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Obama und Netanjahu: Mister Planlos und Herr Neinsager

Eines muss man Benjamin Netanjahu lassen: Er hält seinen Kurs – komme, was und wer da wolle. Selbst der Druck eines US-Präsidenten ficht ihn nicht weiter an. Barack Obama fordert einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967? Mir doch egal! Ich bleibe bei meinen Standpunkten, seien sie auch teilweise noch so umstritten. Hier geht es eben um Prinzipien, nämlich ein Israel in sicheren Grenzen. Und wer könnte ihm da widersprechen? Selbst der Chef im Weißen Haus nicht.
Dennoch hat die 46-minütige Rede des israelischen Premiers vor den beiden Häusern des US-Parlaments eines in aller erschreckenden Deutlichkeit gezeigt: Die Distanz zwischen Washington und Jerusalem war nie größer als Ende Mai 2011. Obama und Netanjahu trennen bei der Beurteilung der Situation im Nahen Osten mehrere Welten. Die »historische« Ansprache des israelischen Regierungschefs wird Amerikas Präsident gar als offene Kampfansage empfinden. Denn alles, worüber der eine gerne verhandeln möchte, lehnt sein Gegenüber mehr oder weniger strikt ab. Israel in den Grenzen von 1967 – nicht mit Netanjahu. Eine Teilung Jerusalems – auf gar keinen Fall. Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge – unvorstellbar. Aufgabe aller jüdischen Siedlungen im Westjordanland – ausgeschlossen.

Damit ist allerspätestens seit Dienstag völlig klar: Solange beide Politiker in ihren Ländern das Sagen haben, wird sich die Krisenregion keinen Millimeter weit in Richtung Frieden bewegen. Vielmehr rückt dieses Ziel in eine mit düsteren Gewitterwolken verhangene Ferne. Blitz und Donner werden zu atmosphärischen Störungen führen, sowohl im Verhältnis zwischen den beiden – eigentlich – Verbündeten als auch im Nahen Osten selbst. Die Hoffnung stirbt zuletzt? Derzeit ist sie zumindest unter einem Berg von gegenseitigem Unverständnis, mangelnder Sensibilität, fehlender Kompromissbereitschaft und kontraproduktiven Eigeninteressen begraben.

Dafür einen Alleinschuldigen auszumachen, fällt schwer. Obama schafft es immer wieder, mit dem argumentativen Vorschlaghammer in der Hand Israel in die Ecke zu drängen. Es müsste ihm allerdings bewusst sein, dass gerade ein Bibi Netanjahu selbstbewusst genug ist, sich das nicht gefallen zu lassen. Trotzig gibt Israel dann erst recht den Nein-Sager. Auch hat der US-Präsident offenkundig weiterhin keine wirkliche Idee, geschweige denn eine Vorstellung davon, wie er mit dem Problemfall Nahost umgehen soll. Zumal er daran gedanklich festhält, dass sich an diesem Konflikt wenigstens der Weltfrieden entscheidet. Und Obama gibt sich dem Irrglauben hin, alles hänge mehr oder weniger von Israel ab, die Kompromisslosigkeit der Palästinenser und Gefährlichkeit der Hamas dabei weitgehend ausblendend.

Überfordert scheint allerdings auch sein Kontrahent. Netanjahu spielt seit seinem Amtsantritt Beamtenmikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Er verkennt jedoch dabei nicht zuletzt die Eigendynamik des arabischen Frühlings. Will der Premier verhindern, dass Israel schon bald der einsamste Staat der Erde wird, muss er endlich etwas Substanzielles in die Waagschale der Nahost-Diplomatie werfen. Es ist zwar ungerecht, immer vom jüdischen Staat den ersten Schritt zu erwarten. Doch anders wird die Meinung der oftmals zweifellos selbstgerechten Öffentlichkeit sicherlich nicht zu beeinflussen sein. Eine traurige Realität, die die politischen Handlungsspielräume extrem eingrenzt. So bleibt Israel derzeit wohl nur ein Motto: Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.

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45 Gedanken zu “Obama und Netanjahu: Mister Planlos und Herr Neinsager;”

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    @alt68er
    „Muß ich darauf warten, Kritik an Israel zu üben, bis ganz Deutschland erwachsen geworden ist?“
    Sie dürfen Israel so viel kritisieren, wie Sie wollen. Wenn ich z.B. die Verflechtung von Großfirmen mit der Politik kritisiere, muß ich aber mich aber fragen lassen, was genau mich zu dieser Kritik veranlasst (Reflexion über eigene Erfahrungen, persönliche Nachteile im wirtschaftlichen Überlebenskampf um eine Nische etc.).
    Inwieweit Sie das beim Thema Israel und Henryk M. Broder beantworten können, wissen Sie selber am besten.

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    @Alt 68 er: Missverständnisse ist m.E. der Regelfall, wenn es kompliziert wird. Über Verständnisse oder gar Einverständnisse sollten wir uns freuen, wenn wir welche finden. Meist hängt unpräzise Ausdrucksweise damit zusammen. Ich z.B. habe in meinem letzten Beitrag ein solches Missverständnis provoziert, indem ich statt „ahnen“ „wissen“ geschrieben habe. Ich „ahnte“ also lediglich, was Sie mir antworten würden. Eine solche Ahnung dürfte bei weitem weniger erschreckend sein, zumal ich mich ja geirrt habe – ich dachte, Sie würden anderes antworten, auf die israelische Verantwortung hinweisen u. dergl, das Übliche eben.

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    @ Roland Ziegler

    In der Diskussion mit Ihnen habe ich wieder mal gemerkt, dass man den eigenen Kontext, in dem man spricht, nicht als selbstverständlich und verständlich voraussetzen darf. Man muß mit mehr Mißverständnissen rechnen als man glaubt.

    Ich erschrecke darüber, dass Sie bereits wissen, was ich Ihnen antworten werde. Denke allerdings auch, dass wir an diesem Punkt (vorläufig) abbrechen sollten.

    @ KJN

    Es gibt Zeiten, in denen man sich in den Boden schämt. Das war bei mir der Fall, als der Deutsche Wilfried Böse in Entebbe die jüdischen Geiseln selektionierte. Das ist ja nicht nur Fremdschämen, sondern auch eine Scham, einem Stamm anzugehören, dem auch Wilfried Böse angehört. Und eine Wut, dass es Zeitgenossen gab, die das auch noch rechtfertigten. Ich denke, dass die allermeisten Deutschen darüber (zu Tode) erschrocken sind. Bei Mogadischu gab es einigen Stolz, dass wir Jungs hatten (Helmut Schmidt, Ben-Wisch und die Jungs von der GSG 9), die zu ähnlichem in der Lage waren wie die Israelis.

    Ich muß gestehen, dass mein Engagement weniger durch eine linke Solidarität mit den Schwächeren motiviert ist als durch einen Stolz und Eigensinn, der sich dadurch beleidigt fand, dass in der Verteidigung Israels ein sacrifium intellectus gefordert ist, z.B. der Glaube an die schwachsinnige These, dass der Friede im Heiligen Land schon längst ausgebrochen wäre, wenn nur die Palästinenser nicht jede gute Chance vermasselt hätten, die Israel – Schalom, Schalömchen – ihnen immer geboten hätten. Daneben auch die aggressive Dummheit von Broder & Konsorten, die inflationär jede „Israelkritik“ als gemeinen Antisemitismus outeten. Diesem Treiben haben ich einen Blog Von den einzigwahren Freunden Israels gewidmet. Ich gebe zu, dass ich dem zu viel Lebenszeit und Energie gewidmet habe.

    Sie haben recht, dass Kritik an Israel viel fundierter, und das auch aus Israel, formuliert wird als von mir. „Kritik aus Deutschland am zwangsweise früh erwachsen gewordenen Israel akzeptiere ich erst, wenn Deutschland auch erwachsen geworden ist, …“ Muß ich darauf warten, Kritik an Israel zu üben, bis ganz Deutschland erwachsen geworden ist?

