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And the winner is: Jürgen Trittin – Zero points: Angela Merkel

Demütigungen in der Politik mögen platt klingen oder wie ungelenke Späße, haben aber ihre eigene Hinterhältigkeit. Am Freitag treffen im sonnigen Hannover der nominierte Bundespräsidentenkandidat Christian Wulff und die gemeuchelte Konkurrentin Ursula von der Leyen zu einer CDU-Sitzung zusammen, auf der Wulffs Nachfolger nominiert werden soll.

Es drapieren sich vor den Kameras der vor Stolz berstende Wulff, jetzt bald von hier scheidender Ministerpräsident, die von Merkel düpierte Mitbewerberin von der Leyen und ein schottischstämmiger Herr namens McAllister, der es in Hannover richten soll, wenn sich die anderen beiden in Berlin in neuem und altem Amt als Bundespräsident und Sozialministerin wiederfinden.

Da sagt Wulff zu seiner Parteifreundin von der Leyen mit Blick in die Kameras einen jener Sätze, an die sich die Republik wird gewöhnen müssen: “Was für eine tolle Woche, am Anfang mit Lena und am Ende mit Dir!“ Im Hintergrund lächelt sein Medienberater Olaf Gläsecker, ein feines Genie des Inszenierens im Körper eines Boris Karloff,sein gespenstisches Intrigenlächeln.

Da steht dann die beliebte Familien- und Sozialministerin, das Beinahe-Staatsoberhaupt, auf einer Stufe mit der Schlagersängerin von Raabs Gnaden. So behandelt man Mädchen, wenn man sturmfest ist und erdverwachsen.

Welch eine Szene, welch ein Ausblick. Die PR-Truppe der niedersächsischen Staatskanzlei hatte die Grand Prix Gewinnerin Lena nach Hannover geholt und Herrn Wulff zu einem Fototermin verholfen. Damit vergleicht der „liebe Christian“ nun prahlerisch und peinlich zugleich sein Zusammentreffen mit der Sozialministerin und das Glück eines Ministerpräsidenten in Hannover, ein Glück, das nun jedermann erstrebenswert erscheinen müsse.

Wir werden von Wulff noch viele Sätze hören, denen jede Furcht vor der Platitüde fehlt. Er glaubt, das sei volkstümlich. Man rät ihm dazu, solche Dinge zu sagen, die das kalte Antlitz der politischen Ambition, die Fresse der Intrige verbergen und so klingen, als habe ein Schlagersternchen sie gesagt. Nur kein Raubtierlächeln, schon gar nicht im Angesicht des Aas. Kill by smile, more to come.

Wulff spielt nun eine Hauptrolle in einem Marionettentheater, in dem nicht er die Fäden zieht und wohl auch nicht mehr seine Förderin im Kanzleramt. Auf der politischen Bühne Berlins wurde geputscht. Es wird ein neues Programm gespielt im Volkstheater, obwohl die Schauspieler des alten Stücks noch auf der Bühne stehen.

Neue Regisseure sind am Werk. Wer aber gibt nunmehr die Regieanweisungen für die Possen der politischen Republik? Von wo werden die Fäden wirklich gezogen? Wer ist der Macher der Macher?

Diese Fragen haben eine wirklich überraschende Antwort: Jürgen Trittin. Der in der zweiten Reihe erprobte Politiker der Grünen hat in wenigen Wochen Geschichte geschrieben. Eine kleine Revolution darf man das schon nennen, was die Stimmungslage der Hauptstadt gekippt hat. Trittin, der wirkliche Oppositionsführer, hat Bundespräsident Köhler gestürzt, mit Joachim Gauck einen vielbeachteten Kandidaten für das höchste Amt im Staat benannt und den wahrscheinlichen Amtsnachfolger Christian Wulff auf die Lübke-Schiene geschoben, bevor der überhaupt von Angelas Gnaden in Schloss Bellevue einziehen konnte.

