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Vertrauen ist alles – ein Rückblick auf 2012

Der schwierigen Situation angemessen. Beruhigend, ohne die zahlreichen Probleme schönzureden. Meinungsstark, wo es geboten ist. Eine mögliche positive Perspektive skizzieren, doch dabei die vielen Unwägbarkeiten und Gefahren nicht außer Acht lassen. Überzeugend, würdevoll, staatstragend – so wie man es von einem Bundespräsidenten erwarten darf. Ja, der Weihnachtsansprache von Wolfgang Schäuble gebührt Lob, viel Lob. Da sind sich die politischen Beobachter am Ende des Super-Krisen-Jahres 2012 ausnahmsweise mal einig. Eine im besten Sinne des Wortes besinnliche Rede.

Ja, die große schwarz-rote Koalition hat richtig entschieden, als sie Schäuble zum deutschen Staatschef kürte. Weiterlesen

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Soldatenväter

Zuerst einige Zahlen: 17 Millionen Männer dienten in der Wehrmacht, fünf Millionen fielen oder wurden vermisst, drei Millionen kamen als Kriegsversehrte zurück. Bei Kriegsende waren elf Millionen deutsche Soldaten in Gefangenschaft, davon drei Millionen in sowjetischen Lagern. Viele kehrten erst nach Jahren heim.
Es ist klar, dass ein Krieg – und eine Niederlage – solchen Ausmaßes tiefe Spuren in dem zurücklassen müssen, was man leichthin die „kollektive Psyche“ nennt, die sich aber immer konkret äußert. Seit einigen Jahren ist die Journalistin Sabine Bode den psychischen Spätwirkungen des Zweiten Weltkriegs auf der Spur. Wäre man gemein, könnte man sagen: sie hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Ein Dutzend Interviews mit Leuten, die im O-Ton über ihre größeren und kleineren psychischen Probleme reden, verrührt mit einer Mischung aus Pop-Psychologie, Expertenkommentar und Betroffenheit, und fertig sind die Bücher. Weiterlesen
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Warum Angela Merkel Großbritannien braucht

Wer die Ursachen und Wirkungen der gegenwärtigen Krise Europas richtig einschätzen will, muss nur die Ohren und Augen offenhalten. Im Aufmacherleitartikel der „Zeit“ etwa feierte am 15. Dezember Bernd Ulrich die Beschlüsse von Brüssel mit folgenden Worten: „Das ist nicht weniger als eine Spaltung, freundlicher: eine Diversifizierung des Westens.Die USA haben den gegenteiligen Weg eingeschlagen, sie wollen weiter in die Schulden gehen. Wenn die Europäer das Versprechen halten, das sie sich gegeben haben, dann sind sie eine Systemalternative.“

Da Ulrichs zugleich für das Jahr 2050 einen „europäischen Machtraum entstehen“ sieht, „von Skandinavien bis nach Nordafrika, von Portugal bis Weißrussland, von Frankreich bis zur Türkei“ (hat er sich vielleicht von meinem Buch „Imperium der Zukunft“ inspirieren lassen?), ist es nicht unerheblich zu wissen, worin diese „Systemalternative“ besteht. Weiterlesen

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Wulff und der Kredit – Wie Skandale heute in den Medien funktionieren

Das Wettrennen hat begonnen: Gräbt die Berliner Hauptstadtpresse genügend neues, belastendes Material aus, um Bundespräsident Christian Wulff auf den Titelseiten zu halten? Oder schieben sich andere Themen wie der Tod des nordkoreanischen Machthabers Kim in den Vordergrund?

Es geht um diese Woche: Noch bis Freitag haben die Medien, um den Bundespräsidenten in einen Rücktritt zu treiben. Dann ist Weihnachtspause – und danach wird es schwer werden, die Affäre neu zu entfachen. Es sei denn, es gibt neue, dann noch ungeheuerlichere Anschuldigungen.

Was derzeit zu besichtigen ist, ist die klassische Anamnese eines Politskandals Weiterlesen

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Wie es zur Eurokrise kam – und wie es weitergeht

Mit kaum verhohlener Schadenfreude registriert die deutsche Öffentlichkeit die Isolierung Großbritanniens beim EU-Gipfel und bejubelt den Sieg der „Supranationalität“, will sagen die Übertragung entscheidender Hoheitsrechte von gewählten Parlamenten auf das nicht gewählte imperiale Zentrum. Man fühlt sich ein wenig an den Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871 erinnert.