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    @ alt68er
    Die palästinensische Gesellschaft in den besetzten Gebieten lebt unter der Herrschaft der jüdischen Faust, wie es Jeshajahu Leibowitz formulierte, unter der Herrschaft des Shin Bet und der israelischen Militäradministration. Hier werden grundsätzliche Bürgerrechte versagt bzw. entzogen und durch Scheinautonomie maskiert. und „..Marie Antoinette: Was? Ihr Canaillen beklagt Euch, dass Ihr nicht das Brot der Eigentums- und Wohnrechte, der Versammlungs- und Reisefreiheit etc. esset, warum esst Ihr denn nicht den Kuchen der Homosexualität?“ Eigentlich wollte ich mich zu dem Thema nicht mehr äußern, aber nun haben Sie mich „überredet“:
    Ja, hier werden Bürgerrechte versagt, hier wird von israelischer Seite drangsaliert – bis an die Grenze dessen, was aus israelischer Sicht legal ist. Aber eben in der Regel nur soweit. Und es gibt verdammt viel zu beklagen. Ich kenne die Klagen aus 1. Hand von einem Geschäftsfreund mit Angehörigen in Gaza, der im übrigen meinen Standpunkt zum Thema kaum erträgt. Ich habe zu Zeiten des Iran-Irak-Krieges Menschen und deren Emotionen und Argumente aus beiden Ländern kennengelernt. Es ist verständlich, wenn diese einen zu kritisieren beginnen, weil sie meinen, man würde nicht mit ihnen fühlen, weil man nicht die Richtung ihrer politischen Erklärungsversuche teilt. Auch ich habe in den 80ern Israel kritisiert, wo ich meinte dies zu können, weil ich meinte immer „auf der Seite der Schwächeren“ stehen zu müssen (..vor allem dazugehören wollte).
    Ich war damals Anfang-Mitte 20, also kein „68er“ sondern eher so in dem Dreieck Anti-Kernkraft – Anti-Materialismus – Greenpeace-Öko-Hero. Helden, die sich in einem antihegemonial-antiamerikanischen lauwarmen klebrigen Sud – gewürzt mit einem Schuß gekränkten Nationalismus – suhlen. Damals war mir nicht klar, daß derlei „Suppe“ nur Kinder und Enkel von Altnazis kochen, bis ich mich in einer Diskussion über Mogadishu und Entebbe daran veschluckt habe: Reisende, eingezwängt in Sitzen, die zwecks besserer Brennbarkeit mit Alkohol übergossen werden, jüdische Reisende, 21 Jahre „danach“ von deutschen Terroristen selektiert….

    Heute werde ich das Gefühl nicht mehr los, daß diese ganzen Soldaritätsaktionen mit Gaza in das alte Schema der „Achsenmächte“ passt, in eine ideologische Melange, die nichts anderem dient, als der Linderung des Phantomschmerzes des deutschen Schuldkomplexes. Nur dagegen richtet sich meine Entgegnung. Wenn Sie Konkretes haben, israelische Politik und Kriegsführung anzuprangern, finden Sie viele kompetente Mitstreiter – auch und gerade in Israel! Ich – für meinen Standpunkt – muß da (außerhalb Israels) schon mehr suchen. Gute, tief reflektierende Filme z.B über den Libanonkrieg aus Israel (? Waltz with Bashir). Derlei unpathetisch, aber psychologisch ehrliche und tiefgründige Bekenntnisse hätten auch Deutschen gut angestanden. Aber sowas kriegt man nur hin, wenn man schon frei ist. Das sind wir aber hier offensichtlich immer noch nicht. Und deswegen so unsensibel wirklichen, existentiellen Fragen und den Menschen gegenüber – um so verträumter, versponnener in unseren Ideen von Naturschutz, Ideologien und Vorstellungen (..Deutschland ist kein Einwanderungsland etc..). Kritik aus Deutschland am zwangsweise früh erwachsen gewordenen Israel akzeptiere ich erst, wenn Deutschland auch erwachsen geworden ist, und sich nicht wie (Ihr Beispiel) Marie Antoinette auf realitätsferne und infantile Überlegenheitsphantasien stützt. Wenn dann entsprechend differenziert und kompetent auch auf andere Konfliktherde reagiert würde, könnte man glatt (ohne Ironie) von einem wirklichen „Gutstaat“ sprechen. Da Deutschland, wie ich das mitbekomme, reichlich aus Israel importiert, aber kräftig z.B. in den Iran exportiert sehe ich unser außenpolitisches Handeln von „anderen“ Interessen geleitet, aber wenn das mal einer wie Horst Köhler durchblicken lässt (tss..tss..), wird er von links wie rechts weggemobbt. Solange hierzulande die Scheinheiligkeit vorherrscht, ist die „Schuldfrage“ und die Position zu Israel ein Stachel im deutschen Fleisch mit geradezu therapeutischer Wirkung.

    Israel wahrt seine Interessen – Deutschland auch, aber es lässt im Gegensatz zu Israel seine Bürger im Unklaren darüber. Vielleicht wollen unsere Eliten ja keine mündigen, oder trauen es ihnen nicht zu, was auf’s Gleiche hinaus läuft..

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    @Alt 68 er: Mein Eindruck ist entstanden, weil Sie nicht etwa Kinderlose, wie man meinen sollte, sondern explizit Schwule mit weniger Stimmrecht ausstatten wollten. Woraus sich eine nicht-egalitäre Gesellschaft ergibt. Offenbar meinen Sie jedoch statt Schwule & Lesben (die ja via Adoption bzw. künstlicher Befruchtung selbstverständlich auch eine Familie gründen können) in Wirklichkeit Kinderlose. Dieser Standpunkt ließe sich – über die als stellvertretend verstandene zusätzliche Stimme der Erziehungsberechtigten – tatsächlich mit einem egalitären Konzept vereinbaren.

    Die palästinensische Gesellschaft ist keine freie Gesellschaft, sollte aber eine werden; hier sind wir einig. Die Schuld bei zersetzenden externen Kräften zu suchen, ist in repressiven Systemen das probate Verfahren. Es kommt in verschiedenen Spielarten bei jeder (und ich vermute, wirklich bei ausnahmslos JEDER) Diktatur zum Einsatz. Immer wieder sind es böse imperialistische Kräfte „da draußen“, die dafür sorgen, dass man innen mit harter Hand Spione und missliebige Elemente verfolgen und eliminieren muss. Dieses Muster geht mir auf die Nerven.

    Wenigstens gibt es im Fall Palästina wirklich eine Besatzungsmacht, die Druck erzeugt und auch wiederholt mit der Faust zugeschlagen hat; hier scheint dieses Muster also eine gewisse Sonderberechtigung zu haben. Das macht diese Macht aber nicht, um die Besetzten zu unterwandern und zu unterdrücken, sondern um Angriffe zu stoppen, denen sie ausgesetzt ist. Diese Angriffe werden von Israel seit Anbeginn an als ursächlich genannt, und ich sehe keinen Anlass, an dieser Ursächlichkeit zu zweifeln. Meine daraus resultierende Forderung war ein Bekenntnis zu guter Nachbarschaft, trotz aller Frustration, eine Willenserklärung wenigstens; ein Anfang.

    Dass das „rechte Israel“ in dieser Situation ihr ganz besonderes Süppchen kochen will, ist logisch und richtig. Ich ziehe daraus nur einen anderen Schluss. Man muss das Feuer unter diesem Süppchen abdrehen, und das können eben nur die Palästinenser tun. Indem sie der demokratischen Mehrheit in Israel zeigen, dass von ihnen in Zukunft – anders als in der Vergangenheit – keine Bedrohung mehr ausgehen wird.

    Wenn dies Versprechen glaubwürdig wäre, ist das Ende der Besatzungszeit gekommen. Es war aber noch nie glaubwürdig. Man könnte sich fragen, warum eigentlich nicht. Dann würden einige Nutznießer in den Blick geraten, die sich in dieser Situation ganz komfortabel eingerichtet haben und gar nicht daran denken, auf ihr gut funktionierendes Feindbild zu verzichten und sich damit selber zu demontieren. Ich spreche nicht von Israel, sondern von Palästinensern: besagte „Personen und Gruppierungen“…

    Ich weiß jetzt schon, was Sie darauf antworten wollen und werden; und da smögen sie auch gerne tun; ich aber für meinen Teil steige nun aus der Diskussion aus, nicht ohne mir noch eine kleine Korrektur eines nebensächlichen Irrtums zu erlauben: Klonen bedeutet nicht die Verewigung eines Individuums, wie vielfach gesagt wird. Ein Klon ist im Grunde nichts anderes als ein eineiiger Zwilling, und wer eineiige Zwillingspärchen kennt, weiß, dass das alles andere als Doppelexistenzen bzw. Inkarnationen desselben Individuums sind. Womit aber nichts zugunsten des Klonens gesagt werden sollte.

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    @ Roland Ziegler

    ich habe nicht das geringste gegen gleiche Bürgerrechte für Frauen und Schwule (die habe ich mal unterstützt); sollte dieser Eindruck entstanden sein, wundere ich mich. Ich wollte Sie lediglich für eine mehr historische Betrachtung „missionieren“. Die Väter des Grundgesetzes haben einen Rahmen geschaffen, in dem emanzipative Bewegungen, die Frauen, die Schwulen, die Immigranten sich formulieren, sich formieren, sich auch gegen Widerstände durchsetzen konnten. Die historische Betrachtung steckt auch schon implizit in ihrer Formulierung „Das Grundgesetz bedeutet die Emanzipation der Staatsbürger jeglicher Couleur.“ Sie brauchen nur das Wort „bedeutet“ durch das Wort „ermöglicht“ zu ersetzen.

