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Gesicht zeigen! Wider die Kultur des Anonymen im Netz

Vor einem Jahr veröffentlichte ich in der „Welt am Sonntag“ einen harmlosen Artikel über die Stuttgarter Wutbürger, die den geplanten unterirdischen Bahnhof zum Teil mit rabiaten   Mitteln bekämpften. Ich riet ihnen zu mehr Gelassenheit und legte  ihnen als Vorbild ihren schwäbischen Landsmann, Dichter und Pfarrer Eduard Mörike („Doch in der Mitten / Liegt holdes Bescheiden“) ans Herz.

Es gab die üblichen Leserbriefe, die in der Printausgabe der Zeitung abgedruckt wurden.  Pro und Kontra, schön ausgewogen, argumentativ und gemäßigt  im Ton. Ganz anders in den Kommentareinträgen der Online-Ausgabe. Die Spalten quollen über vor Hasstiraden, wüsten Beschimpfungen. Ein Leser drohte mir Schläge an, sollte ich jemals wieder Stuttgarter Boden betreten. So lernte ich  den Unterschied zwischen offenem Visier  und Vermummung   kennen. Die Anonymität im Netz gebiert Ungeheuer, könnte man frei nach  Goya sagen. Niedrige Instinkte werden frei gesetzt, wenn  die soziale Kontrolle, die mit der Preisgabe des Klarnamens  einher geht, wegfällt.

Im Schutz der  Anonymität können sich  die Gemüter einer erregten Netzgemeinde so stark aufheizen, dass es zu Lynchdrohungen gegen Unschuldige kommt. Vor einigen Wochen wurde in Lübeck ein 18-jähriger Schüler zu zwei Wochen Jugendhaft verurteilt, weil er in seinem Facebook-Profil geschrieben hatte: „Lass uns das Schwein tothauen!“ – Gemeint war ein junger Mann, den die Polizei kurz zuvor verhaftet hatte, weil sie ihn für den Mörder eines 11-jährigen Mädchens hielt. Die Polizei gestand kurz darauf ihren Irrtum ein und setzte den zu Unrecht Verhafteten wieder auf freien Fuß. Später wurde dann der tatsächliche Mörder in Haft genommen. Die für Internetkriminalität zuständige Ermittlungsbehörde ermittelte über die IP-Adresse den Schüler und erhob Anklage wegen des Aufrufs zu einer schweren  Straftat.

Am gefährlichsten sind die  Anonymen, wenn sie   im Schwarm auftreten.  Schwarm-Intelligenz   befördert  dann das Böse. Die Hacker der Gruppe „Anonymous“ bekämpfen  ihren Lieblingsfeind  mit  Cyber-Waffen, die sie virtuos beherrschen.  Sie attackieren Web-Seiten von Regierungen, vornehmlich die des Weißen Hauses, von verhassten Institutionen wie dem FBI und von Konzernen der Musikindustrie oder der GEMA. Mit Millionen von Mails, die sie auf die Web-Seiten versenden, legen sie diese lahm. Bei solchen Aktionen können die  Anonymen  mit der klammheimlichen Freude der Internet-Gemeinde  rechnen. PC-Zeitschriften ermittelten in Umfragen  bei  ihren Lesern eine Sympathie-Rate von bis zu 67 %.

Eine besonders perfide Aktion startete „Anonymous“ vor einigen Wochen gegen die Schriftsteller und Autoren, die den Aufruf „Wir sind die Urheber. Gegen den Diebstahl geistigen Eigentums“ ins Netz gestellt hatten. Die Anonymen veröffentlichten die  Namen, Adressen und Telefonnummern der Initiatoren dieser Initiative, und nicht nur das: Sie veröffentlichten auch die persönlichen Daten ihrer Familienangehörigen. Im Klartext sollte das heißen: Wir wissen, wo ihr wohnt, und die Netzgemeinde weiß es jetzt auch! Wir können euch jederzeit attackieren, nicht nur im Netz, sondern auch real. Menschen öffentlich zu brandmarken  und zu nötigen markiert einen Rückfall in  mittelalterliche Strafphantasien.

