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Neujahrswunsch: endlich einen Minister für gesunden Menschenverstand

Dies ist eine Jahrhundertidee, aber leider nicht von mir. Über die Feiertage habe ich einen wahren Berg an ungelesener Post und alten Zeitungen abgearbeitet. Darunter eine saustarke Meinung von Jeremy Clarkson. Die könnte man ohne weiteres klauen. Wer liest hierzulande schon englische Zeitungen?

Clarkson fordert einen „minister for common sense“, der als Sachwalter einer Alltagsklugheit jedweden Blödsinn untersagt.  Das finde ich fabelhaft, ohnehin ist dieser englische Journalist  mein großes Vorbild. Ich bewundere ihn, obwohl er mich mehrfach „the dodgy hun“ genannt hat, was soviel heißt wie der verrückte Deutsche („hun“ von Hunne) oder „nazi prat“. Ihm behagen meine preußischen Manieren nicht. Da kommen dann die historischen Vergleiche unsäglicher Art. Engländer dürfen das, weil sie den Krieg gewonnen haben. Weltberühmt haben Clarkson seine Eskapaden als Motorjournalist gemacht. Die BBC-Sendung „Top Gear“ gehört zum Abgedrehtesten, was der Journalismus zu bieten hat. Aber richtig gut ist er in seinen Meinungs-Kolumnen in der „Sunday Times“, in denen er sich als bürgerlicher Anarchist um politisch Unkorrektes bemüht. Im Gegensatz zu Henryk M. Broder oder anderen Rollenkaspern ist Clarkson völlig unberechenbar. Er schreibt die Wahrheit auch dann, wenn sie nicht absurd ist; das ist sehr selten bei Satirikern.

Und so fällt ihm zu WikiLeaks nur der Verweis auf den gesunden Menschenverstand ein, nach dem beim Zusammenbruch aller Geheimnisse und jedweder Privatheit ein gesellschaftliches Leben nicht mehr möglich ist. Ein starkes Argument: Wenn WikiLeaks Schule macht, ist keine Politik mehr möglich, auch keine Friedenspolitik. Blamiert und ausspioniert werden die Mächte wieder die Waffen sprechen lassen. Das kann niemand, der bei Verstand ist, wollen. Ein Minister für gesunden Menschenverstand würde einschreiten.

Bevor wir uns für Angela Merkel den Kopf zerbrechen, wer als Minister für den Common Sense in das Bundeskabinett einziehen sollte, muss man sich erst mal mit sehr deutschen Problemen beschäftigen. Das fängt schon bei der Sprache an. „Common Sense“, das klingt gut, wie „Commonwealth“, aber im Deutschen ist der Menschenverstand nicht nur ein „allgemeiner“, sondern sofort „gesund“, was den Schluss nahelegt, dass es auch „kranken“ Menschenverstand gebe.

Und Krankheiten gilt es auszumerzen. Da aktiviert sich ein gesundes Volksempfinden. In einem Land, in dem es mal ein „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ gab, ist Sorglosigkeit bei solchen Begriffen fehl am Platze. Das Problem mit Ressentiments in der Politik ist ja, dass sie nach geeigneter Propaganda beinahe jedermann teilt.

Wir reden aber von etwas ganz Natürlichem, der bodenständigen Vernünftigkeit einfacher Leute. Diesen Alltagsverstand will man an der Macht sehen. Also jetzt doch der Personalfrage: Wer könnte das im Kabinett Merkel sein? Nicht die Kinder und die Kindsköpfe, womit die Schröders und Röslers außen vor sind. Oder die Fallschirmspringer der FDP. Auch nicht die von Altersbosheit gezeichneten oder jene, die selbst die konservative Presse inzwischen „Großflops“ nennt; adé für Schäuble und Westerwelle. Und bei KTG haben wir zurecht den Verdacht, dass er, BILD sei Dank,  nicht Kanzler werden möchte, sondern Kaiser. Ursula von der Leyen stünde als Sissy bereit, wenn KTG nicht schon verheiratet wäre.

Die Lösung liegt in einem anderen Amt: Der Bundespräsident sollte das doch können. Christian Wulff als Prinzip der Vernunft? Wenn es dazu nur einen Funken der Hoffnung gäbe. Seine Weihnachtsansprache war von der philosophischen Brillianz eines Glückskekses: Wir sollen Respekt haben und hilfsbereit sein, sagt er, und zwar im Stehen.

Und das preist die Republik als eigentliche Innovation: Wulff hat es im Stehen gemacht. Hurra. Natürlich geht es auch anders. Man muss Elisabeth II, die englischen Kollegin von Wulff, in ihrer Weihnachtsansprache zur „King-James-Bible“ (das ist die Luthersche Großtat für England) gehört haben: zwischen Bildung und Klasse auf der einen Seite und Gefälligkeit und  Gemeinplatz auf der anderen liegt mehr als nur der Ärmelkanal.

Grinsende Gemeinplätze sind aber etwas anderes als die solide Skepsis des Bodenständigen. Der Lübke-Epigone Wulff als Höhe der praktischen Vernunft: echt jetzt? Nein, machen wir uns das klar, der Ort des gesunden Menschenverstandes ist nicht die Politik.

Stimme verleihen kann dem gesunden Menschenverstand nur eine freie und selbstbewusste Presse. Wenn sie es denn täte. Meine Zweifel wachsen mit jedem Blatt, das ich in die Hand nehme. Mit diesem Neujahrswunsch wird es werden, wie mit meinen anderen beiden; dass ich nie mehr über’s Maß trinke und zehn Kilo abnehme. Sie werden den Dreikönigstag nicht überleben.

