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Die Irrlehren der Banken

Bei seiner  Frühjahrstagung hat das Institute of International Finance (IIF), des Interessenverbandes des weltweiten Bankgewerbes, dieser Tage eine bemerkenswerte Publikation vorgestellt. Die Studie handelt davon, wie stark das Wachstum der Weltwirtschaft beeinträchtigt wird, wenn die bisher geplanten Regelverschärfungen für die Finanzbranche umgesetzt werden.

Gönnerhaft erklärte IIF-Präsident Josef Ackermann in Wien, die Banken hätten selbst ein ureigenes Interesse an einem stabilen Finanzsystem. Sie seien daher gern bereit, am Dialog über künftige Finanzmarktregulierungen konstruktiv mitzuwirken. Bei der Einführung strengerer Standards sei jedoch mit Bedacht vorzugehen.

Eine Schwächung des Wirtschaftswachstums, muss man wissen, ist derzeit ein regelrechtes Schreckgespenst für jeden Politiker. Angesichts der bekannten Schuldenprobleme wünschen sie nichts sehnlicher als Wirtschaftswachstum herbei, damit die Steuereinnahmen wieder üppiger sprudeln und die Sparpakete bei den öffentlichen Ausgaben die Wähler nicht allzu hart treffen müssen.

Die IIF-Studie zeigt nun aber, dass strengere Regularien für Banken Wachstum kosten. In einer Modellrechnung kommt das IIF zu dem Ergebnis, dass die geplanten regulatorischen Reformen im Zeitraum von 2011 bis 2015 in den Wirtschaftsräumen USA, Japan und der Euro-Zone das Wachstum um durchschnittlich 0,6 Prozent pro Jahr bremsen werden. Innerhalb dieser Gruppe, so heißt es, würde es die Euro-Länder mit –0,9 Prozent am härtesten treffen. Insgesamt würden dadurch 9,7 Millionen Arbeitsplätze wegfallen beziehungsweise gar nicht erst neu geschaffen werden.

Mit diesen Schreckensnachrichten werden demnächst Tausende von Lobbyisten in aller Welt Parlamentarier, Regierungen und Behörden dahingehend „beraten“, bei künftigen Bankregulierungen doch, bitte, „mit Bedacht“ vorzugehen, damit das zarte Pflänzchen Wachstum nicht Schaden nimmt.

Nun muss man wissen, dass die meisten Aktivitäten der Banken bei der Addition der Wirtschaftsleistungen eines Landes zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gar nicht mitzählen. Wenn also eine Regierung beispielsweise ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und Anleihen oder den Handel mit Zahlungsausfallversicherungen wie Credit Default Swaps schlicht verbietet, ändert dies an der Wirtschaftsleistung des Landes zunächst einmal gar nichts.

Gleichwohl wirken Banken auf das Bruttoinlandsprodukt ein. Und zwar, indem sie Kredite an Unternehmen vergeben, damit diese Investitionen vornehmen können. An diesem Punkt setzt denn auch die IIF-Studie an – frei nach der Faustformel: viel Kredit sorgt für viele Investitionen, und Investitionen bilden die Grundlage künftigen Wachstums.

IIF-Präsident Josef Ackermann befürchtet, dass Bankenabgaben oder eine Finanztransaktionssteuer, strengere Eigenkapital- oder Liquiditätsvorschriften die Kapitalbeschaffung der Banken erschweren und verteuern würden. Die höheren Kosten, so die Autoren der IIF-Studie, würden natürlich an die Bankkunden weitergereicht. Höhere Kreditzinsen aber würden das Wachstum des Kreditvolumens einschränken und damit zugleich das Wachstumspotenzial der Wirtschaft. Das sind Lehrbuchweisheiten, die jeder Wirtschaftsstudent in den ersten Semestern lernt.

Was in den Lehrsälen der Universitäten seltener vermittelt wird, ist die Tatsache, dass sich das Kreditgeschäft deutscher Banken während der vergangenen Jahre stark verändert hat. Nimmt man die Entwicklung des Volumens der Kredite deutscher Banken an Unternehmen und Privatpersonen als Maßstab, dann hat sich die alte Faustformel „viel Kredit sorgt für viel Wirtschaftswachstum“ im vergangenen Jahrzehnt schlicht in Nichts aufgelöst.

Im Jahrzehnt von 1989 bis 1999 haben die deutschen Banken ihre Kredite an Unternehmen und Privatpersonen um insgesamt 131 Prozent ausgeweitet, also mehr als verdoppelt. Gleichzeitig ist die gesamte deutsche Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt – BIP) um rund 68 Prozent (nominal, d.h. ohne Berücksichtigung von Preissteigerungen) gestiegen.

Schon Ende der 1990er Jahre konnte man in deutschen Bankhäusern den Satz hören: „An Krediten an Unternehmen ist doch heute kein Geld mehr zu verdienen.“ Folglich haben die Banken ihr Kreditvolumen einfach eingefroren. Von 1999 bis 2009 haben die Kredite an Unternehmen und Privatpersonen kaum mehr zugenommen, in den zehn Jahren insgesamt nur um magere 15 Prozent. Trotzdem ist das BIP aber gleichzeitig um knapp 20 Prozent gewachsen – trotz zweier schwerer Rezessionen.

An den Kreditkosten kann es nicht gelegen haben, dass die Kreditnehmer in der jüngsten Vergangenheit nicht mehr Schulden aufgenommen haben. Die Kreditzinsen waren in den 1990er Jahren wesentlich höher als im Jahrzehnt danach.

Tatsächlich haben die Banken andere Betätigungsfelder gesucht und gefunden. Sie haben das Geld der Sparer lieber an ausländische Kreditnehmer ausgeliehen. Von 1989 bis 2009 haben sie ihre Kredite an ausländische Banken in etwa versechsfacht. Die Ausleihungen an ausländische Kreditnehmer außerhalb des Bankensektors haben sich im gleichen Zeitraum sogar mehr als verzehnfacht.