Die Fanatiker mit der  weißen Maske sind vielleicht noch  zu jung, um zu wissen, dass diese Aktion ein berüchtigtes Vorbild hat. Als Joseph Goebbels im Jahre 1926 von Adolf Hitler zum Gauleiter von Berlin ernannt wurde, begann er systematisch, das öffentliche Leben mit radikalen, vor allem gegen die Juden gerichteten Aktionen zu vergiften. Eine Aktion bestand darin, dass die NSDAP die Namen und Adressen reicher jüdischer Bürger Berlins in ihren Parteizeitungen veröffentlichte und ihre Anhänger  dazu aufrief, einen „Villen-Spaziergang“ zu machen. So zogen grölende SA-Trupps an den Villen im Grunewald und am Wannsee vorbei und beschmierten die Zäune und Tore mit NS-Parolen. „Wartet nur, wir kriegen euch!“, sollte das heißen.  Nur wenige Jahre später sollten die Drohungen Wirklichkeit werden. Die Juden wurden entrechtet und  aus dem öffentlichen Leben verbannt. Am Ende dieses Prozesses stand ihre  Vernichtung in Auschwitz.

Die  Psychologie hat  den Effekt anonymen Handelns gut erforscht. Im Jahre 1961 führte der amerikanische Psychologe Stanley Milgram ein Experiment durch, dessen Ergebnisse die Öffentlichkeit erschütterten. Freiwillige, meistens Studenten, sollten als „Lehrer“ einem „Schüler“, der von einem  Schauspieler gespielt wurde,  bei Fehlern  in  einer grammatischen Übung  elektrische Schläge versetzen. Bei jedem Fehler sollte der Stromschlag um 15 Volt erhöht werden. Das Ergebnis war eine hohe Bereitschaft zur Bestrafung  mittels Elektroschocks. Das Motiv war Gehorsam. Wenn zwischen „Lehrer“ und „Schüler“ eine räumliche Nähe bestand, waren 30 % der Versuchspersonen bereit, bis zur höchsten Stromstärke zu  gehen. Wenn der „Schüler“ für den „Lehrer“  weder zu sehen noch zu hören war, gingen 65 % der Probanden bis zur Höchstgrenze. Dies zeigt eindrücklich, dass  Anonymität  zivilisatorische Schranken einreißt und  zur Brutalisierung und Entmenschung beiträgt.

Im Krieg kann man ähnliche Erfahrungen machen. Die Piloten der US-Air Force hatten wenig Skrupel, als sie  aus  großer Höhe   die Atombomben  über Hiroshima und Nagasaki  ausklinkten, die innerhalb weniger Minuten 90.000 Menschen töteten. Hätten sie die gleiche Anzahl Menschen mit einem Maschinengewehr aus nächster Nähe  töten müssen, hätte sich die  natürliche Tötungshemmung des Menschen mit Sicherheit  zu Wort gemeldet.

Das zivile  Leben in unserer Gesellschaft ist auf Transparenz angelegt.  Kennzeichnungspflichten helfen, mögliche Gefahrenquellen zu minimieren. Autokennzeichen erlauben es, Verkehrssünder zu identifizieren. Dass  Imbiss-Buden  registriert werden müssen, ermöglicht  es den Behörden, Hygiene-Kontrollen durchzuführen. Vor einigen Jahren wurde das Vermummungsverbot bei Demonstrationen eingeführt, weil aus dem Block der schwarz Vermummten heraus schwere Straftaten verübt worden waren.  Im Gegenzug erhielten Polizisten Kenn-Nummern, um auch gegen sie besser ermitteln zu können, wenn sie das Gesetz gebrochen haben. In den meisten europäischen  Demokratien gibt es ein Verbot der Ganzkörperverschleierung von Frauen (Burka). Zur Demokratie und zur aufgeklärten Zivilgesellschaft gehört das offene Visier, das freie Gesicht. Nur im Schattenreich des Internets sind die Geister (noch) anonym unterwegs. Warum eigentlich? Die Anonymen  pochen auf dieses Ausnahmerecht, weil es sich um ein neues Medium handelt. Doch kann man die Humanitas einer Gesellschaft, das friedliche Miteinander der Menschen  von der technischen Entwicklung abhängig machen? Ich glaube: Nein!

