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Plädoyer für eine gottlose Politik

Ich habe eine Nacht mit George W. Bush verbracht, dem Erfinder des Krieges gegen den Terror, und es war ein Alptraum. Aber dazu später. Beginnen wir mit etwas Weihnachtlichem. „Frieden“, säuselt der Weihnachtsengel allenthalben, „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Wir gehen in die besinnlichere Jahreszeit, in der das Christentum die Geburt des Heilands feiert und sich die Familien um den Weihnachtsbaum versammeln, um sich beschenkt und erleuchtet als gesegnete Gemeinschaft zu erleben. Das christliche Abendland feiert sich selbst. Die Leitkultur hat auf allen Plätzen Hüttendörfer errichtet, in denen Glühwein ausgeschenkt wird, vorzugsweise mit Schuss. Dazu gibt es Bratfisch und Zuckerwatte. Hosianna. Politik hat Pause, auch die große. Und so beschränkte sich meine Nacht mit George W. auf die Lektüre eines fünfhundertseitigen Werkes mit dem markanten Titel „Decision Points“. Das Werk ist (angeblich) von ihm selbst, jedenfalls ist es über ihn selbst. Der ehemalige amerikanische Präsident gliedert seine Autobiographie staatsmännisch in die historischen Entscheidungspunkte, die er zu treffen hatte. Es gehört zur Eigenart all dieser Lebenserinnerungen der Mächtigen, dass sie im Nachhinein nach Rechtfertigung suchen, die meist zur Verklärung gerät.

Mitte Januar wird der deutsche Industrieführer Heinrich von Pierer, einst Mister Siemens und beinahe Bundespräsident, jedenfalls Berater der Kanzlerin, seine Erinnerungen vorlegen. Der Titel lautet „Gipfelstürmer“ und es ist zu befürchten, dass er damit sich selbst meint.

Wir werden aller Voraussicht nach Gelegenheit haben zu lernen, warum es in einer der größten industriellen Korruptionsaffären gar nicht um Schmiergelder gegangen sei, der Chef selbst jedenfalls nichts davon gewusst habe. Ein Nachrichtenmagazin soll dazu noch ein Foto bereithalten, das vermeintlich eine einschlägige Scheckübergabe durch den Gipfelstürmer zeigen soll, also einen fehlleitenden Eindruck liefert.

Es wird viel zu erklären geben. So auch bei der Weltmacht, die sich entschloss, einen Angriffskrieg zu führen, die Genfer Konvention außer Kraft zu setzen und so Folter zu einem legitimen Mittel gegen den Terror zu machen. Folge: So gab man auf eine geradezu tragische Weise den eigenen Feinden nachträglich Recht, jedenfalls eine Legitimation für deren Propaganda im feindlichen Lager.

Gerhard Schröder, der damalige deutsche Kanzler, hatte nun angesichts dieses Buches den Ex-Präsidenten der Lüge bezichtigt, ein starkes Wort aus einem einflussreichen Hannoveraner Partykeller, das den Kaufpreis von 25 Pfund Sterling für die „Decision Points“ rechtfertigte. Kaufen wollte ich mit dem Bush-Schinken ein politisches Buch, bekommen habe ich ein religiöses. Das ist das eigentlich Erschütternde an diesen Rechtfertigungsmemoiren.

Miterleben musste ich eine Orgie des evangelikalen Christentums, das von einer Profanität ist, dass man selbst als Protestant plötzlich wieder den Katholizismus schätzen lernt. „Nearer My God to Thee“, das ist der Gospel des rückblickenden George W. Bush. Wir werden Zeuge eines initialen Bekehrungserlebnisses (Saulus zu Paulus), als der Trinker sich fragt: „Could I continue to grow closer to the Almighty, or was alcohol becoming my god?“

Nun, er hat die Frage anders entschieden als Gerhard Schröder. Leider. Die Vervollkommnung nach der Bekehrung leistet der amerikanische Massenprediger Billy Graham, der die Familie Bush zu Hause besucht und dabei ausführt, dass es nicht die Taten eines Menschen sind, die ihn gottgefällig machen. Man kann die Christenmenschen, so lehrt der Evangelikale, nicht an ihren Früchten erkennen, sondern nur an ihren guten Vorsätzen. Der Glaube allein entscheidet.