    Die palästinensische Gesellschaft ist keine freie Gesellschaft; da können Sie auch keine Indikatoren einer freien, „säurefreien“ Gesellschaft anlegen. Die palästinensische Gesellschaft in den besetzten Gebieten lebt unter der Herrschaft der jüdischen Faust, wie es Jeshajahu Leibowitz formulierte, unter der Herrschaft des Shin Bet und der israelischen Militäradministration. Hier werden grundsätzliche Bürgerrechte versagt bzw. entzogen und durch Scheinautonomie maskiert. Ich bin von Ihnen etwas enttäuscht, dass Sie darauf in dieser Diskussion nicht den geringsten Bezug nahmen (auswichen), statt dessen immer auf die Schwulen- und Frauenrechten rekurrierten (ich habe mich lang und breit mit Ihrem Argument auseinandergesetzt, warum beschäftigen Sie sich vice versa nicht mal mit meinem Argument?) Sie argumentieren ein bißchen wie Marie Antoinette: Was? Ihr Canaillen beklagt Euch, dass Ihr nicht das Brot der Eigentums- und Wohnrechte, der Versammlungs- und Reisefreiheit etc. esset, warum esst Ihr denn nicht den Kuchen der Homosexualität? Nur deswegen haben ich Ihnen gegenüber von Emblem und Panier gesprochen. Gesetzt (was ich bezweifle), Israelis und Palästinenser finden einen Modus vivendi, den beide Seiten, auch wenn sie ihn unbefriedigend finden, akzeptieren würden, hätten die Israelis gute Möglichkeiten, die Schwulen auf Seiten der Palästinenser zu unterstützen, sie z.B. zum Christopher Street Day einladen, damit zu deren Emanzipation, wenn sie denn dafür kämpfen, beitragen. „… alles weitere wird sich schon finden?“ – Nein, wird sich nicht finden, sondern muss errungen werden. „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“ sagt der Dichter.

    Mein Plädoyer, dass Väter und Mütter eine Stimme mehr (nicht mehr Bürgerrechte) haben sollten, ist wohl eine sehr reaktionäre Marotte, positiv gewendet vielleicht ein Stachel in die Selbstverliebtheit, Selbstzufriedenheit und/oder Selbstvergessenheit der „freiesten“ (mit den meisten Wahlmöglichkeiten) Gesellschaft, die wir je hatten. Wer sorgt denn nachhaltig (oder auch nicht) für den Fortbestand und die weitere Variation (Klonieren, sofern technisch machbar, wäre Verewigung eines Individuums und damit letztendlich todlangweilig) der Gesellschaft? Woher kommen denn all die Schwulen und Lesben, von ihnen selbst oder ex nihilo? Was meinen Sie?

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    @Alt 68 er: Wenn ich hier einen apodiktischen Eindruck hinterlassen habe, bedauere ich das sehr. Die meisten meiner – so wie Sie es sehen nach Lutherart an dieses Portal geschlagenen – Thesen habe ich jedoch näher auszuführen und allgemeinverständlich zu begründen versucht. Sie müssen durchaus nicht folgen; ich folge Ihnen ja auch nicht.

    Dass „die“ Deutschen nach dem Krieg ihre Verfassung selber ausgearbeitet hätten, erscheint mir Ihrem Altersvorsprung nicht angemessen. „Die“ Deutschen haben nicht einmal darüber abgestimmt; die Sache wurde einfach ratifiziert. Und das ist auch in Ordnung so. Zutreffender wäre es, von „einigen“ Deutschen zu sprechen, die da was ausgearbeitet haben, und zwar von solchen mit einer dezidiert demokratischen Denkweise, von denen es bis 1949 ja noch nicht allzuviele gab.

    Das Grundgesetz bedeutet die Emanzipation der Staatsbürger jeglicher Couleur. Bei den Schwulenrechten sollten wir nicht den gesellschaftlichen Zustand von 1949, sondern sinnvollerweise den von heute als Maßstab anlegen. Das tun wir in anderen Belangen auch. Ich habe mehrmals geschrieben, dass ich diese Rechte nicht als Eintrittskarte, sondern als Indikator einer freien Gesellschaft betrachte. Diese Überlegung perlt völlig an Ihnen ab, was kein Wunder ist, da Sie ja grundsätzlich nicht einsehen, warum Schwule die gleichen Rechte haben sollten wie Heteros. Der Wunsch nach einer egalitären Gesellschaft ist Ihnen also suspekt.

    Können Sie zumindest einsehen, dass Frauen grundsätzlich dieselben Rechte haben sollten wie Männer? Dann lassen Sie doch die sperrigen Schwulenrechte vorläufig weg und beschäftigen sich mit Frauenrechten. Sind die nachrangig? Hängen sie und andere Bürgerrechte von X oder Y ab? Nach dem Motto: Gründen wir doch erstmal einen zünftigen Staat mit einer schlagkräftigen Regierung, und alles weitere wird sich schon finden?

    Offenbar meinen Sie das. Ich aber nicht, und damit können wir es gerne bewenden lassen.

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    @Moritz Berger
    Der „heilige Geist“ hat mir zum Ausklang von Pfingsten noch folgendes eingegeben:
    „Wer Schönes möchte, muß die Freiheit lassen, danach zu suchen.“ Auch gut, nicht wahr?
    @Rita E. Groda
    „Avantgarde“ klingt gut, danke! Jedenfalls besser als „Entfremdung“. Wir beide werden sicherlich nicht aufhören, über die „kleinen“ Dinge zu stolpern, damit letzteres nicht allzusehr einreißt – versprochen..

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    @ Roland Ziegler

    Mir kommt es so vor, dass Sie sich wie der mehr oder weniger liebe Gott (oder wenigstens wie das Mönchlein Dr. Martin Luther) gerieren und Freiheitsrechte am liebsten auf Steintafeln oder als Thesenpapier „vor-schreiben“ und präjudizieren wollten. Ich bin ja ein paar Jährchen älter als Sie; ich habe die Anfänge der Schwulen- und Frauenbewegung sehr nahe mitbekommen, ich erinnere mich noch gut an die Einsätze z.B., um nur öffentliche Figuren zu nennen, von Rosa von Praunheim, des wunderbaren opern-theatralischen Werner Schröter, des weniger wunderbaren schröcklichen Werner Faßbinder oder an die Einsätze von Frauen gegen den Abtreibungsparagraphen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die großartigen Allierten den Deutschen keineswegs eine Verfassung oktroyiert haben, sondern sie eine ausarbeiten ließen. Darin spielen Fragen der sexuellen Freiheit höchstens eine untergeordnete Rolle. Diese Emanzipation von sexuellen Freiheitsrechten und gender-mainstreaming ist in einem Kontext allgemeiner Liberalisierung „von unten“, von Aktivisten erkämpft worden. Die Gründungsakte westlicher Demokratie bestanden dagegen in einer Verfassung „Pro populo adversus tyrannos, or, The sovereign right and power of the people over tyrants“ (John Milton), sei es in den nordamerikanischen englischen Kolonien, sei es in Frankreich, wobei das ancien regime keineswegs aus verstockten puritanischen Despoten, sondern aus durchaus feizügigen Libertins bestand. Ich finde es sehr ironisch, dass Sie jetzt den Palästinensern als entreebillet zur freien demokratischen Welt an erster Stelle Homosexualität und freie Liebe vorschreiben wollen (ich habe gar nichts gegen Homosexualität, aber man sollte sie m.E. eine Stufe niedriger hängen und nicht zum höchsten Emblem der Freiheit machen; ich persönlich finde – und das ist sehr reaktionär -, dass der pater und die mater familias ein Stimme mehr in der res publica haben sollten).

    In Israel/Palästina gibt es ein Besatzungsregime eines Volkes über ein anderes. Die Israelis bzw. die israelische Administrationb wird von den Palästinenser (und nicht nur von ihnen) als Fremdherrschaft, Tyrannei, Fremdbestimmung wahrgenommen. Schauen Sie mal auf dieses Beispiel: http://www.hagalil.com/archiv/.....estbank-6/ und rechnen Sie mal aus, wie viele Freiheitsrechte hier entzogen, nicht gewährt werden, und führen Sie aus, wie die Palis ihre Freiheitscharta auf dieser Grundlage formulieren können. Hier gibt es einige Gessler-Hüte – und die „Stadt vom Tyrannen zu befreien“ (Friedrich Schiller) ist wohl vordringlicher als die Emanzipation der Homosexuellen (und für die Palis ist es, mit Verlaub, scheißegal, ob die Israelis puritanisch oder sexuell befreit sind).

    Im übrigen würde dies m.E. nicht die geringste Rolle spielen; für Israel, bzw. das „rechte Israel“, wie EJ hier diffenziert, geht es um seine legitimen Ansprüche auf „ganz Israel“, einschließlich urjüdischen Heimatgebiete Judäa und Samaria, dabei werden Rechte, Entschuldigung: illegitime Anspüche der Palästinenser im Heiligen Land, delegitimiert.