Seit einiger Zeit macht eine neue politische Partei in unserem Land Furore, die sich die Transparenz auf ihre Piratenflagge geschrieben hat. Politische Entscheidungsprozesse sollen durchsichtig,  die Besprechungen politischer Gremien  öffentlich übertragen werden. An die Heilige Kuh der Anonymität im Netz wagen sich die mutigen Freibeuter freilich nicht heran. Da soll alles schön intransparent bleiben. Das kann allerdings fatale Folgen für die Piraten selber haben. In Baden-Württemberg mischen sich heimlich  Waffenlobbyisten unters Piratenvolk, um die Partei im Sinne der Legalisierung von Schusswaffen zu beeinflussen. Wer sind die Waffennarren? Wie heißen sie mit Namen? Fehlanzeige! Sie nutzen den Schutz der Anonymität und die Piraten finden gar nichts dabei, dass sie so von falschen Freunden unterwandert werden.

Es wird Zeit, dass sich die Zivilgesellschaft auf ihre humanen Grundlagen besinnt. Es sollte selbstverständlich werden, dass  sich alle Menschen, die  im öffentlichen Raum  real  oder virtuell   miteinander kommunizieren, mit offenem Visier begegnen.  Deshalb: Gesicht zeigen!  Bis sich der Gesetzgeber bemüßigt fühlt, in diesem Sinne regulierend einzugreifen, könnten die großen Zeitungen und Zeitschriften ein Zeichen setzen und  die Kommentarspalten zu ihren Artikeln nur noch für die Leser öffnen, die ihren Klarnamen preisgeben.

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16 Gedanken zu “Gesicht zeigen! Wider die Kultur des Anonymen im Netz;”

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    Hallo Kersin,
    Sie haben recht. Natürlich gibt es Vergleiche zu dem Bloßstellungs-Terror im Netz, die näherliegend sind als mein NS-Vergleich. Sie waren mir nur nicht so präsent wie Ihnen, weil ich eine westliche Sozialisation hinter mir habe. Aber danke für die interessaten Hinweise.
    Zu Th. Bonk: Ich will gerne noch auf ein häufig vorgetragenes Argument eingehen. Für mich die Angst einiger Schreiber, die sie vor einem Öffentlichwerden ihrer Meinung und ihres Namens haben, nicht nachvollziehbar. Problematisch sind doch nur Äußerungen, die zu einer Straftat aufrufen, weil sie justiziabel sind und deshalb verfolgt werden können, aber doch keine Meinungsäußerungen zu den Themen, die wir hier in diesem Blog diskutieren. Also etwas mehr Bekennermut vor Königsthronen, um mit Friedrich Schiller zu sprechen.
    Rainer Werner

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    @Rainer Werner: Als Ergänzung, da ich ja geschrieben hatte, dass ich in der DDR lebte. Weitere Beispiele für ähnliche Strategien kann man auch auf der Webseite der BSTU finden, man muss nicht nur auf die Zeit vor 1945 schauen.

    Politischer Terror in der DDR:

    „Zermürben und Zerbrechen“ Zersetzungsstrategien gegen Andersdenkende in der SED-Diktatur (Quelle: http://www.bstu.bund.de/DE/Pre.....ov_03.html)

    Erich Loest Im November 1957[2] wurde Loest wegen angeblicher „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ im Zusammenhang mit Diskussionen über die Entstalinisierung verhaftet und anschließend zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. … 1979 geriet er erneut in Konflikt mit der DDR-Staatsführung, als er sich mit anderen Autoren gegen die Zensur in der DDR engagierte. Loest wurde in der DDR derart massiv von der Stasi überwacht und behindert, dass ihm nur der Weg der Ausreise (mit einem Dreijahresvisum) in die Bundesrepublik blieb. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Loest)

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    @Rainer Werner: Sie schreiben: „Die Anonymität im Netz gebiert Ungeheuer, könnte man frei nach Goya sagen. Niedrige Instinkte werden frei gesetzt, wenn die soziale Kontrolle, die mit der Preisgabe des Klarnamens einher geht, wegfällt.“ Für mich gebiert nicht die Anonymität Ungeheuer, sondern eine mangelnde Kinderstube, Ideologie und der Glaube straffrei auszugehen. Eine mögliche Strafe könnte sein, hetzende und beleidigende Kommentare eben zu löschen. Wer Meinungsfreiheit will, sollte argumentieren.