Das ist auch aus europäischer Sicht keine Irrlehre. Der deutsche Titan Martin Luther ist mit dem Slogan „sola gratia“ („allein aus Gnade“, nicht wegen guter Taten oder strammer Ablasszahlungen kommen wir in den Himmel) groß geworden und der Schweizer Calvin hat weiteres dazugetan, damit sich die Erwählten auch sicher als erwählt fühlen können. Erlösung ist das Thema des George W. Bush, Erlösung durch Gebete und die Lektüre der Schrift (auch hier profanisierter Luther: „sola scriptura“).

Die Gebete können am Telefon mit obskuren Fernsehpredigern stattfinden, und die Bibellektüre ist natürlich keine theologisch kundige Exegese, sondern das laienhafte Aufschnappen vermeintlicher Sinnsprüche. Näher, mein Gott, bei Dir. Hier entspringt das politische Charisma. Charisma macht blind für die Wirklichkeit, Charisma ist ein mentaler Führerbunker.

Anlässlich des ersten Börsencrashs war Bush frei von Selbstzweifeln, dass er das auch fachlich überschaut,  weil der Herr niemandem eine Last auf die Schulter legt, die dieser nicht tragen kann. Das gilt natürlich auch für den Irak-Krieg. Kleinigkeiten wie die Frage, wo denn eigentlich die Massenvernichtungswaffen sind, die diesen Angriffskrieg rechtfertigen sollten, berühren Bush nicht. Der Herr hatte ihm aufgetragen, die Bösen zur Strecke zu bringen. „Oh Lord, let thy light shine through me!“ Und deshalb war der Mann, der sein Land und damit die westliche Welt in die Niederungen eines  entmoralisierten Imperialismus geführt hat, nie im Zweifel.

“Dead certain” nennt das der New Yorker. Und wie klingt das, wenn das Licht des Allmächtigen durch einen Erlösten hindurch scheint? Es klingt nicht sehr sakral. Ich zitiere die Reaktion nach den Anschlägen vom 11. September in seinen Worten: „I called Condi from the secure phone in the limo. My blood was boiling. This was a declaration of war. We were going to find out who did this, and kick their ass.” Nun, in den Arsch getreten hat dieser Mann den Kern westlicher Leitkultur: Religion hat im Staat nichts zu suchen. Ob man das Laizismus nennt oder Säkularisierung oder einfach nur moderne Staatsverfassung: Der islamische Gottesstaat ist in sich ein Unding wie die das evangelikale Reich des Guten.

Religion ist eine persönliche und eine private Sache, mit dieser Erkenntnis beginnt die Aufklärung. Religion rechtfertigt in öffentlichen Dingen nichts. Vor allem aber: Politik ist an ihren Folgen zu messen, nicht an ihren Vorsätzen.

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12 Gedanken zu “Plädoyer für eine gottlose Politik;”

  1. avatar

    George W.Bush ist Alkoholiker. Und die sind bekanntlich Weltmeister im Verdrängen von Realitäten. Vermutlich waren die meisten frühchristlichen Erscheinungen, eher die Folge des Deliriums.

    Ich meine, wenn ein Volk einen religiösen Alkoholiker ins mächtigste Amt wählt, hat das auch reale Gründe. Offenbar muss man als angehender US-Präsident eine gegen Null gehende Selbstachtung haben. Du musst dich schließlich nach allen Seiten gut verkaufen können. Für einen Alkoholiker also das perfekte Amt.