In einem Wort, das Ende der Angela Merkel als Staatspolitikerin ist eingeläutet: vom Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zusammen mit seinem Spießgesellen Sigmar Gabriel hat er einen Stimmungsumschwung bewirkt, wie wir ihn in den letzten Jahrzehnten nicht bemerken durften.

Eine Gang Rotgrüner Sozialwissenschaftler erweist sich wieder als die wahren Meister der Macht. Ihr Erfolg knüpft dort an, wo die Schrödersche Fortune abgerissen ist, im Vor-Hartz-Zeitalter der frechen Kerle aus Niedersachsen. Und all das begann damit, dass der gelernte Kommunist Trittin sich den Schnurrbart abrasiert hat. Jahrhunderte lang galt das Motto „An ihren Schnurrbärten sollt Ihr sie erkennen.“

Das Orakel gilt fort, nunmehr aber an den abgenommenen Bärten. Der Marsch durch die Institutionen der Linken geht in die zweite Runde.

Zunächst aber zur Lage der Nation. Alt-Bundespräsident Köhler hatte sich zum Auslandseinsatz der Bundeswehr so geäußert, dass man einen Wirtschaftskrieg heraushören konnte. Trittin hat in barschen Worten klargestellt, dass ein solcher Kriegsgrund nicht durch die Verfassung gedeckt ist. In diesem Regen haben Merkel und Westerwelle Köhler stehen lassen. Damit konnte Köhler seine Amtsmüdigkeit in eine Spontankündigung übergehen lassen. Trittin war klug genug, sich nicht wie ein Meuchelmörder zu freuen, sondern seine Äußerung vom Lübke-Stil zu bedauern.

Merkel gilt ihrer Partei als männermordend; es werden Merz, Oettinger, Koch aufgezählt; nun also auch noch Köhler. Sie versprach einen Kandidaten aller Deutschen, ließ von der Leyen Pirouetten drehen, um dann ihren Schoßhund aus Hannover antreten zu lassen. Damit war sie in der Falle der Strategen Gabriel und Trittin, die Gauck nominierten, einen anerkannten Konservativen mit liberalem Denken und intellektuellen Zuschnitts.

Wenn Wulff zum Bundespräsidenten gewählt wird, ist er schon jetzt zweite Wahl. Und wir werden von ihm Lena-Sätze hören, die die Erinnerung an Heinrich Lübke wachrufen werden. Wulff versucht sich als Charmeur, ist aber ein schüchterner Junge mit feuchten Händen; diese Kluft von Willen und Vermögen gebiert Peinlichkeiten, das ist nur eine Frage der Zeit.

Wer mag ihm das vorwerfen; er ist kein Intellektueller mit Engelszunge wie Gauck, nur ein Ach-und-Krach-Jurist mit langem Atem und einem in der Opposition erprobten Sitzfleisch. Mir ist leid um ihn, weil er ein anständiger Kerl ist, der es weiter gebracht hat, als es seiner Begabung gut tut. Und wenn Gabriel nun höhnt, dass Gauck ein Leben mitbringe und Wulff nur eine Laufbahn, so wird man sich erinnern dürfen, dass Wulff es war, der Gabriel in einer Landtagswahl vernichtend geschlagen hat.

Wulff ist beliebter Berufspolitiker, aber gleichwohl ein Berufspolitiker, als Bundespräsident die Kreatur eines parteipolitischen Kalküls. Köhler hat sich nie des Stigmas seiner Erwählung auf der Wohnzimmercouch in Guidos Privatwohnung erwehren können, Wulff wird immer mit dem Ludergeruch des Betrugs an der Wunschkandidatin von der Leyen leben müssen.

Der Vorschlag Gauck ist an Authentizität nicht zu schlagen. Das Genie des Trittinschen Plans besteht darin, die eigenen Ansprüche, die Ansprüche der Verfassung, den Wunsch der Wähler ernst zu nehmen. Nach allem, was die Menschen in diesem Land an Politik, sprich an Parteipolitik, erleben mussten, erzeugt das Verblüffung.