    Sie schreiben: Am Ende dieses Prozesses stand ihre (Anmerkung Juden) Vernichtung in Auschwitz. . Persönlich verurteile ich natürlich, dass persönlichen Daten, von Personen und deren Angehörigen, die sich zu politischen Themen äußern, veröffentlicht werden. Ist es nicht gerade ein Hinweis eben nicht mit Klarnamen aufzutreten, sofern es nicht zum Beruf gehört. Wer schützt mich als Privatperson gegen mögliche Angriffe?

    Warum Ihr Verweis auf Auschwitz? Ich glaube, dass das einer Diskussion nicht dient. Und wenn Sie schon einen Nazi-Vergleich brauchen, dann hätte es meines Erachtens ein Verweis auf die Verfolgung von Andersdenkenden während der Zeit des Nationalsozialismus auch getan.

    Politischer Terror 1933–1934
    Drei Wochen nach dem Reichstagsbrand entstand das Lager Dachau. Am 21. März 1933 gab Himmler, seit zwei Wochen als kommissarischer Polizeipräsident von München im Amt, in einer Pressekonferenz die Errichtung eines politischen Konzentrationslagers bei Dachau bekannt.
    (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Dachau)

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    @Rainer Werner: Zunächst möchte ich Ihnen gestehen, dass ich gerne anonym schreibe und ausschließlich auf diesem Blog. Im Allgemeinen vermeide ich jede Öffentlichkeit. Außerdem hätte ich nie glaubt, dass ich überhaupt so etwas machen kann und so lange durchhalten würde. Wie ich schon öfter schrieb, bin ich in der DDR aufgewachsen, ich denke, auch dadurch habe ich ein anderes Bedürfnis des Schutzes der Privatsphäre. Die Seele vergisst nichts.

    Zu Ihrem Text: Persönlich ist es mir ein Rätsel, wie Sie in einem Text schreiben können: Am Ende dieses Prozesses stand ihre (Anmerkung Juden) Vernichtung in Auschwitz. und zwei Absätze später: Hätten sie die gleiche Anzahl Menschen mit einem Maschinengewehr aus nächster Nähe töten müssen, hätte sich die natürliche Tötungshemmung des Menschen mit Sicherheit zu Wort gemeldet.

    Wo war in Auschwitz und beim Massaker von Babyn Jar http://de.wikipedia.org/wiki/Babyn_Jar die natürliche Tötungshemmung des Menschen? Gab es dort keine Nähe?

    jan z. volens: Ja, wunderbar: DOMINGO VILLAZON NETREBKO DEIN IST MEIN GANZES HERZ
    Dann habe ich tatsächlich nach dem Texter gesucht.: Fritz Löhner-Beda http://de.wikipedia.org/wiki/F.....6hner-Beda. Ermordet in Auschwitz.

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    @ Rainer Werner

    Es ist sehr traurig, dass Sie hier in keiner Weise auf die Argumente der Kommentatoren eingehen und lediglich Sgt. Pepper herausgreifen um sich selbst zu vergewissern. Nichtbeachtung kann auch eine Form von Beleidigung sein oder es der Beleg dafür, dass man mit seiner Argumentation am Ende ist.

    Th. Bonk

  6. avatar

    Schade, m, dass Sie sich wieder vom Gedankenaustausch im Netz verabschieden wollen. Sie wären eine echte Bereicherung, da Sie sehr differenziert argumentieren.
    Das kann man von Sgt. Pepper nicht behaupten. Sein Beitrag ist beleidigend („Sie sind ein feiger Schwätzer“). Er bestätigt im Grunde mein Anliegen und meine Arumentation: Anonymität führt zum Verfall des Anstands, weil sie es ermöglicht, niedrige Instinkte auszuleben, ohne die Haftung dafür übernehmen zu müssen.

