind heutzutage nur die sogenannten „Volksdrogen“ ausgenommen. Bei diesen Volksdrogen ist man dabei, uns das Nikotin ganz zu nehmen, beckmessert am Alkohol und bietet nur noch das Koffein, freilich zu Preisen, die dem Markt für Opiate entsprechen und mit einer mysteriösen weißflüssigen Verunreinigung namens „latte“. Das Ende des Tabaks beschleunigt die Gesundheitspolitik in ganz Europa, selbst von Australien wird dieser politische Wahnsinn  gemeldet.

Im Zug nach Berlin treffe ich in der Ersten Klasse eine in Braunschweig zusteigende SPD-Bundestagsabgeordnete, nennen wir sie Carola. Eine intelligente, unterhaltsame und gut aussehende junge Frau, die sich darüber empört, dass das Mitgliedermagazin der SPD namens „Vorwärts“ Anzeigen von Tabakkonzernen druckt. Genau hier ist das Problem: Sie sind so besorgt um die Volksgesundheit, dass sie die Demokratie aus den Augen verlieren. Ich versuche zu erklären, dass es das Wesen einer freien Presse sei, dass in Anzeigen alles stehen dürfe, was derjenige, der sie bezahlt, zu sagen wünscht. Das findet sie nicht , nicht wenn es um die Volksgesundheit geht. Da muss man auch über Zensur nachdenken wollen, im Interesse der Menschen. Lieber gesund als frei!

Mit fehlt der Mut, sie nach dem Tabak-Bann auch noch auf die friedenssichernde Wirkung von Alkohol anzusprechen. Glühweinstände in Jerusalem, Winzerfest in Teheran, Whiskyverkostung in Kairo? Humor ist nicht das Ding der Gesunden und Nüchternen. Vor einem halben Jahr hat sie mir erklärt, dass Solarien nur noch von Erwachsenen benutzt werden dürfen. Und das auch nur, weil sie bei Erwachsenen keine Handhabe haben, das Verbot durchzusetzen. Eine gewisse Geneigtheit könnte ich allenfalls erreichen, so schätze ich das angesichts ihres Temperaments ein, wenn ich sie auf Cannabis anspräche.

Morgens ein Joint und der Tag ist dein Freund. Verhandelbar? Aber es geht mir ja um’s Prinzip. Ich habe niemandem ein Mandat für Zwangsmaßnahmen zur Volksgesundheit gegeben; in der Verfassung steht davon auch nichts. Woher also nimmt sich die Politik das Recht, mir bis in kleinste Details vorzuschreiben, wie ich zu leben (oder zu sterben) habe? Auch eine Diktatur der Gesunden ist eine Diktatur.

Carola erzürnt schon der Begriff „Volksgesundheit“, nachdem ich sie gefragt habe, ob sie nach der Wahl Volksgesundheitsministerin werden will. Sie findet, das klinge nach Drittem Reich. Es ginge schließlich um (jetzt Achtung, es folgt ein wertfreier Fachbegriff) „public health“. Großartig! Und was genau heißt das anderes als Volksgesundheit? Diese Politik definiert bis tief in die persönliche Freiheit hinein, was denn das Allgemeinwohl zu sein habe. Bei Delinquenz droht fürsorgliche Zwangsernährung. So etwas als Demokratie denken, das können, sagen wir es offen, nur Nüchterne. Schon ein kleiner Scotch würde historische Assoziationen auslösen, die nun wirklich niemand wollen kann.

Frei wollen wir leben, zur Not auch gesund. Darauf sollten wir Sylvester anstoßen. Aber lassen Sie sich nicht  ins Geld treiben. Der unerträgliche Billy (sic) Wagner aus dem Berliner Rutz an der Chausseestraße empfiehlt für die berühmte Mitternacht eine Cuvée Fidéle Extra Brut aus der Champagne von Vouette & Sorbee zu 65 €. Wagner ist ein lautsprechender Schwätzer, der durch seine impertinenten Belehrungen ein Dinner im ohnehin affektierten Rutz zur Touristenattraktion macht – und zur Qual aller Rechtschaffenden, die sich hierhin verirrt haben. Wir folgen der Empfehlung der feingeistigen Sommelieuse aus dem soliden Berlin Horvath und nehmen einen 2008 Rieslingsekt Heiligenstein vom Weingut Steininger. Kostet die Hälfte, macht genauso schicker.  Prost Neujahr!