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    Ich hatte letztes Wochenende eine meiner Meinung nach symptomatische Begegnung mit einer ca. 40 köpfigen religiösen Gruppe samt Kinder in einer vom frühen Wintereinbruch verschneiten Jugendherberge unweit von Schotten/Vogelsberg. Die Mitarbeiter der Herberge wussten lediglich etwas von einer koreanischen Chorgruppe zu sagen. Uiii, dachte ich und war zusammen mit den übrigen Hausgästen überaus gespannt und in großer Erwartung drauf, was wiederum uns so erwartete. Beim gemeinsamen Abendessen fiel zuerst nicht auf, wie sehr die angebliche Chorgruppe auf sich bezogen war. Wenn augenscheinlich schon keine Gespräche möglich waren, aber dann wenigstens wohlwollende Blickkontakte? Fehlanzeige. Es schien so, als ob für die Koreaner sonst niemand da war, als sie allein. Überlagert von der irrigen Annahme, dass man es hier mit der vielbesagten asiatischen Höflichkeit zu tun habe, wandelte sich die Aufgeschlossenheit der übrigen Gäste im Laufe der folgenden Abendstunden in zunehmendes Befremden. Denn es zeichnete sich für die Chorgruppe kein Morgen ab. Bis kurz vor Mitternacht waren die koreanischen Gäste unentwegt mit ihren Proben im evangelikalen Singsang zugange. Dazwischen heftiges Türen schlagen und lautes Getrampel im ganzen Hause. Versuche der übrigen Gäste im Bemühen um Verständigung und allgemeines Verständnis für das Ruhebedürfnis anderer Gäste, wurden blank ignoriert. Für die Gesangsgäste schienen die übrigen Gäste, von denen sie auf den Gängen angesprochen wurden, schier Luft zu sein. Gegenseitige Wertschätzung sieht anders aus. Die um den Schlaf gebrachten Gäste, die sich daraufhin Zutritt zu der Veranstaltung verschafften, versuchte man anfangs sogar des Raumes zu verweisen. Es war aussichtslos bei den Sangesfreunden aus innerer Einsicht auf Verständnis zu hoffen. Selbst dann nicht, als die Chorteilnehmer auf direktes befragen hin, sich selbst ausdrücklich als religiöse Gruppe bekannten. Mehr hatte mich in dem Moment schon nicht mehr interessiert… So beendeten erst robuste Beschwerden und der formale Hinweis auf die Einhaltung der Nachtruhe die Erweckungsparty. Eine einträchtige Welt scheint offensichtlich nur dann möglich zu sein, wenn es eines Tages tatsächlich weder religiöse noch nationale Schranken gibt. Imagine…(John Lennon)

  3. avatar

    Jede Religion kann nur so gut sein wie der Mensch sich entwickelt hat.
    Jeder Mensch der die Bibel oder den Koran liest kann ihn nur erkennen,in weit sich sein Charakter weiter entwickelt hat.
    Selbst Priester,Imane oder sonstige Theologen sind nicht gefeit ,Gottes Wort falsch zu interpretieren.
    Ihre eigene Erziehung oder Kultur steht immer im Weg.
    Dies darf nicht benutzt werden die ganze Religion zu verdammen.
    Religion ist Ethik auf der Gefühlsebene.

  4. avatar

    „Charisma macht blind für die Wirklichkeit, Charisma ist ein mentaler Führerbunker.“ – Den resp. für den sich politisch selbst zum Vorsatz Gesetzten allemal. In diesem untoten Vorhof nicht selten zur Hölle auf Erden schlechthin kommt nichts anderes zum Ausdruck als: Rechtfertigung aus Glauben allein ist Unfug.

  5. avatar

    Die christlichen Parteien, wären 2002 beim Irakkireg gerne munter dabei gewesen. Wäre es nach denen gegangen, ständen wir heute als Kriegstreiber vor der Weltöffentlichkeit. Strategisch wäre das eine schlimme Schmach gewesen. Dabei soll allen Parteien bekannt gewesen seien, dass die USA hauptsächlich auf Inormationen des BND stützten, denen die deutsche Rot/grüne Regierung selbst keinen Glauben schenkte. Zu verdanken gewesen wäre die deutsche militäreische Beteiligung übrigens der heutigen Bundeskanzlerin. Für mich Grund genug dafür, seit dem jede politische Entscheidung der Kanzlerin und des Kabinetts aus Mangel an politischem Vertrauen zu hinterfragen. Verwunderlich?