    Rainer Werner

    PS: Dass mein Beitrag nur mit „werner“ überschrieben war, ist ein Versehen, das bei der Einstellung des Beitrags geschehen ist. Es ist ein Klarname, nur ein unvollständiger.

  7. avatar

    In den seltenen Fällen, in denen ich mich überhaupt an Internet-Diskussionen beteilige (siehe dazu unten), ziehe ich ebenfalls ein Pseudonym vor.

    Klarstellen möchte ich allerdings, dass die oberste Maxime für meine Beiträge lautet: Schreibe so, dass Du Inhalt und Tonfall Deiner Formulierungen auch jederzeit in realen Interaktionssituationen vertreten KÖNNTEST. Dies ist für mich primär eine Frage des Anstandes und somit selbstverständlich – und zwar völlig unabhängig davon, dass man sich (wie mein Vorredner schon schrieb) seiner Anonymität im Internet nicht allzu sicher sein sollte.

    Wer den Vergleich mit realen Interaktionssituationen heranzieht, um sich generell gegen Anonymität im Internet zu positionieren, übersieht in meinen Augen einen ganz wesentlichen Punkt:

    Bei einem Meinungsaustausch mit guten Freunden oder Bekannten kann ich in der Regel selbst wählen, welchen Personen ich meine Meinung zugänglich mache und wenn es wirklich GUTE Freunde sind, kann ich zugleich auch darauf bauen, dass die beteiligten Personen zum einen die Quintessenz solcher Diskussionen für sich behalten und mich zum anderen gut genug kennen, um meinen Standpunkt richtig einzuordnen.

    Eine Meinung, die ich in einem Internet-Diskussionsforum veröffentliche, wird dagegen allerhöchstwahrscheinlich primär von Personen zur Kenntnis genommen, die nichts als diese eine Meinung von mir kennen und bei denen ich mich ausdrücklich NICHT darauf verlassen möchte, dass sie mir wohlgesonnen sind. Im Ergebnis kann ein solches Posting dann sehr schnell eine nicht vorhersehbare und vor allem auch: nicht intendierte Eigendynamik entwickeln.

    Die Rahmenbedingungen für eine völlige Aufhebung von Pseudonymen in Online-Diskussionen sind in meinen Augen erst dann gegeben, wenn sich auch im Internet ein Geist etabliert hat, der eine entsprechende Forderung eigentlich überflüssig machen würde (bzw. sie deshalb überflüssig machen würde, weil die Beteiligten sich auch trotz Anonymität an eine gewisse Nettiquette halten.)

    So lange dieses Dilemma nicht gelöst ist, halte ich es geradezu für fahrlässig, im Internet allzu großzügig mit Realnamen etc. zu hausieren. Oder würden Sie z.B. jeder Zugbekanntschaft, mit der Sie in einen flüchtigen Meinungsaustausch getreten sind, Ihre Adresse auf die Nase binden bzw. als Unterschriftensammler in einer Fußgängerzone jedem vorbeikommenden Passanten Ihre Visitenkarte aufdrängen?

    Daher sehe ich das Hauptproblem der hier geführten Diskussion auch in der häufig leider unangemessen pauschalen Gleichsetzung von Menschen, die aus den von mir erläuterten GUTEN GRÜNDEN ein Pseudonym vorziehen mit verbalen Krawallmachern, die ihre (vermeintlichen) Anonymität dazu missbrauchen, Dinge zu tun, die sie im realen Leben nicht täten.

    Da ich es allerdings als persönliche Beleidigung empfände, mit der letztgenannten Spezies in einen Topf geworfen zu werden, habe ich für mich persönlich ohnehin die Entscheidung getroffen, mich nur in absoluten Ausnahmefällen überhaupt an Internetdiskussionen zu beteiligen.

    In diesem Sinne betrachten Sie bitte meinen Beitrag als quasi „einmaligen Ausrutscher“ :-).

    Beste Grüße

  8. avatar

    Ojeh, jetzt wird diese Sau also nochmal durch’s Dorf getrieben. Diskutieren wir demnächst dann nochmal die Sache mit den „Killerspielen“ und den Amokläufen?