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    Da jetzt der Heilige Geist über uns alle gekommen ist 🙂

    möchte ich mich auch zur Avantgarde outen, die propagiert:

    Lieber schön und frei als häßlich und unfrei 🙂

    P.S. Dieses Zitat passt gut auf den Sachverhalt den Frau Groda hier schildert:

    Häßlich in der Kunst ist das, was keinen Charakter, das heißt weder eine innere noch eine äußere Wahrheit besitzt, ferner das, was, anstatt ausdrucksvoll zu sein, einnehmend oder schön sein möchte, was gekünstelt und gesucht ist, was ohne Grund lächelt, was sich aufdrängt und spreizt.

    Wenn ich es noch in Erinnerung habe stammt es von Rodin.

    Fröhliche Pfingsten

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    @Roland Ziegler: Ebenfalls Ihnen und allen anderen ein schönes Pfingstfest, egal in welcher Farbstellung der Heilige Geist erscheint.

    KJN: Die Freiheit, die Sie und ich so vehement verteidigen, ja, die muß der mündige „Mutbürger“ in unserem Lande bis zum Grabe einfordern.

    Kleines, weiteres und persönliches Beispiel.
    Als wir einen Todesfall in der Familie zu beklagen hatten, war unsere Vorstellung des Grabsteines, die einer Pyramide, in der Mitte des Doppelgrabes und zwar aus poliertem Stein.
    Leider gab es in unserer – gar nicht unbedeutenden Stadt – eine Lobby von Landschaftsgärtnern usw., die die Stadt zu einer Verordnung“zwangen“, die nur diese „Bruchsteingrabsteine“ erlaubte, keine polierten Grabsteine. Polierte Grabsteine würden nicht in die Landschaft passen, und so sorgte diese Grabstein-Mafia 30 Jahre dafür, daß man keine polierten Steine mehr aufstellen durfte.

    Wir fanden einen Steinmetz, der mutig genug war uns eine polierte Pyramide anzufertigen, und diese wurde nach Aufstellung sogar von Friedhofs-TÜV abgenommen und genehmigt. Mit der Folge, daß sich alle Leute diesen Stein anschauten und plötzlich auch so etwas wollten. Und siehe da, auf einmal gab es wieder polierte Steine auf dem Friedhof.

    Geschmäcker sind verschieden, da läßt sich nicht streiten. Seine Freiheit aber, die muß man – in diesem, unserem Land – bis zum Grab erstreiten.

    Ich freue mich sehr, daß auch Sie zur unerschütterlichen
    Avantgarde zählen,die lieber frei und häßlich propagiert, als möglicheweise schön und unfrei.

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    @Alt 68er: Nein, sollten wir nicht. Bei der westdeutschen Staatsgründung wurde auch nicht gewartet, ob, wann oder wie sich die Deutschen nach der von ihnen frei gewählten Nazizeit zur Emanzipation bequemen wollten; sie wurden einfach per Grundgesetz „zwangsemanzipiert“, wenn ich mir mal diese contradictio in adjecto erlauben darf; ob sie nun wollten oder nicht. Die im Krieg verlorenen Ländereien blieben verloren, und niemand, den man Ernst nehmen könnte, hat sie bis heute zurückgefordert.

    Ihre FKK-Monstranz scheint ironischen Ursprungs zu sein, zeigt aber, dass Sie den Sinn des Bezugs auf Schwulenrechte nicht ganz verstanden haben. Schwulenrechte sind keine Nettigkeit gegenüber Exzentrikern, sondern eine Art Lackmustest, der den Säuregehalt eines Staates zeigt: ein Indikator für die Qualität der gesellschaftlichen Freiheit, gewonnen aus Erfahrungen mit Diktaturen verschiedenster Art. Im Gegensatz zu FKK. Schön wäre es, wenn man die Ächtung der Todesstrafe als weiteren Indikator hinzugewinnen könnte, aber leider sind einige demokratische Länder – insb. die USA, nicht jedoch Israel! – dazu nicht bereit.

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    @Rita E. Groda: Freut mich, dass Sie es so sehen. Ein schönes Pfingstfest an Ihr neues mintgrün-fliederfarbigen Zuhause und auch an alle anderen!

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    @ Roland Ziegler

    Sollten wir das nicht den Gesellschaften bzw. den Staatsvölkern überlassen, wie, wann und wie schnell sie sich „emanzipieren“ sollten? Weder die Bundesrepublik noch die klassischen westlichen Demokratien waren von Anfang an das summum bonum oder das Reich der Freiheiten mit Schwulen- und allen Frauenrechten; den § 175 gab es noch bis 1994. So gut Sie das meinen, das ist unhistorisch. Ich habe noch andere Monstranzen: man sollte doch von den Palästinensern erst mal verlangen, dass sie neben der Homosexualität auch die Freikörperkultur in ihre Verfassung aufnehmen.

    @ Rita E. Groda

    „Zuerst kommt immer die Freiheit, dann die Demokratie und danach alles andere.“

    Könnten Sie das präzisieren; gibt es dafür ein Paradigma?

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    @Kerstin: Ich freue mich sehr, Sie in dieser Runde zu haben. Gerade beim Thema Marxismus, Leninismus, wo Sie realen Bezug haben(mußten) sind Sie mir ein wertvoller Gesprächspartner.

    Zu meiner Zeit – also vor Jahrzehnten – gehörte z.B. Marx ins Marschgepäck eines jeden Volkswirtes und Betriebswirtes, als quasi Pflichtlektüre. Von Marx – ohne Klassenkampf – konnte jeder Profi eine Menge lernen.
    Allerdings bin ich furchtbar überrascht, daß sich offensichtlich seit dieser Zeit in unserem Lande nichts geändert hat. Hat man damals nur einfach die Theorien von Marx und Engels diskutiert – ohne politischer Sympatisant zu sein – wurde man verbal in die Ehemalige (DDR) geschickt, mit den Worten“geh doch rüber Kommunist“. Und auch heute noch reagieren einige Mitbürger sehr aufgeregt und emotional, wie man hier sehen kann.

    Es ist sehr traurig, daß es offensichtlich nicht möglich ist eine so treffende Passage von Engels zitieren zu können, ohne daß die „Fundamentalisten“ sofort sehr aufgeregt mit den Verbrechen und Irrtümern der Kommunisten kommen.

    Wir westlichen Kapitalisten sind weder unfehlbar noch ohne Tadel – Verbrechen haben wir genug auf dem Gewissen; man denke an die Spekulanten an der Warenbörse die verantwortlich für das Verhungern ganzer Völker sind.

    Wenn wir versuchen wollen unsere Lebensbedingungen noch zum Besseren zu wenden, müssen wir uns alle Optionen offen halten, aus den Irtümmern anderer lernen, und alle bereits bekannten Gedanken heranziehen. Einseitigen Input können wir uns inzwischen nicht mehr leisten.

    1973 schrieb Konrad Lorenz „die 8 Todsünden der zivilisierten Menschheit“. Eine interessante Lektüre zum Posener Thema. Kann ich jedem“Wektverbesserer“ nur empfehlen.

  16. avatar

    @Roland Ziegler: In Ihren beiden letzten Beiträgen haben Sie wunderbar – um nicht zu sagen unvergleichlich – auf den Punkt gebracht, um was es geht, bzw. gehen sollte.

    Ich kann Sie zu Ihrer Einschätzung nur beglückwünschen.
    Zuerst kommt immer die Freiheit, dann die Demokratie und danach alles andere.

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    @ Alt68er

    Vermutlich werden zahlreiche europäische Staaten im Herbst einen unabhängigen Palästinenserstaat anerkennen, einige förmich, viele faktisch. Deutschland wird den unabhängigen Palästinenserstaat mindestens faktisch anerkennen.

    Die zu erwartende Anerkennungswelle wird Israels Position schwächen. Und unberechenbarer machen.

    Auch Israel wird einen unabhängigen Palästinenserstaat mindestens faktisch anerkennen. Insofern es nämlich den unabhängigen Palästinenserstaat für alle Übergriffe auf israelisches Staatsgebiet und israelische Bürger voll zur Verantwortung ziehen wird.

    Sollte der unabhängige Palästinenserstaat auch noch (intern) demokratisch legitimiert sein bzw. werden, könnte Israel sich seinerseits zu einer ganz neuen – schrecklichen – Qualität der Kriegsführung legitimiert fühlen …

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    @Fatih Ersoy: Da Sie meine Kommentare zu dieser Frage aufmerksam gelesen haben, ist Ihnen nicht entgangen, dass ich die faktische Irrelevanz meiner Kriterien selber angeführt habe. Dieses Forum ist jedoch kein Entscheidungsgremium, das die in Rede stehenden Themen gestaltet, sondern ein vergleichsweise abseitiges Meinungs- und Diskussionsforum, wo man auch Gedanken äußern darf, die sich noch nicht im Mainstream etabliert haben und deshalb in den andernorts geführten Diskussionen notgedrungen irrelevant sind.