Ich weiß gar nicht, warum ich immer wieder auf die starken Meinungen von Clarkson anspringe. Sicher war sein Vorschlag nur die bittere Ironie eines Gentleman, jener schwarze Humor, auf den Preußen wie die Trottel reinfallen?

Die Ideen der Engländer sind einfach nicht mehr, was sie mal waren. Erinnert mich an Monty Python: die legendäre Satirikertruppe hatte das „Ministerium für alberne Gangarten“ erfunden. The Minister of funny walks parodierte den preußischen Stechschritt. Wehe dem, der die Ironie-Signale nicht sieht. Reden wir, so hieß das in Preußen, über’s Räsonnieren: Der Menschenverstand ist vielleicht am Ende nur gesund, wenn er der Macht misstraut. Deshalb bekleidet er keine Ministerämter, er tobt am Stammtisch, in der Kaffee-Ecke vom Büro, auf den Marktplätzen, in den Blogs, und gelegentlich erreicht er auch mal einen Leitartikel der Tagespresse. Selten genug.

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5 Gedanken zu “Neujahrswunsch: endlich einen Minister für gesunden Menschenverstand;”

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    ERRATA: SILLY walks, natürlich. Ach, hätte man die Dokumentare des SPIEGEL hätte. Oder googeln könnte. Gracie,
    Capo Don Altobello, gracie mille.

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    Eine Überlegung möchte ich noch nachreichen.

    (1) Der common sense scheint sehr kontextgebunden zu sein. Dies heisst übersetzt, in UK ist es einfach „natürlicher“, d.h. dem common sense, also der „erfahrungsorientierten Sicht der Dinge“ gemäßer, wenn Klassenkämpfe das soziale Engagement einer Gesellschaft dominieren, während ein religiös, humanistisch aufgeladener common sense eher eine ausgleichende Politik bevorzugt, oder vorgibt dies zu wollen, (was de facto aber immer schwer entscheidbar ist, aber gemäß „an-ihren-Werken-sollt-ihr-sie-erkennen“ irgendwie entschlüsselt werden kann). Common sense im landläufigen Sinn erscheint mir also folglich sehr sentitiv auf Opportunismus zu reagieren, was ihn als Allheilmittel ziemlich wirkungslos erscheinen lässt.

    (2) „Gesunder“ Menschenverstand aber, sehr ungerecht verteilt in der allgemeinen Population, weil viel zu wenig differenziert in Anspruch genommen und somit selten anzutreffen, bleibt da eher die Ausnahme und übt sich weniger in Demagogie als in kritischer Betrachtung.

    (3) Insofern , wenn Sie als gebildeter Vetreter des common sense aufzutreten belieben, sollten Sie nicht mit dem Finger auf Broder oder Wulff zeigen, ihnen Gefälligkeit und Gemeinplatz zuweisen, sondern die Widersprüche ihres Tuns darlegen, was ausreichen würde sie als Scharlatane des kultivierten Wortes zu entlarven.

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    Vor nicht allzu langer Zeit, erklärten Sie sich, Hr. Kocks, als reif für die Insel. Sind Ihnen nun doch Bedenken gekommen, oder was hindert Sie daran Ihrem Anliegen, dem common sense beizutreten, den common wealth schlossen Sie ja explizit aus. Können Sie sich die Studiengebühren für Ihren Nachswuchs bei genauerer Betrachtung in Zukunft nicht leisten, oder was hat denn nun den Ausschlag gegeben, das hohe Lied der Briten weiterhin vom Festland aus anzustimmen ?
    Irgendwie scheint die pipeline des common sense auch auf der Insel verstopft zu sein, wäre mein erster Gedanke, an Gordon Brown oder ähnliche Zeitgenossen möchte ich garnicht erst erinnert werden. Gestehen Sie es uns doch ein, sie scheuen sich vor dem Klassenkampf in UK, und ziehen die Beschaulichkeit der deutschen Leitkultur vor, common sense hin common sense her, nolens volens.

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    „Wenn Deutsche traeumen“ ist keine Operette von Lehar sondern eine Analyse, nicht von Sigmund Freud, sondern „from little me“: Gestern wollte der Deutsche ein „Germane“ sein mit „Drang nach Osten“(Land und Brot fuer das deutsche Volk!) – oder ein Nachfolger von Gaugin wie Remarques junge Maenner (1923): „Kerle wie wir sollten jetzt mit zimtfarbigen Frauen herumliegen in der Gewuerzinseln!“ Nun fast ein Jahrhundert spaeter: Das „Volk“ will Ersatz-American spielen – in speckigen blauen Hosen, mit Las-Vegas-Music oder Detroit-Rap,- selbst der „Neue Grosse“ stellt sich als „showman“ in Frank-Sinatra-Pose am Broadway, in New Yaaark. Aber „the educated German“ hat wieder den alten Traum vom 19ten Jahrhundert: In seiner Seele hungert danach „English“ zu sein! Aber „the British“ sehen die „dodgy huns“ so wie Churchill die deutschen Adelshoefe des 18. Jahrhunderts beschrieben hatte: „Narrow, rigid, musty“. In „Sacred Causes“ (2006) hat Michael Burleigh die britische Meinung ueber die Deutschen wieder modernisiert – aber der deutsche Leser sollte das nur unter medizinischer Fuersorge lesen…

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