Was die ausländischen Kreditkunden deutscher Banken mit dem Geld angefangen haben, darüber lässt sich munter spekulieren: Sie mögen es in Bündel von amerikanischen Subprime-Hypotheken, in Devisengeschäfte oder in Rohölspekulationen investiert haben; sie mögen damit Unternehmen aufgekauft und mit Gewinn (oder Verlust) wieder verscherbelt haben. In neue Maschinen und Produktionsanlagen, die irgendwo in der Welt für künftiges Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze sorgen, dürfte dagegen nur ein kleiner Teil der Kredite geflossen sein. Das wissen wir spätestens seit dem Beginn der Finanzkrise, in der viele kreditfinanzierte Hedge Fonds zusammenbrachen und die Kurse der Wertpapiere in vielen Bankbilanzen dahin schmolzen wie Schnee in der Frühlingssonne.

Ein wachsender Teil des Kreditgeschäfts zumindest der deutschen Banken dient demnach gar nicht der Finanzierung künftigen Wirtschaftswachstums, sondern einem ganz anderen Zweck. Ein Beispiel mag dies erhellen. Wenn ein Hedge Fonds oder eine Bank 100 Millionen Euro eigenes Kapital und einen Kredit in zehnfacher Höhe in Rohöl, Devisen oder Aktien in der Erwartung investiert, bei diesem Geschäft einen Gewinn zu erzielen, dann fördert der Investor damit keineswegs das Wirtschaftswachstum irgendeines Landes. Der Fonds kauft und verkauft ein Wertpapier, schafft aber keine Werte, die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung irgendeinen Wachstumsimpuls hinterlassen. Solche Geschäfte werden dort gar nicht mitgezählt.

Wird bei dem Geschäft ein Gewinn oder Verlust erzielt, so verändert dies jedoch die Verteilung des anderswo erwirtschafteten Volkseinkommens. Das Volkseinkommen eines Jahres kann nur einmal verteilt werden. Einen Teil erhalten die Arbeitnehmer, einen kleineren Teil die Unternehmer und Vermögensbesitzer, den Rest beansprucht der Staat. Wenn nun Banken, Hedge Fonds oder andere Investoren vermehrt Kredite aufnehmen, um damit Finanzinvestitionen vorzunehmen, und wenn sie dabei immer höhere Gewinne erzielen, dann fließt ihnen ein wachsender Teil des Volkeinkommens zu. Dieser Teil steht für die anderen Gruppen nicht mehr zur Verfügung.

Die zunehmende Kreditgewährung von Banken an Finanzinvestoren fördert mithin nicht das Wirtschaftswachstum, sondern die Umverteilung von Teilen des Volkseinkommens, weg von den traditionellen Teilhabern wie beispielsweise Staat und Arbeitnehmern, hin zu Banken und anderen Finanzinvestoren.

Die Banken profitieren davon, weil sie für Kredite für Finanzinvestitionen höhere Risiken eingehen und dafür höhere Zinsen nehmen können. Sie können sich zwar die Wertpapiere, deren Ankauf mit Krediten finanziert werden, verpfänden lassen. Doch deren Werte schwanken heftig und sind nicht so sicher wie ein Einfamilienhaus in Berlin oder Boppart, das als Sicherheit für eine Hypothek dient. Kredite für Finanzinvestments sind für die kreditgebenden Banken also viel lukrativer als traditionelle Allerweltskredite an Handwerker, Groß- und Einzelhändler, Industriebetriebe oder Häuslebauer.

Und diese Gewinnquelle wollen sie sich gern erhalten. Die Banker wissen aber, dass Finanzinvestoren bei der Kreditaufnahme viel zinssensibler sind als traditionelle Kreditnehmer. Großinvestoren wie Hedge Fonds (oder Banken, die wie Hedge Fonds an den Börsen handeln) machen große Teile ihrer Gewinne mit schnellen Geschäften mit winzigen Margen. Die Anreicherung des eingesetzten Eigenkapitals mit einem zehn- oder zwanzigfach so hohen Kredit macht diese Geschäfte erst so richtig lukrativ. Wirft etwa ein Devisengeschäft nur 0,1 Prozent Gewinn ab, so bleiben bei einem Einsatz von 100 Millionen Euro nur 100.000 Euro übrig. Wird der Einsatz durch Kredite aber verzehnfacht, so verzehnfacht sich auch der Gewinn – vor Abzug der Kreditkosten. Bezogen auf das eingesetzte Eigenkapital von 100 Millionen kann sich der Gewinn von einer Million Euro schon eher sehen lassen. Da kann man sich aber auch leicht ausrechnen, dass schon die kleinste Verteuerung des Kredits stark an der Rendite zehrt oder solche Geschäfte gleich unattraktiv macht.

Fazit: Die Politik sollte sich von der Bankenlobby nicht in die Irre treiben lassen. Womöglich haben neue Bankregulierungen, die die Kapitalbeschaffung der Banken und ihre Kredite verteuern, anders als das IIF und sein Chef Josef Ackermann behaupten, sogar einen wachstumsfördernden Effekt. Wenn nämlich Kredite für Finanzinvestments so teuer werden, dass die damit finanzierten Spekulationsgeschäfte zu riskant werden oder sich gar nicht mehr lohnen, dann bleibt den Banken gar nichts anderes übrig, als sich wieder verstärkt ihrer traditionellen Kundschaft zuzuwenden. Vielleicht bekommen dann auch Handwerker, Groß- und Einzelhändler und Industrieunternehmen wieder mehr Kredite für wachstumsfördernde Investitionen.

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