    Zum Thema ist nun wirklich bereits alles mehrmals gesagt/geschrieben worden:
    Bei Straftaten (z.B. Drohungen gegen Leib & Leben) existiert keine echte Anonymität im Netz (zumindest nicht ohne erheblichen Aufwand) und diese können i.d.R. problemlos verfolgt werden (siehe das Bsp. im Text). Und was nicht strafbare Kommentare betrifft hat man hierzulande eben zum Glück das verdammte Recht, seine Meinung auch anonym zu äußern (egal ob schriftlich oder mündlich). Das mag ja manchmal unschön sein aber ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der z.B. jeder Personaler vor dem Bewerbungsgespräch nachprüfen kann, wo ich politisch stehe oder bei welchen Blogs & Foren ich angemeldet bin.

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    @karl
    Das Nazi Gesetz von Godwin gehört zu unseren denunziatorischen Hausmeistern dazu, weil sonst das moralinsaure Antifafäustchen in der Hosentasche keinen Druckausgleich hat.

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    Gowins Law, anyone? Einen Nazivergleich zu bringen, statt sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist natürlich auch nicht gerade die feine Art.

    Btw: „Werner“ ist übrigens kein aussagekräftiger Klarname.

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    Lieber Werner, sie sind ein feiger Schwätzer und das ist gut so. Wenn sie die „Zivilgesellschaft“ vertreten, dann zeigt das höchstens den miserablen Zustand unserer planwirtschaftlichen Restedemokratie mit diesen denunziatorischen Hausmeisterkreaturen die dieses Land stets über Gebühr beheimatet hat. Bei dem „Anonymus“ der Jagd auf CDU Doctores macht, sind Leute wie sie ganz angetan vom Schutz der Anonymität, bei anonymen Hackern, die Mail Konten knacken von allem was „rechts“ gilt , also einen Meter neben den CDU Sozialverbänden, da möchten sie Tapferkeitsmedallien verteilen, aber hier, wo nichts anonym ist, sondern die Damen und Herren von dem blog genau wissen wer hier schreibt, da machen sie Ritter von der traurigen Gestalt einen auf „Visier hoch!“

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    Lieber Werner,
    ich bin für meinen Lebensunterhalt leider leider auf Arbeit angewiesen. Früher konnte ich davon ausgehen, dass mein Arbeitgeber nicht weiß, was ich in politischen Diskussionen so vertrete, weil er einfach nicht dabei war. War er dabei, konnte ich ihn sehen und rechtzeitig die Schnauze halten. Heute muss mein Chef nur meinen Namen googeln um herauszufinden, ob ich links, schwul, Atheist oder sonst irgendwie in einer Art und Weise veranlagt oder eingestellt bin die ihm nicht passt. Die Anonymität im Netz ist für mich eine dringende Voraussetzung überhaupt meine Meinung sagen zu können. Und kommen sie mir jetzt nicht mit der moralisierenden Ermahnung, eine Meinung für die man nicht seinen Arbeitsplatz zu verlieren bereit sei, die sei ja gar nicht ehrlich.
    Gruß
    Der anonyme Herr Z.

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    als mir einmal in einem Blog-Thread ein als Geek bekannter mit-Diskutant mitteilte, ich solle beim nachts aus dem Haus gehen lieber vorsichtig sein, stellte ich fest, daß das meine Bereitwilligkeit, Israel-Bashern zu widersprechen doch für einige Zeit einschränkte.

    Ich habe keine Ahnung, was ein Begabter/Kundiger im Netz über meinen Wohnort rauskriegen könnte.

    Als ich in den 50ern in die Tanzstunde und zu Tanztees ging, galt es als vernünftig, einem Jungen nur dann zu sagen, wo man wohnte, wenn man wußte, mit wem er sonst so umging. Eine weise Regel und ich kann nicht sehen, was daran heute nicht mehr gültig sein sollte.

