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Deutschland, deine Vorbilder

Wenn die Deutschen heute die Wahl hätten, wäre Günther Jauch morgen Herr im Schloss Bellevue. Ein Fernsehmann als Bundespräsident? Aber ja doch! Denn die Bürger dieses Landes halten ihn für besonders vorbildlich.

Und Jauch könnte sich einer sozialistisch anmutenden Fürsprachequote sicher sein: 84 Prozent der Bevölkerung, so hat es das Nachrichtenmagazin Spiegel durch eine Umfrage ermittelt, schätzen den 54-jährigen Showmaster über alle Maßen. Da können nur noch zwei andere Herren mithalten. Auf die Frage: „Wer verkörpert ein Deutschland, wie Sie es sich wünschen?“ antworteten 83 Prozent der Befragten: Helmut Schmidt, seines Zeichens kettenrauchender Altkanzler, der es immerhin schon auf 91 Lebensjahre gebracht hat. Dicht auf den Fersen ist ihm Fußballbundestrainer Joachim Löw (82 Prozent), ein Teamplayer also.

Und was machen die Frauen? Belegen mit 66 Prozent und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen den sechsten Platz. Nun ja, die Emanzipation in den Köpfen scheint doch noch nicht allzu weit fortgeschritten.

Das sind sie, Deutschlands Top-Leitbilder, moralische Instanzen und Autoritäten.

Nach Schwung, Aufbruch und Modernität klingt diese Liste freilich nicht. Eher wirkt das Ergebnis des Rankings etwas kläglich, langweilig und muffig. Wo sind die Jungen, die Wilden, die Frauen, die Quertreiber, die Mutigen, die frischen Denker? Gerade die Intellektuellen, Schriftsteller und Philosophen tun sich offenbar schwer damit, der Deutschen Gunst zu gewinnen. Günter Grass schafft es bei der Frage „Wer ist eine moralische Instanz für Deutschland?“ gerade mal auf den zehnten Platz, von den Enzensbergers und Habermas‘ ganz zu schweigen.

Der Kollege vom Spiegel hat das Ganze schon richtig analysiert: Die Deutschen huldigen der Nüchternheit, der kühlen Sachlichkeit, am besten gepaart mit Fernsehpräsenz. Die Ungestümen, die Hungrigen, die Wagemutigen – sie sind gerade in Krisenzeiten offenkundig nicht gefragt. Das mag viele erleichtern. Es kann einen aber auch mit Fug und Recht ziemlich betrüblich stimmen.

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3 Gedanken zu “Deutschland, deine Vorbilder;”

  1. avatar

    Was hat das „schlechte“ Abschneiden (für das, was die den ganzen Tag so von sich gibt, ist das eigentlich noch viel zu gut) von Ursula von der Leyen mit Emanzipation zu tun? Wir haben eh keine beliebten Frauen in der Politik. Frau Merkel kriegt eh nix hin, Frau Wagenknecht hat die falsche Partei und Frau Roth ist nur aufgrund von Diskriminierung und Quotenregelungen an die Parteispitze gekommen…

    Und aus dem Fernsehen gibt’s nur so Labertaschen wie Gülcan oder Sonja Zietlow.

  2. avatar

    So, so, eher etwas kläglich, langweilig und muffig wirkt das Ergebnis der Befragung auf den Journalisten. Ja, das ist schon ärgerlich. Da vertritt doch die Bevölkerung in ihrer Mehrheit eine Meinung, die von der des Journalisten abweicht. Und das stimmt den Journalisten ziemlich betrüblich.

    Kleiner Tipp: Mal wieder eine Runde Grass, Enzenzsberger und Habermas lesen. Das verflüchtigt die Betrübnis gewiß. Und es ist moralisch kuschelig mit denen. Oder einfach einen der erwünschten Quertreiber in die Redaktion holen, damit man jeden Tag etwas davon hat.

  3. avatar

    Helmut Schmidt zum Beispiel darf nur ungestraft sagen, was er denkt, weil er kein aktiver Politiker mehr ist. Wäre er noch im Amt, er wäre mit seinen – klugen und weitblickenden – Ansichten sofort weg vom Fenster…

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