    Mir geht es darum, dass man bei einer Staatsgründung grundsätzlich auf die Qualität des zu gründenen Staates achten soll, statt sich in endlosen Diskussionen über Historie und Legitimation (Moral) zu verzetteln. Dem nach der Nazizeit neugegründeten westdeutschen Staat fühle ich mich dementsprechend nicht wegen meiner ethnischer Zugehörigkeit und einem daraus abgeleiteten Selbstbestimmungsrecht, sondern einzig wegen seiner freiheitlich-liberalen Verfassung verpflichtet. Ganz allgemein gesprochen: eine Diktatur lehne ich immer ab, ob sie nun einem freien Selbstbestimmmungsrecht des Volkes entspringt oder nicht.

    Natürlich können Sie wieder sagen, das ist mein privates Bier. Da haben Sie recht. Trotzdem bewerte ich so die Situation. Wer (angesichts meiner Bedeutungslosigkeit aus unbegreiflichen Gründen) um meine Unterstützung in der Palästinafrage werben will, muss mir zeigen, dass hier ein Staat entsteht, der die Unterstützung verdient. Sollte hier eine weitere Diktatur entstehen, lehne ich die rundweg ab.

    Was die Schwulenrechte angeht: Die sind keine Monstranz, wie Alt 68er meinte, sondern stellen erfahrungsgemäß (denken Sie z.B. an Schwule in der Nazizeit und in anderen Diktaturen) ein probates Kriterium dar, wann ein Staat in Ordnung ist und wann nicht. Wenn Ihnen das zu minderheitenlastig ist, schauen Sie auf die Frauenrechte; das sind die Rechte der Mehrheit. Werden solche „Gruppen“ geachtet, ist der zugehörige Staat meistens OK. Andernfalls bin ich gegen den Staat.

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    Herr Ziegler:

    „…@Alt 68er: Wenn man einen Staat gründen will, benötigt man Unterstützung von außen. Was nützt der schönste Staat, wenn es niemanden gibt, der ihn anerkennen will?…“

    Ihnen scheint nicht geläufig zu sein, dass Palästina bereits von ca. 130 Staaten weltweit anerkannt wurde.

    Ihre mit einer guten Postion verklärendem Philosemitismus gepaarte voluntaristisch-weltanschauliche Sympathie als persönliches Entscheidungs- und Positionierungskriterium in allen Ehren, für die tatsächlich entscheidenden Fragen in völkerrechtlicher und politischer Dimension sind diese weitestgehend ohne Belang. Wenn in dieser Frage Wertedebatten überhaupt von Relevanz sind, dann in soweit, als dass es nicht schaden kann, daran zu erinnern, dass ein universelles Wertesystem nicht nur von Schwulenrechten lebt, sondern insbesondere auf internationaler politischer Bühne ebenso an „Marginalien“ wie Rechtstreue gemessen wird. Gerade in diesem Kontext mutet es sehr zynisch an, wenn auf der einen Seite wertebezogene Argumentationsfiguren ins Feld geführt werden, während es gerade der Westen ist, der auf der anderen Seite seit Jahrzehnten alles nur erdenkliche unternimmt, um das internationale Rechtsgefüge in dieser Frage zu suspendieren und Tel Aviv eine Politik aus dem rechtsfreien Raum heraus zu ermöglichen. Es paast nicht zusammen: zum einen Werte beschwören, zum anderen willkürlich dem Recht des Stärkeren das Wort reden.

  20. avatar

    @Alt68er

    Sie haben Recht, aber das ist die Vergangenheit. Und die jüngsten Entwicklungen deuten m.E. daraufhin dass sich ein Wandel vollzieht, selbst wenn es bei Netanjahu noch nicht angekommen ist.

    Dort wo d e r Kapitalist Profit riecht 🙂 investiert er.

  21. avatar

    @ EJ

    ich sehe es ähnlich skeptisch wie Avishai Margalit. Und dann? Wie wird dann auch unsere fabelhafte Merkel-Administration manövrieren? Angela Merkel soll ja schon einmal Benjamin Netanyahu den Marsch geblasen haben. Was meinen Sie, wie „wir“ uns positionieren sollten?

    @ Moritz Berger

    das wesentliche der Wirtschaftsadministration der Westbank durch Israel steht in den letzten beiden Absätzen des ersten Links

  22. avatar

    @ Roland Ziegler

    Es gibt die Charta der Hamas und es gibt (ich kann das nicht quantifizieren, wieviele) Palästinenser, die Israel nicht anerkennen wollen.

    Daneben gibt es jetzt die Vereinbarungen von Kairo. Diese kann man natürlich so bewerten, wie das die Netanyahu-Administration macht, dass sich die PA der Hamas unterworfen hat. Man könnte dies auch als einen Meilenstein eines Prozesses auffassen, dass auch die Hamas anerkennt, dass Bedingungen zu schaffen sind, die zu einer Anerkennung eines Palästinenserstaates führen können, d.h. dass sie also das Existenzrecht Israels anerkennen werden müssen (auch wenn sie das „ungerecht“ finden). Wenn sie vor die UNO gehen, werden sie dort nicht mit dem Anspruch auf das ganze Palästina auftreten können. Die Ansprüche zeichnen sich ab: Grenzen von 1967, die arabischen Teile von Jerusalem.

    Netanyahu und die Seinen sind jedoch m.E. nicht interessiert, zu einem „schmerzhaften“ Kompromiss zu kommen. Das Ziel ist ein Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan, das alte jüdische Heimatland; bis man dies unverblümt deklarieren kann, wird man den Status quo weiterbetreiben, die Siedlungen fortsetzen und den Palästinensern die Schuld geben, dass sie alle „großzügigen Angebote“ Israels zurückweisen und wieder mal ihre Chance vermasseln. So diktiert Netanyahu der PA: Entweder Friede mit der Hamas oder Friede mit Israel. Das ist wohl offenkundig „alternativlos“. Nicht die Existenz Israels steht in Frage, sondern die Existenz eines Palästinenserstaates.

  23. avatar

    @Alt 68 er: Eine Staatsgründung mit Anerkennung Israels als Nachbar würde in vielen Ländern ihrerseits Anerkennung finden; das ist ja gerade das, was ich sage. Ohne diese aber nicht.

    Und leider findet diese Anerkennung nicht statt, man sollte es nicht für möglich halten. Immer noch nicht. Dabei ist sie seit Jahrzehnten überfällig, wird immer wieder eingefordert. Wie jeder weiß, steht in der „Charta“ der Hamas (und nicht nur da) etwas ganz anderes. Warum wurde das nicht längst gestrichen und durch das Gegenteil ersetzt? Eine Anerkennung, die einen Weg in die eigene Anerkennung eröffnen würde?

    Sie sagen, es wären da „ein paar Personen und Gruppierungen“ zu finden, die die Israelis vollständig vertreiben wollten. Wie es ja auch umgekehrt auf der israelischen Seite entsprechende gäbe. Nun geht es aber um das Bekenntnis zu guter Nachbarschaft, um die Anerkennung Israels als notwendige Bedingung einer eigenen Staatsgründung. Und die scheitert an den palästinensischen „Personen und Gruppierungen“, nicht an den israelischen. Wieso lässt man sich von solchen vernagelten „Personen und Gruppierungen“ den Frieden verhageln? Wieso lässt man zu, dass solche „Personen und Gruppierungen“ darüber bestimmen dürfen, dass man kein „Herr“ werden darf, sondern weiter „Knecht“ bleiben muss? Man hat es selbst in der Hand, warum schickt man diese furchtbaren „Personen und Gruppierungen“ nicht endlich dahin, wohin sie gehören: in die Wüste der Bedeutungslosigkeit?

    Israel ist ein bereits fertiger Staat. Er ist gut gelungen, finde ich zumindest. Palästina wird erst noch gegründet, ob es gut gelingt, wird sich finden. Wenigstens ein Bekenntnis zu Freiheit und guter Nachbarschaft ist für eine Staatsgründung von heute nicht zuviel verlangt. Bevor jedenfalls ich meine – zugegeben völlig unmaßgebliche – Unterstützung zu diesem Projekt äußere, will ich das sehen: ein glaubwürdiges, maßgebliches und machtvolles Bekenntnis zu Freiheit. Sowohl im eigenen Zusammenleben (der Geschlechter, Religionen, Meinungen) als auch im Zusammenleben mit den Nachbarn.

    Aber ich wiederhole mich.