    Ich verdiene nicht mein Brot damit, öffentlich zu sein, ich habe also auch keine Verbindung zu Kreisen, die solche Drohungen irgendwie einschätzen können und ich habe auch keine Lust, mich nur auf Blogs zu tummeln, auf denen offenbar ausschließlich brave Bürger unterwegs sind.

    Darum bleibe ich so anonym wie ich es mit meinen kümmerlichen Netzkenntnissen hinkriege.

    Und wenn das einem Diskussionen zulassenden Veröffentlicher nicht passt, nun so muß er mich eben sperren. Habe ich kein Problem mit.

    Ich jedenfalls habe den dringenden Verdacht, daß es den Anti-Anonymern auch darum geht, ihr altes Monopol aufs Gelesen Werden zu verteidigen. Ich sehe die Probleme, die das Anonyme verursacht, doch ein Verbot, das für mich einer Abschaffung gleich käme, kann es ja nu wirklich nicht sein.

    Es sei denn, der Staat könne gleichzeitig garantieren, daß im Netz nur Chorknaben unterwegs sind, was bedeuten würde, auch alle Geeks zu sperren, die wissen, wie sie sich ein Alter Ego vorbei an was auch immer schaffen können.

    Die Anonymität im Netz ist ein hohes Gut, das Internationale des Netzes, daß ich mich mit Leuten von anderen Kontinenten unterhalten kann, ist ein hohes Gut. Und wenn mir jemand, der mir vertrauenswürdig schien, ne e-mail-Adresse gab, dann gab ich meine Anonymität freudig auf.

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    @ Martin Jander

    Erich Mühsam hat seine Meinung offen in der Weimarer Republik vertreten und wurde dann direkt nach der „Machtergreifung“ verhaftet und kurze Zeit später im „Konzentrationslager“ Buchenwald ermordet.

    Wer glaubt, Demokratien hätten kein Verfallsdatum, ist genauso naiv wie der, der glaubt, der Kommunismus würde siegen:

    http://www.youtube.com/watch?v=Hvg3ycprX44

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    Wir leben aber nicht un China, Nordkorea oder Syrien. Menschen, die hier ihre Anonymität verteidigen, tun dies offenbar, weil sie Furcht vor ihrer starken oder weniger starken Meinung haben. Diese Furcht ist es, die schon eine Beschaedigung der Demokratie darstellt. Eine Demokratie, die dem Meinungsstreit ausweicht, hoelen sich aus.

  16. avatar

    Nur kurz zu Emden:

    Ihr Beispiel zeigt:

    1. Dass „Anonymität“ im Internet meist eine Scheinanonymität ist, da der „Facebook-Lynchmobber“ ja letztlich identifiziert und verurteilt worden ist. Hier haben Polizei und Staatsanwaltschaft mittlerweile von der Politik komfortable Tools an die Hand gegeben bekommen, entsprechende Taten zu verfolgen;

    2. Wenn es um Straftaten „auf der Straße“ geht, zieht sich die Polizei aber immer weiter zurück, denn mir ist nicht erklärlich, wieso die Leute, die angeblich das Polizeirevier stürmen wollten und den fälschlich festgenommenen Jugendlichen lynchen wollten, wohl nicht strafrechtlich verfolgt worden sind.

    Vorsicht hier kommt ein Link auf die bild-online: http://www.bild.de/news/inland......bild.html

    3. Nicht nur der Fall im Emden, sondern auch der aktuelle Fall des falschen WG-Mordopfers zeigt, dass es im Zweifel sinnvoll ist, sich im Netz nicht „auszuziehen“, wo es nicht unbedingt notwendig ist.

    http://jetzt.sueddeutsche.de/t.....n-die-Bild

    4. Letztlich sollte jeder daran denken, dass jede Demokratie, auch die unsere eine brüchige ist. Niemand weiß, wie lange sie stabil bleibt. Niemand weiß, was nach ihr kommt. Wenn ich mir anschaue, was im real existierenden Sozialismus im Nationalsozialismus, unter Mao in China, in Afghanistan unter den Taliban oder wo und wann sonst auf der Welt mit Andersdenkenden umgegangen wurde und wird, sollte jeder selbst entscheiden können, welche Spuren und welche Meinungen er im Netz hinterlassen will.

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