„Europa spricht Deutsch“ krähte Volker Kauder angesichts der Tatsache, dass in Griechenland und Italien nicht gewählte „Technokraten“ das von Angela Merkel und dem deutschen Leitmedium geforderte Austeritätsprogramm durchsetzen. Mag sein, auch wenn ich mich frage, wie lange noch. Aber die Finanzmärkte sprechen nach wie vor Englisch. Weiterlesen

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Für FDP-Chef Rösler wird der Sieg beim Mitgliederentscheid eine Niederlage werden

Fairplay geht anders. Mehrere Tage vor dem offiziellen Ende des FDP-Mitgliederentscheids in Sachen Euro hat FDP-Chef Philipp Rösler bereits dessen Scheitern verkündet. Das ist nicht nur schlechter Stil, es ist auch schlechte Politik. Sehr schlechte Politik. Es ist unwahrscheinlicher denn je, dass Rösler es so schaffen wird, die FDP bundesweit wieder über die Fünf-Prozent-Hürde heranzuführen. Weiterlesen

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Von Juden und Außerirdischen

 
In einem Beitrag für die „Achse des Guten“ liefert Dirk Maxeiner ein interessantes Bekenntnis ab:
„Ehrlich gesagt, konnte mir bis heute niemand so richtig erklären, was ein Jude eigentlich ist. Hat das was mit der Religion zu tun? Der Herkunft? Der Nationalität? Den Genen? Den Vorfahren? Dem Äußeren? Dem Inneren? Oder von allem ein bisschen? Wird man als Jude geboren? Oder kann man es auch später werden? Umso mehr ich diese Frage wälze, um so ratloser werde ich. Manchmal denke ich: Gibt’s Juden überhaupt? Führt aber auch nicht weiter, es muss sie irgendwie geben, schließlich sind sie an allem schuld. Wenn es keine Juden gäbe, müsste man sie also erfinden. Das nächste Mal vielleicht als so eine Art von Außerirdischen. Die Menschen glauben gerne an kleine grüne Männchen. Überall fliegende Untertassen. Erich von Däniken wäre dafür ein begabter Drehbuchautor gewesen, er hat aber offenbar keine Lust gehabt.“
Quelle:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/weltverschwoerung_21/
 
„Das nächste Mal?“ Was meint Dirk eigentlich damit? Fragen wir lieber nicht. Vergessen wir das und wenden wir uns der erstaunlichen Tatsache zu, dass ein fast 60-Jähriger in Deutschland im Tonfall eines naiven Teenagers bekennt, er wisse eigentliche nicht, was ein Jude ist. Und nicht irgendein 60-Jähriger, sondern ein bekannter Publizist und Mitbetreiber eines Blogs, dem man nicht zu nahe tritt, wenn man unterstellt, dass es in Sachen Judentum wie in Sachen Islam eine dezidierte Haltung einnimmt. Mit einer gewissen fröhlichen Unbekümmertheit meint der Babyboomer und Post-68er, was ein Jude sei, das habe ihm „niemand so richtig erklären“ können.
Merkwürdig: In der Generation von Dirks Eltern wusste man in Deutschland sehr genau, was ein Jude ist. Warum hat Dirk nie seine Eltern gefragt? Es gibt dort, wo Dirk wohnt, in München also,  eine jüdische Gemeinde. Warum hat er nie einen der Rabbiner dort gefragt? Es gibt in München auch ein jüdisches Museum.Er hätte dort fragen können. Er könnte nach Israel reisen, in den Staat, der von vielen seiner angeblichen Freunde oft deshalb verteidigt wird, weil er die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ sei, der aber von Theodor Herzl konzipiert wurde als „Der Judenstaat“ und deshalb von seinen Feinden bekämpft wird und als jüdischer Staat eine Existenzberechtigung auch dann hätte, wenn er nicht demokratisch oder nicht die einzige Demokratie in der Gegend wäre. Und in Israel – in der Einwanderungsbehörde zum Beispiel, oder beim Rabbinat – könnte Dirk mal fragen, was ein Jude ist. Oder ein Buch lesen. Anscheinend ist das alles aber zu anstrengend. Und so sehr interessiert ihn das auch wieder nicht. Offensichtlich konnte er mehr als ein halbes Jahrhundert in diesem Land leben, ohne dass ihn das Bedürfnis überkommen hätte, die keineswegs doofen Fragen, die er sich stellt, auch durch Befragen der richtigen Leute zu beantworten. Viel mehr Spaß (und weniger Arbeit) macht es, auf angebliche oder wirkliche Antisemiten einzudreschen.
Es geht mir aber hier nicht um Dirk als Person. Er hat mich einmal menschlich enttäuscht, aber so etwas kommt vor. Es geht mir um eine Haltung, die in seiner Generation, die ich gut kenne, weil sie auch die meine ist, sehr verbreitet ist: die Instrumentalisierung der Juden. In der Studentenbewegung (die zugleich, wie wir nicht erst seit Götz Aly wissen, einiges an antisemitischen Klischees transportierte) wurden die Juden benutzt, um die „Generation der Täter“ moralisch unter Generalverdacht zu stellen und mundtot zu machen. Viele aus dieser Generation weigern sich bis heute unter Hinweis auf die Einmaligkeit des Holocaust, die Parallelen zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus anzuerkennen, benutzen aber zugleich absurde Vergleiche etwa zwischen der Lage der Palästinenser heute und der Juden damals, um Israel zu delegitimisieren. Und andere schwingen gern die Antisemitismuskeule gegen alles, was ihnen nicht passt und jeden, der sie kritisiert, obwohl sie selbst zwischen Juden und Außerirdischen, Jochanan ben Sakkai und Erich von Däniken nicht unterscheiden können.

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