  6. avatar

    Das Problem mit dem Charisma wird mit dem Beispiel G.W.Bush mehr als deutlich. Irrationale aber auch rationale Züge werden gleichermaßen wirksam und nur eine gewisse Distanz zum charismatischen Charakter behält die Übersicht.

    Die gegenwärtige (!) Psychologie bleibt hier hinter dem Erkannten weit zurück. Wenn jeder, der zB bei einem Autounfall dem Tod ins Auge blickte, auszöge in Zukunft den Rest der Menschheit zu bekehren, dann hätten wir wohl bald auch amerikanische Verhältnisse.

    Die „Aufklärung“ ist bei uns da schon ein gutes Stück weiter, zumindest was die Bedeutung des Metaphysischen betrifft. Von Wittgenstein pflegte zu sagen, wovon man nichts sagen kann, davon sollte man schweigen, deshalb auch mein Plädoyer für einen Rückzug des religiös motivierten Charismatikers aus der Politik, denn sie wissen nicht was sie tun.

  7. avatar

    Klaus Kocks: „Ich habe eine Nacht mit George W. Bush verbracht, dem Erfinder des Krieges gegen den Terror, und es war ein Alptraum.“

    Im Jahre 2003 hat die Zeitung „DIE WELT“ den Vize-Verteidigungsminister Wolfowitz als strategischen Kopf hinter G.W. Bush hochgelobt und gepriesen ;).

    http://www.youtube.com/watch?v=V9nzBWcTSVM

  8. avatar

    „…Der islamische Gottesstaat ist in sich ein Unding wie die das evangelikale Reich des Guten.

    Religion ist eine persönliche und eine private Sache, mit dieser Erkenntnis beginnt die Aufklärung. Religion rechtfertigt in öffentlichen Dingen nichts. Vor allem aber: Politik ist an ihren Folgen zu messen, nicht an ihren Vorsätzen…“

    Das kann man nicht oft und laut genug sagen…

  9. avatar

    Lieber Herr Kocks,

    eigentlich wollte ich ein wenig mit Herrn Böhme flirten und der FDP.
    In Teilen Ihrer Sicht der Dinge sind Sie aber, m.E. schlimmer als der Papst, bzw. Machiavelli.
    Dieser hielt Religion, bzw. die kath. Kirche für notwendig,als sozusagen als Protagonist der Moral(er wußte nichts von Kinderschändungen), andererseits hielt er den auf das Jenseits gerichteten Fokus für
    ausgesprochen“leistungsmindernd“, mit der Erklärung, daß der Mensch sich ja nicht besonders anstrengen müßte, im Diesseits, wenn das bessere Leben im Jenseits sowieso stattfinde.

    Ich müßte mich bei Herrn Sarrazin erkundigen, ob bei Herrn Machiavelli nicht doch evtl. jüdische Gene zu finden wären, da z.B. das Judentum sein Augenmerk auf die Erde richtet, und an das Himmelreich für Menschen erst wieder nach Ankunft des Messias glauben möchte.

    Wie wollen Sie Religionen aus den Staatsgeschäften verbannen, wenn Parteien unter dem Logo Christlich demokratisch firmieren?
    Vielleicht schreckt Herr Posener aus seinem Mittagsschlaf auf und gibt hierfür eine ordentliche Antwort.
    Ba the way, unsere Kanzlerin ist ja evangelische Pastorentochter, wollten Sie uns womöglich nicht was anderes sagen?
    Die Einladung in den Jesuitenstaat mit Wissensdiktatur, Begründer EJ, KHN und ich, gilt natürlich auch für Sie.

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