Der geborene Kommunist und gelernte Grüne spielt sein Spiel mit bürgerlichem Ernst. Die Sensation Gauck besteht in der Integrität des Kandidaten, aber auch in seiner Ablehnung durch die SED-Nachfolge-Organisation, die PDS-Linkspartei, und in der Attraktivität für Liberale wie wirklich Konservative.

Chapeau! Ich selbst habe Trittin persönlich und gesprächsweise auf der Internationalen Automobil Ausstellung 1999 erlebt, als er einen Drei-Liter-Lupo bestieg. Da saß er dann in meinem Lieblingsauto, ein revolutionärer Grüner mit frechem Schnauzbart und grinste wölfisch in die Kameras.

Das war jener Oberlippenbart, wie wir ihn im mediterranen Raum, namentlich bei Türken finden, kein Bärtchen wie bei Kaiser Wilhelm selig, bei Dali oder Clark Gable, kein Zweifingerbart wie bei Hitler, Chaplin und Robert Mugabe, kein Walross wie beim Handballer Brand, sondern die Piraten- und Schwerenöterversion. Frech und gewollt unseriös.

Dann sah ich ihn vor einem Jahr im Zug und merkte: Der Bart war ab. Das fahrig Halbseidene in seiner Erscheinung war einer salbadernden Behäbigkeit gewichen. Mein erster Gedanke war: Der Hund macht das vorsätzlich. Der wird bürgerlich auf seine reiferen Tage und will, dass wir es sehen. Der führt was im Schilde. Wie wahr.

Die niedersächsischen Revolutionäre Gabriel und Trittin beginnen den zweiten Marsch durch die Institutionen. Damit heilen sie die Seelen ihrer Parteien, etwas, das die aufgeblasenen Wiedergänger Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier nie zu leisten vermocht hätte. Ihr Signal an die Wähler ist: Wir können es, die andern tun nur so. Noch hält Merkel die Tür zu. Noch.

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5 Gedanken zu “And the winner is: Jürgen Trittin – Zero points: Angela Merkel;”

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    Ich denke frau merkel hat genau das erreicht was sie wollte. wulff und von der layen sind erstmal verbrannt, sie hat nichts dagegen wenn gauck gewinnt. Ihr denkanstoss war die sms von gabriel.

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    Die strategische Falle von Tribriel/Gatrin ist leider nur eine kurzfristige, der Keil, der die Truppen auseinandertreiben soll, ist nicht existentiell genug. Gauck ist eine Mediengeburt, für zwei Wochen geistert er jetzt durch die Presse, wird selbst von konservativen Blättern gelobt – und am Ende wird Wulff doch im ersten Wahlgang gewählt. FDP-Landesverbände zündeln ein wenig, weil sie über die letzten Monate zu wenig mitzureden hatten, und hier ein Thema finden, das brisant genug ist, um ihnen Aufmerksamkeit zu sichern, gleichzeitig abseitig genug von den konkreten Regierungsprojekten, um sich nicht bei der Innenpolitik mit Westerwelle anlegen zu müssen.
    Am Ende wird jeder in den Abgrund blicken, und die Zahl der Abweichler wird ähnlich groß sein wie die der Jünger Jesu. Dafür werden Probeabstimmungen sorgen, dafür werden die folgenden Artikel sorgen, die das Ende der Merkelschen Kanzlerschaft ausrufen, falls diese Wahl verloren geht. Ein Bohei, der hier gemacht wird… selbstverständlich wäre die wirklich souveräne Entscheidung, Gauck zu wählen, eher ein Moment, mit dem man sich den Bürgern des Landes als Regierungspartei profilieren könnte – hier standen wir, und mussten den besseren Mann wählen – mit dem die FDP wieder Fuß fassen und ihr Image retten könnte. Nicht Gaucks Wahl zum Buprä würde schwarzgelb zum Untergang verdammen, sondern eben die Wulffsche Wahl wird dies tun, weil sie alle Vorurteile der Bürger bestätigen wird, und auch wenn in drei Monaten die Erinnerung an den konkreten Anlass verblasst sein wird, werden die Bürger und Wähler nicht vergeben und nicht vergessen. Tribriel/Gatrin sollten die nächsten Wochen noch ein wenig mit der Positionierung von Gauck als dem wahren Bürgerpräsidenten spielen, so schnell werden sie nicht wieder Gelegenheit dazu bekommen, Angela Merkel an der Nase herumzuführen. Merkel und Westerwelle sind angezählt, weil sie keine souveräne Entscheidung fällen konnten, sondern wieder nur in der Küche zusammensaßen. Hätten sie wirklich Mut und Souveränität gehabt, ginge es der Koalition wirklich gut, dann hätten sie einen Politiker wie Peer Steinbrück nominiert – ein Zeichen von Stärke. Ob Von den Laien oder Wulff, die sind eine Soße, CDSUFDP gehen aus diesem Kampf geschwächt hervor. Man könnte das nüchtern feststellen und zum eigentlichen Tagewerk übergehen, wenn es nicht so dramatisch für Deutschland und Europa wäre, dass diese Regierung so unterdurchschnittlich ist. Deutschland wird unter Wert regiert, ist eigentlich ein Schwergewicht aber schlägt nur noch zu wie ein Fliegengewicht.
    Als Fazit: Gauck ist ein Moment für Opposition und Medien, Spaß an der Arbeit zu haben. Er taugt als Nadel im Fleisch der Regierungsparteien, nicht aber als Damoklesschwert. Deutschland hatte sechs Jahre lang einen unterdurchschnittlichen Bundespräsidenten. Deutschland wird die nächsten 5 Jahre einen unterdurchschnittlichen Bundespräsidenten haben. Wenn Deutschland viel Glück hat, wird es nicht mehr so lange von schwarzgelber Inkompetenz regiert.