  24. avatar

    @ Roland Ziegler

    Sie schreiben „Wenn man einen Staat gründen will, benötigt man Unterstützung von außen. Was nützt der schönste Staat, wenn es niemanden gibt, der ihn anerkennen will?“

    Wollen wir mal wetten, wieviel Unterstützung eine palästinensische Staatsgründung weltweit bekäme, käme die Causa vor die UNO? Anerkennung von zuletzt solchen Schurkenstaaten wie Argentinien und Brasilien? Müßten nicht die USA (trotz der prononcierten Forderung Obamas nach einer Zweistaatenlösung ausgehend von den Grenzen von 1967) ihr Veto einlegen (und die unglaubliche Merkel-Administration enthält sich bei der Abstimmung der Stimme). Es gilt umgekehrt, wenn man eine Staatsgründung, die in aller Welt Anerkennung finden würde, verhindern will, braucht man nur das Veto der USA (das wird man eintreiben; Obama wird man schon zeigen können, welche Weltmacht mit welcher Weltmacht wackelt).

    „Man erwirbt es [das Vertrauen] nicht, indem man verkündet, dass man seine Nachbarn restlos vertreiben wird und interne Brüderkriege ausficht.“

    Gewiss finden Sie Personen und Gruppierungen, die die Israelis am liebsten vertreiben würden, ebenso wie Sie Personen und Gruppierungen auf israelischer Seite (und das sind nicht nur randständige Figuren) finden, die für einen Transfer der Palästinenser sind. Die Israelis werden immer Gründe finden, dass man mit den Palästinensern keinen Frieden schließen kann; mal ist es deren Uneinigkeit (Brüderkriege); wenn die sich dann einigen mit dem Ziel von demokratischen Wahlen in Judäa, Samaria und Gaza, spricht Mr. Netanyahu zu Abu Mazen und der PA, Ihr müßt wählen zwischen einem Frieden mit der Hamas oder einem Frieden mit uns. Jetzt ist die Einigkeit ein Friedenshindernis.

    Die Politik Israels ist Divide et Impera. Spalte den Gegner in Widerständler und Kollaborateure und sage den Kollaborateuren, ihr müßt mit uns gegen die Terroristen (Widerständler) kämpfen!

    Wie ich schon darstellte, glaube ich, dass Israel unter der jetzigen Administration (und ich sehe keine Opposition, die entschieden dagegen kämpft) unter Fortführung des jetzigen Status Quo die Palästinenser in Israel und den Gebieten delegitimieren wird, das „alte jüdische Heimatland“, Judäa und Samaria annektieren. Für die Palästinenser sind die Stöckchen (z.B. unteilbares Jerusalem) immer so hoch, dass sie darunter durchspringen. Für die Palis, die nicht freiwillig aus dem Feld gehen, gibt es ein paar scheinautonome Fetzen Land, die untereinander keine Kontiguität haben.

    Dann jedoch wird Israel erklären müssen, was Sie die Palästinenser fragen, „Wo genau der Staat liegen soll, wie er intern strukturiert sein wird, wie die Rechte der Staatsngehörigen aussehen sollen, dass man mit seinen Nachbarn in Frieden leben will usw.“. Sind die in Groß-Israel (einschließlich der „autonomen Gebiete“) lebenden Palästinenser Staatsbürger, haben sie gleiche Bürgerrechte oder sind sie Bürger minderen Rechts? Haben sie gleiches oder gar kein Stimmrecht? Wer entscheidet über die Ressourcen, über das Bodenrecht, das Eigentum im Heiligen Land? Vielleicht bietet man den Palästinensern an, bei uns könnt ihr euch bequem nackt ausziehen und Musik und freie Liebe und Homosexualität machen? Zeigt, dass ihr was von Freiheit versteht.

    Schauen Sie, nicht die Palästinenser werden Glaubwürdigkeitslücken haben, sondern die Israelis. Das friedliche Herrenvolk.

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    @Alt 68er: Wenn man einen Staat gründen will, benötigt man Unterstützung von außen. Was nützt der schönste Staat, wenn es niemanden gibt, der ihn anerkennen will? Diese Unterstützung ist nicht unmittelbar da, man muss sie erwerben. Wesentlich dafür ist das Vertrauen in ein friedliches Wesen des zukünftigen Staats, sowohl nach außen als auch nach innen hin. Dieses erwirbt man, indem man sagt, wohin die Reise gehen soll. Wo genau der Staat liegen soll, wie er intern strukturiert sein wird, wie die Rechte der Staatsngehörigen aussehen sollen, dass man mit seinen Nachbarn in Frieden leben will usw. Man erwirbt es nicht, indem man verkündet, dass man seine Nachbarn restlos vertreiben wird und interne Brüderkriege ausficht.

    Bei einem Gulag oder einem Gefängnis mag das anders sein. Bei der in Rede stehenden Staatsgründung ist es jedenfalls so. Gulag bzw. Gefängnis sind unpasssende Metaphern, die spätestens hier offensichtlich hinken.

  26. avatar

    @ KJN

    ich dachte immer, wenn wir hier verschiedene Themen diskutieren, es dabei auch heiß und kontrovers zugeht, wir dabei nicht um Alles und das Ganze diskutieren. Gut, das Thema ist nun mal mein „Hobby“; ich kann auch verstehen, dass man hier nichts oder wenig sagen will.

    @ Roland Ziegler

    Ich vermute zwar, dass in der Weltgeschichte man zuerst die Herrschaft von außen loswerden will, bevor man daran geht, die inneren Herrschaftsstrukturen einzuebnen. Versuchen Sie mal in einem Gefängnis oder Gulag Autonomie und Selbstbestimmung der Insasssen einzuführen; glauben Sie, die Insassen würden dort „direkt und ohne Voraussetzungen“ die Machtungleichgewichte einebnen? Aber wohlan – ich würde die Welt auch besser finden, wenn alle „zielführend“ handeln würden, nicht kontraproduktiv, wenn es gelingen würde, wie Sie sehr schön zitiert haben , aus dem Alptraum der Geschichte zu erwachen versuchen. Was meinen Sie, was steht mehr in Frage, das Existenzrecht Israels oder das Existenzrecht der Palästinenser?

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    @alt 68 er: Was Sie zum Herr/Knecht-Verhältnis und dem daraus resultierenden Fundamentalismus sagen, mag in psychologischer Hinsicht zutreffend sein; zielführend oder wenigstens notwendig ist Fundamentalismus nicht.
    Im Gegenteil sorgt der Fundamentalismus dafür, dass man Knecht bleibt.

    Nach meiner bescheidenen Meinung wird es in diesem Konflikt eine Zweistaatenlösung geben; die Frage ist nur, wann. Vielleicht noch nicht jetzt. Die Aufrechterhaltung des Status Quo in alle Ewigkeit ist jedenfalls genauso schwer vorstellbar wie ein gemeinsamer Staat. Grundbedingungen dafür sind wie gesagt Anerkennung von Israel und eine Klärung der Gebiete.

    Insb. ersteres – die Verweigerung der Anerkennung – lässt mich nur mit dem Kopf schütteln. Ich würde mich niemals mit jemanden an einen Tisch setzen, von dem ich weiß, dass er meine Existenz vernichten will. Schon gar nicht, wenn ich gerade mit Mühe und Not und schwersten Blessuren aus einer existentiellen Bedrohung herausgekommen bin. Dass die Israelis das trotzdem (gelegentlich) tun, empfinde ich als anerkennenswertes Zugeständnis.

    Meines Erachtens sollten die Palästinenser bereits jetzt, unmittelbar, das von Ihnen als „intra-national“ angesprochene ureigene Herr/Knecht-Verhältnis genauer ins Auge fassen. Das ist etwas, das sie in ihrer eigenen Hand haben. Sie können es direkt und ohne Voraussetzungen einebnen. Sie könnten eine unterstützenswerte, moderne, freiheitliche, egalitäre Agenda formulieren. Die Unterstützung der Weltgemeinschaft wäre ihnen sicher. Der eigene Staat wäre näher als je zuvor.

  28. avatar

    @Roland Ziegler
    „Frauen, Schwule und andere können sich besser entfalten; es wird mehr Musik gemacht; es gibt eine größere Vielfalt, die mir gefällt und die ich schützenswert finde; es ist generell mehr erlaubt.“
    Vergessen Sie uns Männer nicht!
    Aber schon recht: Was soll man sonst sagen, als Jude oder Nichtjude? Meine ich.
    @Alt 68er
    Der Weltfrieden hing in der Vergangenheit nicht am israelisch – palästinensischen Konflikt – er wird es auch in Zukunft nicht tun.

  29. avatar

    Ergänzung, Korrektur:

    ….nicht ganz egal, aber das ist nicht entscheidend, ob sie, die Herren, kultiviert oder unkultiviert, freizügig oder nicht freizügig sind. ….

  30. avatar

    @ Roland Ziegler

    Sicher, es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen, gilt auch auf diesem Territorium. Ich bin wie Sie ein Freund von Sommer und frischer Luft und Wasser. Ich habe jedoch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass man seine Argumente noch (am Widerstand, am Anderen) wetzen kann.