 

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14 Gedanken zu “Kein Alkohol ist auch keine Lösung;”

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    @ alle Dram-Addicts 😉

    Und wenn jemand die Eichenschwellen mit einem Torffeuerchen flambiert hat, ist es Lagavullin …

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    What the doctors order for 2013: Dr.James D.Watson (double helix DNA/DNS): Question to Dr. Watson and to Dr. Timothy Francis Leary (psychologist): „What do you recommend against getting old? “ Dr. Watson: „STAY AWAY FROM OLD PEOPLE!“. —Dr. Leary: „AVOID TERMINAL ADULTHOOD !“ (Adulthood = „Erwachsensein“). —Am 1.Januar mit seiner Hochwuerden dem Herrn Kardinal zum klassischen Konzert mit den Philharmonikern: Sieh VARGAS TERCER MOVIMIENTO .

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    @Allan Posener

    @ Moritz Berger: Laphroiag: Großartig. Schmeckt wie Eisenbahnschwellen auf gebuttertem Toast

    Es sind Eisenbahnschwellen aus Eiche 🙂

    Nehmen sie das nächste Mal den Laphroaig (18 Jahre) 48 % vol.

    oder diesen, falls Sie einen der Sammler treffen:

    http://www.laphroaigcollector.com/signsub07.htm

    Aber Sie wissen ja “ Medizin “ schmeckt nie gut 🙂

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    @Alan Posener: Ich weiß nicht, wie Eisenbahnschwellen auf gebuttertem Toast schmecken. Mich erinnert er an Desinfektionsmittel (insb. Hansaplast-Pflaster auf einer Wunde): Laphroiag ließ sich – angebl. – zu Zeiten der Prohibition legal in die USA einführen, weil sich die Zöllner davon überzeugen ließen, dass es sich um Medizin handle. Außerdem salziges Meer, süßes Malz und torfiger Rauch. Jedenfalls großartig.

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    ach ja, manche zusammenhänge erschließen sich eben nüchtern nicht, weil die synapsen sich unter trockenheit anders verknüpfen. unbedingt lesen! die sprache des mündigen mannes. ich empfehle dazu einen phelan segur 2009, der schon sehr trinkbar ist, trotz jugendlichem alters

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    @ Moritz Berger: Laphroiag: Großartig. Schmeckt wie Eisenbahnschwellen auf gebuttertem Toast.
    @ Jean-Luc: Mir hat KD einen relativ guten Champagner geschenkt, danke der Nachfrage. Nicht Bollinger, leider, aber Bollinger-Klasse.

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    Na denn Prost. Bei uns reicht es voraussichtlich nur zu einem Villa Gutenberg Rheingau Riesling Brut vom Weingut Richard Nägler, 7,90 EUR, aber der schmeckt mir auch. Und natürlich den üblichen 10 Jahre alten Laphroiag – keine 30 Euro die Flasche, aber unerreichbar. Da kommt man schnell vom Grübeln ins Rutschen. In diesem Sinne auch an alle anderen hier: guten Rutsch!

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    Cher M. Posener,

    war es denn wenigstens ein Bollinger?

    oder hat es nur zu einer Veuve Aldi oder Veuve Lidl gereicht??

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    Ach, und: Alkohol in Jerusalem? Kein Problem. Vielleicht nicht gerade Glühwein, aber auch den kriegen Sie zur Not vermutlich beim Österreichischen Hospiz.

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    Ich köpfe zu Sylvester die Flasche Champagner, die mir Kai D. als Abschiedsgeschenk vor seinem Amerika-Trip vorbeibrachte.

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