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    Werter Herr Kocks, das ist doch alles Bullshit. Was Sie als das Ergebnis einer genialen Regie sehen, ist in Wirklichkeit nur eine billige Klamotte. Gauck ist durch seine eitle Besoffenheit offenkundig nicht mal klar, dass er von Trittin und Gabriel benutzt wird, um Merkel zu beschädigen.Der glaubt den Honig, den man ihn um den Bart schmiert. Am besten gefiel mir in dem Zusammenhang übrigens das in der ZDF heute-show gezeigte Interview, in dem Gauck auf die Frage ob er noch einmal in eine leitende Funktion gehen würde antwortete: „Also ich bin jetzt 70. Es wäre ein Armutszeugnis für jede große Institution, wenn sie die 70-jährigen reaktivieren müßte.“

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    Lieber Klaus Kocks,
    wenn ich mich recht erinnere, war die männliche Zierde Ihrer Oberlippe noch vorhanden, bei Ihrem letzten öffentlichen Auftritt.
    Sie sollten Ihren „Schnauzer“ – der Ihnen übrigens gut steht – möglichst demnächst nicht abnehmen. Böswillige könnten Ihnen sonst – gemäß Ihrer eigenen Aussage hier – die eigenen Interpretationen um die Ohren hauen, wegens der Signalwirkung.

    Jetzt gehöre ich aber nicht zu den Böswilligen, mehr zu den Intelligenteren (ich leide tatsächlich nicht an Selbstbewußtseinsstörungen). Somit finde ich Ihren Kommentar geradezu brillant. Gewisse Sentenzen sind geradezu Boderesk.
    Erfreulich finde ich, daß auch Sie ein politisches Langzeitgedächtnis haben – dies vermisse ich hier immer wieder.
    Ihre Einschätzung von Trittin ist zutreffend. Er ist ein äußerst geschickter Stratege, scheint nur noch nicht Vielen aufgefallen zu sein.
    Die Ablehnung von Gauck durch die Linken, macht ihn tatsächlich zur Sensation. Seine Integrität kommt dadurch noch besonders rüber.Wulff ist tatsächlich schon jetzt zweite Wahl und der „Grußonkel“, wie es Alan Posener gut beschrieben hat.
    Wie schon gesagt – super Kommentar, und lassen Sie bloß Ihren Bart dran.
    LG Ihre Rita E.

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