    Den Knechten – im Hegelschen und Sartreschen Sinne – ist es vermutlich nicht ganz egal, aber das ist nicht entscheidend, ob sie kultiviert oder unkultiviert, freizügig oder nicht freizügig sind. Der Knecht, so armselig seine Verhätnisse und Möglichkeiten – statt ritterlichem Kampf Märtyrertum – sind, behauptet seine „Freiheit“, indem er dem Herrn die Entscheidung über das Fortbestehen seiner Existenz vorenthält, dem Herrn die Anerkennung versagt. Solange das Herr-Knecht-Verhältnis mitsamt der Asymmetrie der Mittel im (Un-)Heiligen Land besteht, werden von den Knechten radikale, fundamentalistische Kräfte als Ikonen des Widerstands und eines „Freiheitskampfes“ anerkannt. Jeshajahu Leibowitz sagte, die Palästinenser werden durch den Shin Bet (den Inlandsgeheimdienst)und seine Faust regiert. Und Hegel sagt, der Knecht erwartet den Tod des Herrn.

    Gesetzt, die Palästinenser erringen eine staatliche Unabhängigkeit (was ich nicht erwarte, insofern ich geneigt bin, zu postulieren, dass die Israelis mehr und mehr vom Bibel-Code beherrscht werden), würden dort nicht gleich alle westlichen Freiheitsrechte, Freikörperkultur und andere Freiheiten, gender- und queer mainstreaming (interessant ist, wie der Westen inzwischen wie eine Monstranz des burden of the white man die Schwulenrechte vor sich herträgt) ausbrechen. Sie hätten zuerst lediglich ihre eigenen (Herrschafts-)Strukturen und müssten dort intra-national, nicht inter-national die Herr-Knecht-Dialektik in Angriff nehmen. Das wär doch ein Anfang.

    Natürlich, die Verteidigungsfähigkeit Israels muss gewährleistet sein. Aber bitte, woher sollte denn bei den gegebenen technischen Möglichkeiten der Feindaufklärung und einer israelischen Waffenüberlegenheit, die wohl Lichtjahre beträgt, ein „Überraschungsangriff“ kommen? Schleichen sich die Jordanier das Jordantal (mehr als 1000 Meter Höhenunterschied mit 2 Strassen) hoch, die Ägypter durch den Sinai, die Saudis durch die arabische Wüste, die Syrer konzentrieren ihre Panzer unbemerkt auf dem Golan, könnten die Palästinenser unbemerkt ausreichende Angriffskräfte in Stellung bringen? In unserer Zeit ist doch wohl weniger Territorium entscheidend, sondern Vorsprung in Informationstechnologie. Gefährlich würde es erst, wenn die Feinde in der Lage wären, sowas wie Stuxnet zu programmieren und in Dimona, dem IDF oder dem Mossad zu plazieren. Über den Wert der Westbank zur Verteidigung Israels hat Martin van Creveld hier geschrieben: http://www.forward.com/articles/133961/

  31. avatar

    @Alt 68er: Es ist Sommer, und das Thema geht mir vergleichsweise auf die Nerven, weil so viele Leute so viel dazu sagen. Aber gut, versuchen wirs mal. Der entscheidende Grund, warum ich die israelische Position unterstütze, hat mit historischen oder gar biblischen Legitimationen nichts zu tun. „Geschichte ist ein Alptraum, aus dem ich zu erwachen versuche“, schrieb J.Joyce.

    Warum unterstütze ich die israelische Position? Weil der israelische Staat besser verfasst ist als alle staatlichen Gebilde bzw. Agendas ringsherum. Frauen, Schwule und andere können sich besser entfalten; es wird mehr Musik gemacht; es gibt eine größere Vielfalt, die mir gefällt und die ich schützenswert finde; es ist generell mehr erlaubt.

    Jetzt gibt es Leute, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, diesen freiheitsliebenden Staat zu vernichten. Dafür führen sie historische Gründe an, also die Vergangenheit. Sieht man sich an, was diese Leute in der Gegenwart machen, bekommt man, sagen wir, ein schlechtes Gefühl für die Zukunft.

    Was folgt daraus? Die Minimalbedingungen, diesen Leuten wohlwollend zuzuhören, sind zum einen, dass sie darauf verzichten, Israel vernichten zu wollen. Hilfreich wäre es sogar, wenn ihre eigene Agenda ähnliche, womöglich sogar mehr individuelle Freiheitsrechte enthielte. Zum Zweiten muss ergänzend sichergestellt sein, dass Israel nicht in einem Überraschungsangriff überrollt werden kann. Zu diesem Zweck werden einige Gebiete von Israel benötigt, z.B. die Golanhöhen. Dieser zweite Gesichtspunkt ist gewissermaßen die Absicherung für den ersten, der ja nur eine Absichtserklärung wäre.

    Wenn Sie jetzt sagen, das ist ziemlich allgemeines Zeugs, haben Sie recht. Konkreter gehts bei mir aber nicht.

  32. avatar

    @ derblondehans

    Zynisch? Ich bin nicht zynisch, eher verzweifelt.

    Ich habe eine Hypothese, die mindestens so wahrscheinlich ist wie das Narrativ, dass der Friede im Heiligen Land schon längst blühen könnte, wenn nur nicht die Palästinenser alle Chancen immer wieder vermasselt hätten: ich halte es für eine illusionistische Gaukelei, einen Unterschied zu machen zwischen den „problematischen, extremistischen Siedlern“ und der mehr oder weniger offenen, mehr oder weniger versteckten Agenda israelischer Administrationen, zumal der jetzigen, das „alte jüdische Heimatland“, wie Netanyahu im Congress sagte, Samaria und Judäa in Besitz zu nehmen, faits accomplis zu schaffen, die Palästinensischen Ansprüche zu delegitimieren und das Land zu „erlösen“. Die Siedler sind in dieser Agenda Minenhunde, die austesten, wie weit man gestern, heute und morgen gehen kann. Die Ansprüche Israels auf Judäa und Samaria stehen in der Bibel, sind ihm vom Allerhöchsten versichert. Nun, so unverblümt würde man sich im Diplomatischen Corps nie äußern, aber die Signale kann man doch hören? Wir haben es mit einem Fundamentalismus im Herzen des jüdisch-abendländischen Westens zu tun. Ein Hoffnungsschimmer könnte sein, dass der säkulare Mainstream wenigstens in Europa diesen Fundamentalismus gründlich satt hat. Juden und Christen und Mohammedaner müssen sich dann noch entscheiden ob sie noch an den Gott der Patriarchen glauben können, wenn man seine Verheißungen für den politischen Gebrauch für überholt und obsolet hält.

    Ich habe auch keine Lösung (die jedoch nicht so schwer wäre, wenn das Thema nicht so ideologisch, weltanschaulich, religiös aufgeladen wäre). Da die Hoffnung jedoch immer zuletzt stirbt, wie die Ossis sagen, eine Utopie: vielleicht erklärt man irgendwann die Altstadt von Jerusalem zu einem Museum gefährlicher Religionen. Der große jüdische Denker Jeshajahu Leibowitz hat das Treiben an der Westmauer für einen Götzendienst gehalten, über das Treiben in der Grabeskirche und auf dem „Tempelberg“ hat er sich vornehm nicht geäußert.

    @ Fatih Ersoy

    Ich stimme Ihnen voll zu. Jetzt müßte man nur noch die argumentativen Wackelpuddinge an der Wand fixieren können.

    Das Kommentariat hält sich auf diesem Thread merkwürdig zurück.

  33. avatar

    Mir kommen gleich die Tränen:

    „…Es ist zwar ungerecht, immer vom jüdischen Staat den ersten Schritt zu erwarten. Doch anders wird die Meinung der oftmals zweifellos selbstgerechten Öffentlichkeit sicherlich nicht zu beeinflussen sein….“

    Das Wesen der Sackgasse, in der die Welt in dieser Frage steckt, besteht primär und nicht erst seit gestern in dem Umstand, dass Israel sich mit dem palästinensischen Zwerg im rechtsfreien Separee einigeln und ihm seine rein politischen, (wasser-)strategischen und ideologisch-religiös fundierten Bedingungen diktieren will, obgleich es einen an sich verbindlichen völkerrechtlichen Rahmen gibt, auf dessen Grundlage Israel schon seit langem Frieden und Anerkennung durch die gesamte arabische Welt haben könnte, wenn es nur wollte. Obama treibt Israel argumentativ in die Ecke? Das ist genauso ein Mythos, wie das Gerede vom sturen und trotzigen Israel, das sich auf Druck nur noch weiter verhärte. Um eine solche Aussage treffen zu können, müsste man zumindest ein einziges Mal versucht haben, echten und substanziellen Druck auf Tel Aviv auszuüben. Außer völlig folgenlosem politischen Gerede gab es diesbezüglich nicht einen einzigen konkreten Schritt – und das bei einer Jahrzehnte währenden Kontinuität an knallharten Völkerrechtsverstößen, für die man andere schon längst in die Steinzeit zurückgebombt hätte. Erzählen Sie hier also nix von Druck auf Israel. Israel hat völlige Narrenfreiheit, agiert ausschließlich aus der Position des Rechts des Stärkeren. Und wenn Obama und EU politische Kritik in Richtung Israel üben, dann nur deswegen, weil der undankbare und verwöhnte Sprössling nicht einmal ansatzweise zu schätzen weiß, wie schwierig und heikel die Bedingungen für die westliche Welt von Tag zu Tag werden, irgend jemandem gegenüber noch irgendwie glaubwürdig kommunizieren zu können, warum eine Internationalisierung des Konflikts auf der Basis der völkerrechtlichen Rahmenbedingungen unter allen Umständen zugunsten eines zu „verhandelnden Kompromissfriedens“ vermieden werden muss.

  34. avatar

    Korrektur: @Alt 68 er

    Und jetzt mal ganz sachlich und ohne Emotionen:
    Könnten Sie den Gebietstausch, von dem Sie schreiben, mal präzisieren? Phantasieren Sie doch mal,…

    … kann ich, ich tu ’s aber nicht, ’s steht mir nicht zu. Ihr Zynismus nützt nix. Was ich geschrieben habe sind Tatsachen. Wenn Sie wollen – ändern Sie ’s, mit einem Vorschlag?

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    @ derblondehans

    „Es wird keine Zweistaatenlösung geben.“ – Das befürchte ich auch. Sie begründen das auch: von alters her ist dieses Land „Palästina, besser Judäa und Samaria“, von Gott den Juden versprochenes Land. Dieser Rechtsanspruch ist doch für Sie als Christenmensch unbestritten; während andere Ansprüche keine Legitimationsgrundlage haben, Schall und Rauch sind, von der Geschichte verweht.

    „Israel kann gar nicht anders handeln, als wie von Netanjahu in Amerika begründet.“ Widersprechen Sie sich da nicht? Netanyahu hat doch in Washington ein überaus „großzügiges Angebot“ gemacht, sehr großzügig, was den Grenzverlauf angeht, sehr großzügig, was die Unteilbarkeit von Jerusalem angeht, sehr großzügig, was die Militärpräsenz im Jordantal angeht, darüber hinaus Ihrem „Flickenteppich“ eine großzügige Souveränität versprochen, einen Freistaat, Freigehege für Islamfaschisten. Ist Netanyahu von allen guten Geistern verlassen?

    Und jetzt mal ganz sachlich und ohne Emotionen:

    Könnten Sie den Gebietstausch, von dem Sie schreiben, mal präzisieren? Phantasieren Sie doch mal, Sie dürfen Grenzen verschieben. Und, falls diese Maßnahme nicht machbar ist, was sollen den die Israelis mit den unverbesserlichen Islamfaschisten im Heiligen Land machen? Besser einsperren, einen Transfer organisieren, oder ihnen etwa „one man, one vote“ gleiche Bürgerrechte in einem jüdischen Staat geben? Na ja, alles ist möglich; es gab hier schon Initiativen, die Bürgerrechte für Primaten forderten.

    Sie sehen, der Schlaf der Vernunft gebärt Alpträume.

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    Herr Böhme: „Hier geht es eben um Prinzipien, nämlich ein Israel in sicheren Grenzen. Und wer könnte ihm da widersprechen? Selbst der Chef im Weißen Haus nicht.“

    Joa, so ein paar hundert UN-Resolutionen widersprechen ihm schon 😉 .

  37. avatar

    Ich hatte es ähnlich hier schon mal geschrieben. Aber es passt.
    Es wird keine Zweistaatenlösung geben. Das Machtstreben, die Menschenverachtung und die Aggressivität des politischen Islamfaschismus wird das nicht zulassen.

    Eine Lösung aber wäre ein Gebietsaustausch zwischen Israel, Syrien?, Jordanien und Ägypten. Wie immer der aussehen mag. Ohnehin – wie soll eine ‚Flickenteppich‘, selbst in den Grenzen von 1967, als ein selbständiges ‚Palaestina‘ unabhängig, im wahrsten Sinn des Wortes, neben Israel existieren? Auf Kosten Europas wie bisher? Oder wie? Ich fasse es nicht.

    Zur israelischen Politik. Meine Meinung.

    Niemand kann/wird bestreiten, dass es auf israelischer Seite der Siedlungsbau und das Verhalten ‚Extremer Siedler‘ in den besetzten Gebieten ‚problematisch‘ dasteht. Das wurde selbst mal von Olmert u.a. kritisiert.

    Und jetzt ganz sachlich und ohne Emotionen:

    Wer sich die Karte zur Staatsgründung Israels ansieht, berücksichtigt, dass Israel seit dieser Zeit von mohammedanisch/arabischen Anrainern angegriffen wird, sich faktisch seit 60 Jahren im Kriegszustand befindet, dann würde ich aber ebenso handeln, also strategisch wichtige Gebiete, beispielsweise die Golanhöhen u.a., vollständig kontrollieren zu wollen. Ohne wenn und aber.

    Dazu muss man nicht mal Militärexperte sein um das zu sehen. (Ich wäre nicht erst nach etwa 8.000 auf israelisches Gebiet abgefeuerte Raketen in Gaza einmarschiert, sondern nach der ersten.)

    Wenn die Frage gestellt wird ob das gerecht ist, sage ich, die (notwendige) Selbstverteidigung Israels ist gerechtfertigt. Im Interesse der dort lebenden Menschen gerechtfertigt.

    Auch sollte man sich erinnern, dass es zwischen 63 v. Chr. und 1948 im Gebiet des von den Römern verächtlich bezeichneten Palaestina, keine staatliche Unabhängigkeit gab.

    Palaestina, besser Samaria und Judäa, gab es zunächst als römische Provinz, dann eine Region an der südöstlichen Küste des Mittelmeeres, dann ‚byzantinisch-christlich‘, dann ‚arabisch-islamisch‘ erobert, dann hunderte von Jahren zum osmanischen Reich gehörend, also Kolonie.

    Und zuletzt Völkerbundsmandat – mehr war Palaestina nicht. Ein Begriff/Name für eine Region, nicht mal von den dort ansässigen Menschen vergeben, kein Staat.

    Israel kann gar nicht anders handeln, als wie von Netanjahu in Amerika begründet. Oder es hat fertig. Das sollte jedem ‚Intelligenten‘ eigentlich klar sein.

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    Mir scheint das Israel-Palästinenser-Problem der letzten Jahre nicht zuletzt darin zu bestehen, das rechte Politik auf rechte Politik trifft. Das läuft immer nur als Konfrontation ab.

    Wenn sich nicht auch die (jungen) Pälästinenser noch der „Arabischen Revolution“ anschließen und ihren Verführern und Unterdrückern die Basis entziehen, besteht für palästinensische Seite wenig Hoffnung auf Änderung ihrer Politik. Bleibt nur Israel, von dem man eine intelligente (= linke), die allfälligen Konfrontationen nach Möglichkeit von vornherein unterlaufende Politik erwarten kann.

    Obamas Rede habe ich als einen Appell an Israel genau in diesem Sinne verstanden: Lasst uns mit Intelligenz siegen! Aber natürlich, das ist das Problem, Rechte verstehen genau einen solchen Satz nicht. Intelligente Politik? – Rechte wissen gar nicht, wovon die Rede sein könnte.

    Konfrontation ist die Sprache der Rechten. Und verstehen wird rechte Mehrheits-Fraktion in Israel womöglich erst, wenn es nach der Anerkennung eines Palästinenserstaates auch durch westliche Staaten zu einer innerwestlichen Konfrontation kommen wird.

  39. avatar

    „The problem is that Netanyahu has no motivation to maneuver Hamas into moderation, because an extremist Hamas is really Netanyahu’s best friend. A Hamas that moderates its stance and takes the way of the IRA from a terror organization to a legitimate party in a peace process is an existential threat to Netanyahu’s political future. Without a hard-line Hamas, he would be left with no case against a Palestinian state, and he would have to face open conflict with the hard-line right-wingers in his own party and in his coalition in actual moves towards peace.

    Expect Netanyahu to do everything to torpedo recognition of Palestine; expect him to try to weaken Fatah, Abu Mazen and Fayyad, and thus to strengthen Hamas’ extremist wing. As a result, Israel’s legitimacy will indeed come under ever more fire. But let’s face it: this is good for Netanyahu. No right-wing politician ever stayed in power if he didn’t succeed in frightening his electorate to death.“ (Quelle: http://www.haaretz.com/blogs/s.....e-1.363066)

    Gibt es hier jemanden, der glaubt, dass für Netanyahu, Lieberman und Co. (und das sind nicht nur die Siedler und der rechte Flügel) die „umstrittenen Gebiete“, Judäa, Samaria nicht integrale und unverzichtbare Bestandteile Israel sind? http://www.torahalive.com/Shomron.htm

    Könnten Sie sagen, Herr Böhme, welche „Kompromisse“ hier geschlossen werden können?

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